Lungenkrebs tötet 45.000 Menschen im Jahr allein in Deutschland. 85 Prozent aller Lungenkrebsfälle sind auf das Rauchen zurückzuführen. Foto: Mariya Sorvacheva/stock.adobe.com

Alle 12 Minuten stirbt in Deutschland ein Mensch an Lungenkrebs – Rauchprävention versagt total

Die Behandlung von Lungenkrebs wird immer zielgerichteter und besser. Einer der Gründe: Arzneimittel, die direkt die genetischen Treiber von Tumoren ausschalten können. Ein weiterer: Der unermüdliche Einsatz von Ärzten und Wissenschaftlern. Die Arbeit wird ihnen nicht leichtgemacht. In Sachen Tabakkontrolle und Rauchprävention versagt Deutschland auf ganzer Linie.

Lungenkrebs tötet 45.000 Menschen im Jahr allein in Deutschland. Alle 12 Minuten verlieren wir einen Menschen an diese Krankheit, wie Pharma-Fakten.de berichtet. Ein unabwendbares Schicksal? Alles andere als das.

Rauchen ist die Hauptursache für Lungenkrebs

85 Prozent aller Lungenkrebsfälle sind auf das Rauchen zurückzuführen. Das heißt: Der Tod durch Lungenkrebs wäre in der Mehrheit der Fälle durch Vorbeugung vermeidbar. „Nichtrauchen ist somit bekanntermaßen eine extrem wirksame Prävention“, heißt es lapidar im „Weißbuch zu Prävention, Früherkennung und zielgerichteter Therapie von Lungenkrebs“ von Vision Zero, einem Zusammenschluss von Vertretern aus Wissenschaft, Medizin, Medien, Stiftungen, Verbänden, der forschenden Pharmaindustrie, der sich dem Kampf gegen Krebs verschrieben hat.

Rauchprävention: Deutschland auf Platz 34 von 37 in Europa

In Deutschland machen wir so ungefähr das Gegenteil von Rauchprävention: Das belegt der Tobacco Control Scale (TCS). Dort hat man für 37 europäische Länder untersucht, was sie dafür tun, dass einer der größten Killer nicht ungehindert beworben oder verkauft werden darf. Deutschland rangiert auf Platz 34 von 37 Ländern. Bereits seit 2004 besteht das Abkommen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zur Eindämmung des Tabakkonsums mit konkreten Handlungsempfehlungen. Beim European Song Contest (ESC) würde es jetzt heißen: „Germany? Zero points.“  

Aber es geht hier nicht um das Absingen von Liedern, sondern um Menschenleben. Nicht nur die Experten von Vision Zero haben besorgt auf die DEPRA-Umfrage von Ende 2022 reagiert. Dort heißt es: „Gegenüber dem Vorjahr ist der Anteil der Raucher:innen und E-Zigarettennutzer:innen unter den Jugendlichen und jungen Erwachsenen im Jahr 2022 stark gestiegen.“ Ungefähr jeder Sechste unter den 14 bis 17-Jährigen raucht, bei den 18- bis 24-Jährigen sind es rund 41 Prozent. Viele von ihnen sind die Lungenkrebs-Patienten von morgen, wenn sie nicht bald damit aufhören.

Neuseeland streicht Anti-Rauchergesetz

Rauchen einzudämmen, ist überraschend einfach; die wichtigste Stellschraube: der Preis für Zigaretten. In Irland (Platz 1 im TCS) kosten sie doppelt so viel, wie in Deutschland. Weitere Maßnahmen sind Rauchverbote in öffentlichen Räumen, am Arbeitsplatz, in Bars oder Restaurants und das Werbeverbot.

Für ein Jahr war Neuseeland der leuchtende Stern für alle diejenigen, die Rauchen den Kampf angesagt haben. Dort hatte die Regierung ein Gesetz beschlossen, wonach Tabakprodukte nicht mehr an junge Menschen verkauft werden dürfen, die ab 2009 geboren wurden. Das Mindestalter sollte jedes Jahr heraufgesetzt werden. Der Plan sah vor, Neuseeland bis 2025 komplett rauchfrei zu machen. Nun wird es nichts mit dem strengsten Rauchergesetz der Welt – ein Regierungswechsel ist der Grund: Das Geld für die Tabaksteuer wird für die Finanzierung von Steuererleichterungen gebraucht. Für Regierungen auf Geldsuche sind strenge Rauchgesetze eher keine Option. Die Einnahmen von 2022 aus der Tabaksteuer in Deutschland: rund 14 Milliarden Euro.

Vision Zero fordert „Rote Karte“

Vision Zero fordert trotzdem die „Rote Karte für den Lungenkrebs“ und hat dafür im Wesentlichen drei Hebel identifiziert. „Neben der Primärprävention – also einer aktiven Anti-Tabak-Politik“, sagt Generalsekretär Dr. Georg Ralle, „ist das die frühe Diagnostik. Sie ist das beste Mittel, wenn der Lungenkrebs bereits da ist, denn dann sind die Behandlungschancen einfach am besten.“ Außerdem will Vision Zero den Zugang zu der personalisierten Präzisionsmedizin verbessern. „Wir müssen sicherstellen, dass alle im Land Zugang haben zu den innovativen Behandlungsmethoden.“

Therapie beim Lungenkrebs: „Sensationeller Fortschritt“

Mit molekularer Diagnostik lässt sich heute feststellen, welche Genmutation einen Lungenkrebs treiben kann; mindestens 14 solcher Genmanipulatoren sind bekannt, die gezielt mit einem entsprechenden Arzneimittel behandelt werden können – und ständig werden es mehr. Aber rund ein Drittel der Menschen, für die solche Medikamente in Frage kommen, erhalten sie in Deutschland gar nicht.

Der Lungenkrebsexperte Professor Dr. Jürgen Wolf (Köln), Gründer des Nationalen Netzwerkes für Genomische Medizin Lungenkrebs (nNGM), sagte im Pharma Fakten-Interview: „Wir sehen seit ein paar Jahren einen sensationellen Fortschritt. Früher wurde zur Therapie in den fortgeschrittenen Stadien maßgeblich die Chemotherapie eingesetzt. Heute sehen wir bei Menschen mit gestreutem Krebs Überlebenszeiten von fünf, sieben und mehr Jahren. Wir haben jetzt schon Patienten mit metastasiertem Lungenkrebs, die zehn Jahre leben und das mit zwei Tabletten am Tag.“

Eine Studie, veröffentlicht im Fachmagazin „The Lancet Regional Health – Europe“ und gefördert vom AOK-Bundesverband, belegt, wie sehr Lungenkrebspatienten profitieren, wenn sie im Rahmen des spezialisierten Netzwerkes behandelt werden. In der Untersuchung wurde anhand von Real World-Daten das Gesamtüberleben von 509 nNGM-Patienten mit fortgeschrittenem nicht-kleinzelligem Lungenkrebs mit Daten von 7213 AOK-Versicherten verglichen, die nicht innerhalb des spezialisierten Netzwerkes behandelt worden waren:

  • Durch die vernetzte personalisierte Versorgung von Patienten mit fortgeschrittenem nichtkleinzelligem Lungenkrebs hat sich die Überlebensrate im Vergleich zur Kontrollgruppe erheblich verbessert: Demnach wurde ein medianes Überleben von 10,5 Monaten erreicht, während es in der Kontrollgruppe aus der Regelversorgung lediglich 8,7 Monate waren.
  • Im Netzwerk werden die Betroffenen öfter mit personalisierten Medikamenten behandelt. „Dieser höhere Anteil an personalisiert behandelten Patient:innen spielt für den Überlebensvorteil der Gesamtgruppe der im nNGM Behandelten eine erhebliche Rolle“, heißt es bei der AOK. Der wissenschaftliche Fortschritt kommt schneller dahin, wo er gebraucht wird.
  • Das Netzwerk ist ein lernendes System. Die Auswertung von Daten aus der Versorgung (Real World Data) lässt Rückschlüsse auf die Therapie zu. Sie belegt, dass der Wissenstransfer neuester Forschungserkenntnisse aus den spezialisierten Zentren in die wohnortnahe Praxis oder das wohnortnahe Krankenhaus funktioniert.

1,8 Monate medianes Überleben: Ein Fortschritt?

Das Verständnis, warum 10,5 Monate gegenüber den 8,7 Monaten ein Riesenschritt nach vorne sind, liegt in dem Wort „median“. Median ist ein Wert, der anders als der Durchschnitt, weniger anfällig für Ausreißer in die eine oder andere Richtung ist.

Im Fall der Lungenkrebspatienten berücksichtigt er die Zahl die Menschen, die nicht oder nur unzureichend auf die Therapie ansprechen, aber eben auch die, die Jahre später noch leben. „Bei manchen dieser Patientinnen und Patienten wurde das mediane Überleben noch gar nicht erreicht“, erklärt Professor Christof von Kalle, Krebsexperte an der Charité. „Das bedeutet: Für sie ist der Lungenkrebs durch die Präzisionsmedizin von einem sicheren Todesurteil zu einer chronischen Erkrankung geworden.“

Hinter den 1,8 Monaten längeres medianes Überleben verstecken sich für viele Menschen Lebensperspektiven, die es ohne die Präzisionsmedikamente gar nicht gäbe.

Diagnose Lungenkrebs: Personalisierte Medizin als Quantensprung

So wie bei Bärbel Söhlke. Sie erhielt 2008 die Diagnose Lungenkrebs, es zog ihr „den Boden unter den Füßen weg“. Geraucht hatte sie nie, 11 Monate Lebenszeit war damals die Prognose. Im Blog der Deutschen Krebshilfe erzählt sie, wie sie als eine der ersten in Europa im Jahr 2012 Zugang zu der damals noch ganz neuen Behandlung bekam: „Seitdem ich mit dieser gut verträglichen Therapie behandelt werde, war kein einziger stationärer Aufenthalt mehr erforderlich. Bereits nach fünf Tagen ging es mir spürbar besser. In den ersten Wochen verschwanden die Symptome. Ich empfand die Nebenwirkungen als relativ harmlos und nach einigen Wochen hörten sie ganz auf. Mein Tumor ist inzwischen seit mehr als acht Jahren inaktiv, und ich nehme nach wie vor dasselbe Medikament. Ich wäre definitiv Ende 2012 gestorben, wenn die Ärzte mir das nicht in letzter Minute verordnet hätten. Heute gehe ich mit Lungenkrebs um wie mit einer chronischen Erkrankung.“ Aus 11 Monaten wurden 13 Jahre – fast schon ein geschenktes Leben.     pharma-fakten.de