Deutschland hat eine erfolgreiche Transplantationsmedizin, aber leider zu wenige Organspenden. Deshalb müssen viel zu viele Menschen auf der Spendenorgan-Warteliste sterben. Foto: horizont21/stock.adobe.com

Minister Manne Lucha zum Tag der Organspende: „Momentan sterben Menschen auf der Warteliste“

Baden-Württembergs Gesundheitsminister Manne Lucha fordert eine erneute Debatte um Regelungen bei der Organspende. „Ich trete weiterhin entschieden für die Widerspruchslösung ein“, kündigte Lucha zum Tag der Organspende am Samstag, 3. Juni 2023 an. Es gehe darum, Menschenleben zu retten.

„Entscheide Dich“ lautet daher der dringliche Appell zum 41. bundesweiten Tag der Organspende. Aufklärungskampagnen in vielen Städten Deutschlands sollen die Menschen an das Thema heranführen und zu einer Entscheidung bewegen. „Wir brauchen dringend mehr Organspenden. Momentan sterben Menschen auf der Warteliste – das tut mir in der Seele weh. Denn das müsste nicht sein“, sagt Lucha.

In Deutschland gilt Zustimmungslösung

In Deutschland gilt die sogenannte Zustimmungslösung. Das heißt, eine Organspende ist nur möglich, wenn sich die Spender zu Lebzeiten ausdrücklich dafür entschieden haben oder wenn die Angehörigen zustimmen. Die Widerspruchslösung würde bedeuten, dass grundsätzlich jeder als in Frage kommt – es sei denn, sie/er widerspricht zu Lebzeiten.

„Und das macht in der Praxis durchaus einen Unterschied“, erklärte Lucha. „Denn die allermeisten Menschen haben leider keinen Organspendeausweis. Dann entscheiden die Angehörigen – und diese lehnen im Zweifel eher ab. Klar ist: Die Organspende bleibt natürlich freiwillig. Die Ablehnung durch Angehörige aber schmerzt mich – diese müssen wir vom Zwang zur Entscheidung entlasten.“

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Lauterbach fordert zur Solidarität auf

Angesichts rückläufiger Organspendezahlen im vergangenen Jahr ruft Bundesgesundheitsminister Prof. Karl Lauterbach dazu auf, den Tag der Organspende zu nutzen, um sich zu informieren, eine persönliche Entscheidung zu treffen und diese zu dokumentieren. „Nur so können Sie sicher sein, dass Ihr persönlicher Wille umgesetzt wird, Ihre Angehörigen von einer schweren Entscheidung entlastet werden und Sie die Chance haben, nach Ihrem Tod anderen Menschen zu helfen. Zeigen Sie Solidarität mit den Menschen auf den Wartelisten. Organspenden retten Leben, möglicherweise auch einmal das Ihrer Angehörigen, Freunde oder sogar Ihr eigenes.“

Widerspruchslösung setzt weiter auf Freiwilligkeigt

Nur rund 40 Prozent der Deutschen haben nach Umfragen der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) ihre Haltung zur Organspende dokumentiert, während sich in Umfragen stabil mehr als 80 Prozent der Bevölkerung positiv zur Organspende äußern. Dadurch gehen potenzielle Organspenden verloren. Bei der Widerspruchslösung gilt eine fehlende Organspende-Erklärung als Zustimmung. Wer die Organspende ablehnt, muss dies dokumentieren oder seinen Nächsten mitteilen. Die Organspende bleibt weiterhin freiwillig.

Deshalb plädiert Bundesgesundheitsminister Prof. Karl Lauterbach zum Tag der Organspende dafür, erneut über eine Gesetzesänderung nachzudenken und über die Einführung der Widerspruchslösung im Parlament zu diskutieren: „Das sind wir denjenigen schuldig, die vergeblich auf Organspenden warten. Die Widerspruchslösung lässt jeder Person die Entscheidungsfreiheit, über ihre Organe selbst zu bestimmen. Gleichzeitig ist sie ein Anstoß, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen. Vor allem aber bietet die Einführung der Widerspruchslösung die Chance zu einem Paradigmenwechsel bei der Organspende.“

Fachmediziner hoffen auf schnelle Lösung

Dass eine Widerspruchslösung die aktive Auseinandersetzung jedes Einzelnen mit dem Thema fördern würde, schätzen viele Experten auf dem Gebiet der Organspende und Transplantation ähnlich ein. Der Medizinische Vorstand der Deutschen Stiftung Organtransplantation (DSO), Dr. med. Axel Rahmel, sieht in der Widerspruchslösung einen wichtigen Ansatz, um eine Kultur der Organspende in Deutschland zu fördern und erwartet zusätzlich positive Synergien in den Kliniken. Gleichzeitig weist Rahmel aber darauf hin, dass eine Gesetzesänderung nur den Rahmen schaffen kann, in dem sich alle an der Gemeinschaftsaufgabe Organspende Beteiligten bewegen.

„Das Wichtigste ist, dass wir gemeinsam an einem Strang ziehen und das eigentliche Ziel nicht aus den Augen verlieren: die Patienten auf den Wartelisten. Wenn wir den Menschen helfen wollen, müssen wir fernab von allen politisch oder ideologisch geprägten Debatten nach praktikablen Lösungen suchen und diese Hand in Hand umsetzen“, fordert Rahmel.

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Keine Mehrheit im Bundestag gefunden

In der vergangenen Wahlperiode hatte es im Bundestag zur Widerspruchslösung fraktionsübergreifende Gruppenanträge gegeben. Die Widerspruchslösung fand jedoch keine Mehrheit. Am 1. März 2022 ist das Gesetz zur Stärkung der Entscheidungsbereitschaft bei der Organspende vom 16. März 2020 in Kraft getreten. Demnach ist eine Organ- und Gewebespende grundsätzlich nur dann möglich, wenn der mögliche Organ- oder Gewebespender zu Lebzeiten eingewilligt hat oder sein nächster Angehöriger zugestimmt hat.

Ein wichtiger Baustein ist das Online-Register, in dem Bürger ihre Entscheidung für oder gegen eine Organ- und Gewebespende digital hinterlegen können und das voraussichtlich im ersten Quartal 2024 zur Verfügung stehen wird. Erfahrungen anderer Länder zeigen allerdings, dass in der Regel weniger als die Hälfte der Bevölkerung die Möglichkeit zur Registrierung nutzt.

Im Zweifelsfall verweigern Angehörige oft Zustimmung

Die Statistiken der Deutschen Stiftung Organtransplantation aus 2022 verdeutlichen, dass ein wesentlicher Grund für die geringen Organspendezahlen die fehlende Zustimmung zur Organspende war. Von nur 15 Prozent aller möglichen Spendern lag in 2022 eine schriftliche Erklärung vor. Viel zu oft mussten demnach die Angehörigen um eine Entscheidung gebeten werden. Entschieden sie anhand des mutmaßlichen Willens der Verstorbenen, lag die Zustimmungsrate bei 54 Prozent. Mussten die Angehörigen allein nach eigenen Wertvorstellungen entscheiden, erfolgte hingegen in fast 80 Prozent der Fälle keine Zustimmung zur Organspende

Prof. Dr. Martin Dietrich, Kommissarischer Direktor der BZgA motiviert zur Entscheidung: „Meine Bitte an Sie: Nehmen Sie den Tag der Organspende zum Anlass, mit Familie und Freunden über das Thema Organspende zu sprechen, treffen Sie Ihre Entscheidung und halten Sie diese in einem Organspendeausweis fest. Obwohl wir eine überwiegend positive Einstellung zur Organspende in Deutschland beobachten, haben noch immer zu wenige Menschen ihre Entscheidung dokumentiert. Die BZgA unterstützt Sie dabei mit Antworten auf Ihre Fragen auf organspende-info.de.“

Organspendezahlen auf niedrigem Niveau

Dass dringend Handlungsbedarf besteht, zeigen die Organspendezahlen von 2022, die einen neuen Tiefpunkt markieren. Bundesweit gab es 869 postmortale Organspender, ein Minus von fast 7 % gegenüber dem Jahr 2021. In den ersten vier Monaten dieses Jahres hat sich die Anzahl der Organspenden nach dem Einbruch in 2022 wieder dem Niveau der Vorjahre angenähert. Von Januar bis April 2023 gab es bundesweit 311 Organspender. Dadurch konnten 954 Organe für eine Transplantation an die internationale Vermittlungsstelle Eurotransplant gemeldet werden. Die Ergebnisse liegen zwar deutlich über denen im Vergleichszeitraum 2022, aber noch unter denen der Jahre 2020 und 2021.

Umso wichtiger sei es, bundesweit ein Zeichen zu setzen und die Aufmerksamkeit der Bevölkerung auf das Schicksal der rund 8.500 Menschen zu lenken, die auf eine lebensrettende Transplantation warten, sind sich alle Organisatoren vom Tag der Organspende einig.

Patientenverbände bedanken sich

Selbsthilfeverbände haben vor 40 Jahren den Tag der Organspende ins Leben gerufen, um auf diesem Weg den Menschen symbolisch zu danken, die sich für eine Organspende entschieden haben. „Wir haben in Deutschland eine erfolgreiche Transplantationsmedizin und dennoch sterben an jedem Tag Patientinnen und Patienten, denen mit einer Transplantation hätte geholfen werden können. Jedes Organ zählt und kann für einen Menschen auf der Warteliste eine Entscheidung über Leben und Tod bedeuten“, erklärt Sandra Zumpfe, Vorstandsvorsitzende des Bundesverbands der Organtransplantierten (BDO).

Sandra Zumpfe weiß genau, wovon sie spricht. Im Alter von 35 Jahren rettete eine Herztransplantation 2013 ihr Leben und vier Jahre später spendete ihr Mann ihr eine Niere. Seitdem lebt sie glücklich und genießt ihr neu geschenktes Leben voller Dankbarkeit.

Wo bekomme ich einen Organspendeausweis?

Den Organspendeausweis gibt es zum Beispiel in Apotheken, Arztpraxen, Behörden oder bei Krankenkassen. Eine kostenfreie Bestellung des Ausweises sowie von Infobroschüren ist bei der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) jederzeit möglich. Ebenso kann dort der Organspendeausweis online ausgefüllt und ausgedruckt werden. Hier erhalten Sie einen Organspendeausweis.