Johannes Bauernfeind, Vorstandsvorsitzender der AOK Baden-Württemberg, sieht die Schätzung zur Einnahmenentwicklung der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) als ungenügend an. Sein Fazit: „Die politisch verkündete Stabilität ist damit in weiten Teilen kreditfinanziert und auf Sand gebaut.“ Foto: blende40/stock.adobe.com

AOK Baden-Württemberg: Ergebnis des GKV-Schätzerkreises zur Beitragserhöhung kein Grund zur Entwarnung

Johannes Bauernfeind, Vorstandsvorsitzender der AOK Baden-Württemberg, sieht im Ergebnis des Schätzerkreises, der einen durchschnittlichen Zusatzbeitrag von 2,9 Prozent für 2026 empfohlen hat, keinen Grund zur Entwarnung. Die Situation der Gesetzlichen Krankenversicherung in Deutschland ist angespannt und benötige, so Bauernfeind, politischen Mut und langfristig die Beitragszahler entlastend wirkende Reformen.

„Der GKV-Schätzerkreis hat einen durchschnittlichen Zusatzbeitrag von 2,9 Prozent für 2026 empfohlen. Und im Ministerium machte sich offenbar Erleichterung breit. Doch diese Freude ist trügerisch. Denn von Stabilität bei den Beitragssätzen kann aus meiner Sicht keine Rede sein. Schließlich steigt der durchschnittliche Zusatzbeitragssatz um 0,4 Prozentpunkten im Vergleich zum Vorjahr. Zudem liegt der tatsächlich erhobene durchschnittliche Zusatzbeitrag heute schon bei über 2,9 Prozent. Dass der reale Wert auch 2026 vom geschätzten Wert abweichen wird, ist vorprogrammiert“, sagt Bauernfeind.

Angegriffene Reserven und galoppierende Ausgabendynamik  

Für den Vorstandsvorsitzenden der AOK Baden-Württemberg ist klar: Allein schon die Uneinigkeit im Schätzerkreis über die künftige Ausgabenentwicklung zeige, wie fragil diese Schätzung tatsächlich sei. Und: „Bereits im vergangenen Jahr wurde die Ausgabendynamik unterschätzt – mit gravierenden Folgen. Viele Krankenkassen mussten ihren Beitrag unterjährig anpassen, weil die Reserven aufgrund politischer Eingriffe in der Vergangenheit weitestgehend aufgebraucht sind. Bei vielen Kassen liegen sie sogar unter der gesetzlichen Mindestvorschrift und müssen zwangsläufig durch Erhöhungen aufgefüllt werden“, warnt Bauernfeind.

Hinzu komme, dass die Schätzung zur Einnahmenentwicklung auch auf dem Darlehen an den Gesundheitsfonds basiere – dieses müsse jedoch zurückgezahlt werden. Bauernfeind bringt es so auf den Punkt: „Die politisch verkündete Stabilität ist damit in weiten Teilen kreditfinanziert und auf Sand gebaut.“

„Tatenlos auf die steigenden Beitragssätze zu schauen, ist keine Option“, sagt Johannes Bauernfeind, der Vorstandsvorsitzender der AOK Baden-Württemberg. Foto: AOK Baden-Württemberg

Weitere Einsparpotentiale nutzen und mehr Mut zeigen

Zwar sei es grundsätzlich zu begrüßen, dass die Notwendigkeit für kurzfristige Maßnahmen erkannt wurde und endlich konkrete Vorschläge auf dem Tisch liegen. „Aber auch die aktuellen Sparmaßnahmen, mit denen das Bundesministerium für Gesundheit rund zwei Milliarden Euro einsparen will, lösen das strukturelle Finanzierungsproblem der GKV nicht – wenn sie denn tatsächlich werthaltig sind. Sie verschaffen allenfalls etwas Luft aber keine Perspektive“, erklärt Bauernfeind.

Seine Vorschläge: „Weitere Bereiche müssen bezüglich Einsparpotentialen in den Blick genommen werden. Sinnvoll wäre beispielsweise eine Anhebung des Herstellerabschlags von sieben auf neun Prozent sowie eine Reduzierung des Mehrwertsteuersatzes für Arzneimittel. Mehr Tempo braucht es zudem bei der angedachten Primärversorgung und stärkeren Patientensteuerung. In Baden-Württemberg haben wir hierzu hinreichend positive Erfahrungen.“

Der AOK-Landeschef wertet die 2,9-Prozent-Empfehlung des GKV-Schätzerkreises eher nicht als großen Wurf oder gar als Befreiungsschlag. Sein Fazit: „Das Ergebnis des Schätzerkreises ist kein Grund zur Entwarnung, sondern sollte vielmehr als ein Weckruf verstanden werden. Ein ,Weiter so‘ gefährdet die Stabilität der gesetzlichen Krankenversicherung und damit das Rückgrat unseres Gesundheitssystems. Wir brauchen politischen Mut – Reformen, die langfristig wirken und die Beitragszahlenden nachhaltig entlasten.“    pm/tok