Die Klimakrise wird Baden-Württemberg immer härter treffen und die Gesundheit von Menschen, die im Freien arbeiten, ebenso gefährden wie Menschen, die sich nicht in klimatisierten Gebäuden aufhalten können. Das betrifft viele zum Beispiel in Krankenhäusern oder Altenheimen. Die AOK Baden-Württemberg fordert einen konkreten Handlungsplan des Landes. Foto: amorn/stock.adobe.com

10.000 Todesfälle durch Extremhitze: AOK und KLUG entwickeln Sofortmaßnahmen

Mit bis zu 10.000 Todesfällen jährlich stellt Hitze das größte klimabedingte Gesundheitsrisiko in Deutschland dar. In Zukunft können längere und intensivere Extremhitzeereignisse wie Hitzeglocken auftreten, die zu deutlich mehr Krankheitsfällen und hitzebedingten Sterbefällen führen. Vor diesem Hintergrund fand in Stuttgart auf Initiative der AOK Baden-Württemberg und der Deutschen Allianz Klimawandel und Gesundheit KLUG e.V. ein ganztägiger Workshop mit Experten sowie Entscheidenden aus dem Gesundheitswesen, dem Katastrophenschutz sowie aus Landesministerien und kommunalen Verwaltungen statt.

Ziel war es, das Szenario „Hitzekatastrophe“ besser zu verstehen und konkrete Vorbereitungs- und Sofortmaßnahmen für Baden-Württemberg zu entwickeln.

Klimakrise ist in Deutschland schon zu spüren

„Die Bedrohung unserer Gesundheit durch Hitze als direkte Folge des Klimawandels ist längst in Deutschland angekommen. Das Gesundheitswesen muss hier mit Landespolitik, Kommunalverwaltung und Hilfsorganisationen Verantwortung übernehmen und nicht nur Konzepte, sondern einen konkreten Handlungsplan angesichts der weiter fortschreitenden Klimakrise ausarbeiten“, machte Johannes Bauernfeind, Vorstandsvorsitzender der AOK Baden-Württemberg, deutlich.

Impulsvorträge von Dr. Stefan Muthers, Deutscher Wetterdienst, Dr. Robin Maitra, Landesärztekammer Baden-Württemberg, Prof. Dr. Clemens Becker, Universitätsklinikum Heidelberg und Dr. Martin Herrmann, KLUG, präsentierten Fakten und machten die Ziele des Hitze-Workshop deutlich. In drei Arbeitsgruppen „Ambulante Versorgung“, „Stationäre Versorgung“ und „Planung und Kommunikation“ wurde das Szenario „Hitzekatastrophe“ beleuchtet und erste Ansätze für Vorbereitungs- und Sofortmaßnahmen für Baden-Württemberg entwickelt.

Positionspapier soll im Herbst vorliegen

Die Workshop-Ergebnisse werden im Herbst in einem gemeinsamen Positionspapier veröffentlicht und sollen der Weiterentwicklung des Hitzeschutzes in Baden-Württemberg im Hinblick auf die zu erwartenden Hitzeextreme dienen. Denn bislang, so sind sich die Experten einig, ist Baden-Württemberg nur unzureichend auf die zunehmenden Hitzeereignisse vorbereitet. Einigkeit herrscht auch bei der Dringlichkeit von umfassenden Konzepten und Schutzaktionen.

Stimmen zum Workshop

Dr. Stefan Muthers vom Deutschen Wetterdienst weist auf die Dringlichkeit und Relevanz des Austausches hin: „Hitzeperioden nehmen in Deutschland zu – und ganz besonders auch in Baden-Württemberg. Seit den 1990er-Jahren hat sich die Zahl der sogenannten heißen Tage mit Temperaturen über 30 Grad in Baden-Württemberg fast verdreifacht. Mit dem Fortschreiten des Klimawandels müssen wir uns darauf einstellen, dass Hitzeperioden künftig nicht nur häufiger, sondern auch länger und intensiver ausfallen als bisher. Wir müssen uns also heute schon auf Hitzewellen vorbereiten, die über Wochen andauern und mit Temperaturen einhergehen, die für viele Menschen zur ernsten gesundheitlichen Belastung werden.”

Dr. Robin Maitra, Vorstand und Klimaschutzbeauftragter Landesärztekammer Baden-Württemberg, warnt vor den deutlichen Folgen von Hitze auf die Gesundheit: „Hitze beeinträchtigt nahezu alle Organsysteme des menschlichen Körpers und kann vor allem bei sogenannten Hochrisikogruppen zu einer Erhöhung der Sterblichkeit oder zumindest zu erheblicher gesundheitlicher Gefährdung führen. Hiervon sind insbesondere ältere Menschen mit chronischen Erkrankungen wie Herz- und Nierenschwäche, Lungenerkrankungen, aber auch bei dementiellen Erkrankungen oder anderen chronischen Beeinträchtigungen der Gesundheit betroffen.”

Prof. Dr. Clemens Becker, Universitätsklinikum Heidelberg betont, dass es wichtig ist, zunehmende Extremwetterereignisse nicht zu verdrängen und sich auf mögliche Maßnahmen insbesondere für vulnerable Gruppen vorzubereiten: „Es ist wichtig, dass wir uns diesen möglichen Szenarien stellen und möglichst gut darauf vorbereitet sind. Im zweiten Schritt müssen wir von einer guten Planung dahinkommen, dass wir im Extremfall die geplanten Maßnahmen sehr zeitnah, innerhalb von wenigen Tagen, umsetzen können, um möglichst viele Menschen zu retten, die ansonsten sich in absolut prekären Versorgungslagen befinden. Beispielsweise Menschen, die im dritten oder vierten Stock wohnen oder bei denen die Familie im Urlaub ist.”

Dr. Martin Herrmann, Vorsitzender Deutsche Allianz Klimawandel und Gesundheit KLUG e.V., betont die Dringlichkeit, Vorbereitungen auf Hitzekatastrophen zu treffen und die Folgewirkungen nicht nur auf Gesundheit, sondern auch auf den Wirtschaftsstandort: „Wir müssen verstehen, dass wir nicht ein bisschen mehr extreme Hitze haben, sondern dass es einen deutlichen Sprung nach oben geben wird. Mit deutlich mehr Opfern und Menschen, die gefährdet sind. Das wird massive Auswirkungen auch auf unsere Wirtschaft haben und auf die Infrastruktur. Insgesamt müssen wir bei allen Planungen und Krisenstäben ähnlich gut vorbereitet sein, wie wir das bei Hochwasser sind. Bei Hitze fehlen diese Vorbereitung und Planung fast vollständig, obwohl die Gefahr für das menschliche Leben deutlich höher ist als bei Hochwasser, sind wir hier nicht gut vorbereitet.”

Maxana Baltruweit, Geschäftsbereichsleiterin Gesellschaftliche Verantwortung AOK Baden-Württemberg, weist darauf hin, dass Klimaschutz als Gemeinschaftsaufgabe gerade auch im Kontext Gesundheitsschutz vorangetrieben werden muss: „Die Datenlage ist klar: Der Klimawandel ist angekommen, auch hier in Baden-Württemberg. Auch ein Blick in unsere Gesundheitsdaten zeigt, die Korrelation zwischen Gesundheit und Klimawandel. Gesundheitsschutz muss daher auch im Klimawandel-Kontext mitgedacht werden. Eine Quintessenz des heutigen Workshops ist, dass wir bei extremer Hitze niemanden vergessen dürfen und dass es eine große Anstrengung bedarf, alle zu erreichen. Daher müssen wir ressortübergreifend zusammenarbeiten und entsprechend Hand in Hand agieren. Hitzeschutz ist eine Gemeinschaftsaufgabe für Politik, Gesundheitswesen und Kommunen.“    pm