Wenn die Zivilisation zu nahe an die wilde Natur rückt, verändert sich die Anzahl der Tierarten – und damit können sich zum Beispiel widerstandsfähige Stechmücken durchsetzen – mit ihren Viren, die sie übertragen. Und dann kann die neue Nähe zum Menschen gefährlich für die potenziellen Moskito-Opfer werden. Foto: Curioso.Photography/stock.adobe.com
Abnahme der Stechmücken-Vielfalt kann Verbreitung von Viren begünstigen
Wie hängen Umweltveränderungen, Artensterben und die Ausbreitung von Krankheitserregern zusammen? Die Antwort darauf gleicht einem Puzzle. Ein Puzzlestück haben Forschende der Charité – Universitätsmedizin Berlin nun im Fachmagazin eLife beschrieben: Sie zeigen, dass die Zerstörung tropischer Regenwälder die Vielfalt an Stechmückenarten vermindert. Gleichzeitig werden widerstandsfähige Stechmückenarten häufiger – und damit auch deren Viren. Gibt es von einer Art viele Exemplare, können sich deren Viren schnell verbreiten.
In ihrer Studie haben die Wissenschaftler der Charité in Kooperation mit dem Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung (IZW) untersucht, wie sich die Abholzung von Regenwald und die Umwandlung dieser Flächen in Kaffee- und Kakaoplantagen oder Dörfer auf das Vorkommen und die Artenvielfalt von Stechmücken und deren Viren auswirken. Die Studie, die damit die Fachgebiete der Virologie und Biodiversitätsforschung vereint, entstand unter Federführung von Prof. Dr. Sandra Junglen, Leiterin der Arbeitsgruppe „Ökologie und Evolution von Arboviren“ am Institut für Virologie der Charité, wie das DeutschesGesundheitsPortal (DGP) berichtet.
Für die Forschungsarbeit haben die Wissenschaftler zunächst Stechmücken in der Gegend des Tai-Nationalparks an der Elfenbeinküste gefangen. Hier gibt es eine große Bandbreite an Landnutzungsarten – von ungestörtem Regenwald über Sekundärwald, Kakao- und Kaffeeplantagen bis hin zu Dörfern. „Die gefangenen Stechmückenarten haben wir identifiziert und auf Virusinfektionen getestet“, erklärt Kyra Hermanns vom Institut für Virologie der Charité und Erstautorin der Veröffentlichung. „Dann haben wir geschaut, wie sich in den unterschiedlichen Landnutzungstypen die Zusammensetzung an Stechmückenarten unterscheidet, wo bestimmte Viren vorkommen und wie häufig diese sind.“
Widerstandsfähige Stechmückenarten setzen sich durch
In einem gesunden Ökosystem wie einem intakten Regenwald gibt es eine Vielzahl unterschiedlicher Viren. Das liegt vor allem daran, dass es hier eine große Vielfalt an Tieren gibt, die als Träger der Viren – sogenannte Wirte – infrage kommen. Denn Viren sind immer an ihre Wirte gebunden.
Wird das Ökosystem verändert, betrifft das auch die Viren, erklärt Prof. Junglen: „Wir entdeckten 49 Virenarten. Die größte Vielfalt an Wirten und Viren haben wir in unberührten und nur leicht gestörten Lebensräumen beobachtet.“ Die meisten der 49 Virenarten kamen in den untersuchten Gebieten relativ selten vor. Neun Virusarten wurden jedoch häufig in mehreren Lebensräumen gefunden, wobei das Vorkommen von fünf Virenarten in gestörten Lebensräumen zunahm und in Dörfern am höchsten war.
„Das bedeutet, dass die Abholzung des tropischen Regenwaldes zu einer Abnahme der Vielfalt an Stechmückenarten führt und sich somit die Zusammensetzung an Wirtsarten verändert. Einige widerstandsfähige Stechmückenarten haben sich auf den gerodeten Flächen stark vermehrt und mit ihnen ihre Viren“, erklärt Prof. Junglen.
Wie sich eine Artengemeinschaft zusammensetzt, hat also direkte Auswirkungen auf das Vorkommen von Viren: „Wenn eine Wirtsart sehr häufig ist, dann erleichtert das die Ausbreitung von Viren“, sagt die Virologin. Alle Viren, die häufiger vorkamen, wurden in einer bestimmten Stechmückenart nachgewiesen. Die Viren gehören zu unterschiedlichen Familien und haben verschiedene Eigenschaften. „Damit konnten wir zum ersten Mal nachweisen, dass die Verbreitung der Viren nicht auf eine enge genetische Verwandtschaft zurückzuführen ist, sondern auf die Eigenschaften ihrer Wirte – also insbesondere auf jene Stechmückenarten, die gut mit veränderten Umweltbedingungen in gestörten Lebensräumen zurechtkommen.“
Dynamik von Infektionskrankheiten
Zwar infizieren die gefundenen Viren nur Stechmücken und können – nach jetzigem Stand – nicht auf Menschen übertragen werden. Sie sind aber dennoch als Modell hilfreich, um zu verstehen, wie sich die Veränderung der Vielfalt einer Artengemeinschaft auf das Vorkommen und die Häufigkeit von Viren auswirkt. „Unsere Studie macht deutlich, wie wichtig Artenvielfalt ist und dass die Abnahme der Artenvielfalt das Vorkommen bestimmter Viren begünstigt, weil es die Verbreitung ihrer Wirte fördert“, betont Prof. Junglen.
„Bisher wurden solche Prozesse fast ausschließlich an einzelnen Erregern und einzelnen Wirten untersucht. Nun ergibt sich ein vollständigeres Bild, an dem weiter geforscht werden kann“, führt Prof. Junglen aus. Im nächsten Schritt plant das Forschungsteam, weitere Lebensräume in anderen Ländern zu untersuchen – auch um herauszufinden, welche Faktoren es genau sind, die bei einer Änderung der Landnutzung die Vielfalt der Stechmückenarten beeinflussen und welche Eigenschaften die Viren mitbringen müssen, um sich mit ihren Wirten ausbreiten zu können. DGP