
Schon bei flüchtigen, kurzen Küssen aktivieren die hochempfindlichen Lippen sofort das limbische System. Der Herzschlag beruhigt sich, der Cortisolspiegel sinkt leicht ab. Bei längeren, intimeren Küssen wird die Atmung tiefer, der Herzschlag schneller. Foto: Jacob Lund/stock.adobe.com
Lustgewinn, Psychoboost, Gesundheitsrisiko: Wie riskant ist eigentlich das Küssen?
Küssen gehört zu den intimsten und gleichzeitig alltäglichsten Formen menschlicher Nähe. Ein flüchtiger Begrüßungskuss, ein leidenschaftlicher Zungenkuss oder ein spontan verliebter Moment – kaum ein Verhalten vereint so viele biologische, psychische, soziale und kulturelle Ebenen. Doch wie gesund ist das eigentlich? Welche Risiken gibt es? Und warum küssen Menschen überhaupt?
Was passiert beim Küssen im Körper – kurz vs. lang?
Der kurze Kuss: Mikro-Intimität im Alltag
Flüchtige Küsse – Begrüßung, Abschied, Zuneigung im Vorübergehen – wirken klein, sind aber biochemisch erstaunlich effektiv. Die hochempfindlichen Lippen aktivieren sofort das limbische System. Es kommt zur Ausschüttung von Oxytocin, dem „Bindungshormon“, das Vertrauen stärkt und Stress abbaut. Der Herzschlag beruhigt sich, Cortisol sinkt leicht ab – ein Mini-Antistressprogramm, das Beziehungen stabilisiert.
Der lange, intime Kuss: ein neurochemisches Feuerwerk
Beim innigen Zungenkuss steigt die Aktivität im Belohnungszentrum deutlich: Dopamin sorgt für Lust und Euphorie, Serotonin für Wohlgefühl. Die Atmung wird tiefer, der Herzschlag schneller. 30 Gesichtsmuskeln arbeiten gleichzeitig, Immunzellen werden aktiviert, sogar der Schmerz kann kurzzeitig reduziert werden – ein körpereigener „High“-Zustand, der evolutionär vermutlich Paarbindung stärken soll.
| Aspekt | Kurzer Kuss | Langer Kuss |
| Speichelaustausch | gering | hoch |
| Hormonausschüttung | leicht erhöht | stark |
| Risiko für Infektionen | minimal | erhöht |
| Psychische Wirkung | Nähe, Stabilität | Leidenschaft, Bindung |
| Körperliche Reaktion | leichte Entspannung | starke Aktivierung |
Welche Krankheiten können beim Küssen übertragen werden?
Küssen gilt medizinisch als niedrig riskant, aber nicht risikofrei. Entscheidend ist Intensität und der Austausch von Speichel. Häufig und meist harmlos ist der Transfer von Erkältungsviren (Rhinoviren, Adenoviren). Menschen, die sich regelmäßig und dabei gelegentlich auch inniger küssen, müssen damit rechnen, dass sie öfter einmal gleichzeitig Schnupfen haben.
Problematischer wird es dann schon bei Influenza. Der Austausch von Grippeviren passiert zwar nur selten, ist aber möglich. Das gilt ebenfalls für Magen-Darm-Viren wie zum Beispiel das Norovirus, das selten, aber immerhin nachweisbar per Küssen überspringen kann. Das Pfeiffersche Drüsenfieber (EBV) ist klassisch als „Kusskrankheit“ bekannt. Herpes simplex Typ 1 (Lippenherpes) ist übrigens auch ohne sichtbare Bläschen übertragbar.
Kann man Karies „küssen“? Ja und nein. Kariesbakterien (Streptococcus mutans) sind übertragbar – etwa 80 Millionen Bakterien inklusive der Kariesverursacher können bei einem zehnsekündigen Kuss den Besitzer wechseln. Die Übertragung funktioniert häufiger als gedacht von Erwachsenen auf Kinder. Aber: Jeder hat diese Bakterien ohnehin schon im Mund und da kann die zusätzliche Menge an Bakterien durch einen langen, intimen Kuss nicht sonderlich viel verändern. Bein Karies kommt es vor allem auf den Zuckerkonsum und die Mundhygiene an.
Ernsthafte Infektionen können beim Küssen vor allem und eher theoretisch über die Schleimhäute übertragen werden. Bei Meningokokken passiert das selten, ist aber möglich. Das Cytomegalievirus (CMV) zählt zu den Herpesviren und verbleibt ein Leben lang im Körper. Die Übertragung von Hepatitis B geschieht nicht durch einen normalen Kuss, dazu bedarf es schon offener Schleimhautverletzungen im Mund. Wenn offene Läsionen im Mund bestehen, kann auch die Syphilis übertragen werden.
Wie riskant ist ein kurzer Abschiedskuss? Da hierbei kaum Speichel ausgetauscht wird, ist das Risiko sehr gering. Das steigt aber beim intensiven Zungenkuss, weil hier der Speichelaustausch groß ist, mögliche Mikroverletzungen ein offenes Einfallstor für Bakterien sind und generell eine höhere Viruslast weitergegeben wird.
Die positiven Effekte des Küssens
Medizinisch:
- Küssen stärkt nachweislich das Immunsystem,
- senkt den Blutdruck,
- reduziert Stresshormone,
- setzt Endorphine frei,
- kann Schmerzen lindern und
- fördert durch Training der Gesichtsmuskeln die Durchblutung.
Psychisch und sozial:
- Küssen stärkt Bindung und Partnerschaft,
- erhöht das Vertrauen,
- verbessert die Stimmung,
- fördert positive Beziehungsskripte und
- steigert das Selbstwertgefühl, insbesondere zu Beginn einer Beziehung.
Küssen ist ein biologisches Multitool: Es verbindet, beruhigt, bewertet den Partner und stärkt das Immunsystem. Kein anderer kurzer Körperkontakt leistet so viel.
Negative Aspekte – wenn Küssen nicht einvernehmlich ist
Ungewolltes Küssen in der Familie – wenn Omas und Tanten knutschen
Für kleine Kinder bedeutet unfreiwilliger Körperkontakt durch Küssen
- Kontrollverlust,
- Überschreitung persönlicher Grenzen und
- mögliche Verunsicherung der späteren körperlichen Autonomie.
Pädagogen empfehlen daher, Kinder entscheiden zu lassen, ob sie sich küssen lassen wollen.
Auf Partys und in überschwänglichen Situationen
Ungewollte Küsse können
- emotional verletzend sein,
- Grenzüberschreitungen darstellen und
- strafrechtlich relevant werden (sexuelle Belästigung).
Evolutionärer Hintergrund: Warum küssen wir überhaupt?
Es gibt zwei Haupttheorien:
1. „Mund-zu-Mund-Fütterung“-Hypothese
In frühen Zeiten fütterten Mütter Babys durch vorgekauten Speisebrei. Der enge Lippenkontakt könnte sich zu einem Intimitätssignal entwickelt haben.
2. Partnerwahl-Biochemie
Speichel enthält chemische Hinweise auf Immunsystem, Hormone und Krankheitserreger. Beim Küssen „erschnuppert“ der Körper unbewusst: Passt dieser Mensch zu mir? Ist er gesundheitlich stabil? Sind wir genetisch kompatibel? Küssen hätte damit einen Fortpflanzungsvorteil geboten.
Gut zu wissen…
- Menschen verbringen im Durchschnitt 14 Tage ihres Lebens mit Küssen.
- Ein leidenschaftlicher Kuss verbrennt bis zu 6 Kalorien pro Minute.
- In Frankreich gab es einst einen „Treue-Test-Kuss“ am Hof des 15. Jahrhunderts.
- Der bisher längste dokumentierte Kuss dauerte 58 Stunden (Thailand, 2013).
Küssen in der Geschichte – von der Antike bis heute
Andere Zeiten, andere Kussgewohnheiten. Römer unterschieden drei Arten des Kusses: Osculum (freundschaftlich), Basium (zärtlich) und Suavium (leidenschaftlich). In Indien taucht der Kuss in der Literatur des Kamasutra auf. Im Mittelalter war das Küssen eher ritualisiert: Hofküsse, Friedensküsse, Handküsse. In Europa galt damals der Mundkuss unter Liebenden als hochintim.
In Zeiten der Industrialisierung und einer sittenstrengen bürgerlichen Moral (19. Jahrhundert) wurde Küssen in der Öffentlichkeit teilweise verpönt. In unserer Zeit hat Hollywood den Filmkuss zum globalen Symbol der Liebe gemacht. Heute ist Küssen weitgehend enttabuisiert – aber kulturell sehr unterschiedlich gewertet und in machen Ländern in der Öffentlichkeit nicht erlaubt.
Küssen ist eines der stärksten Symbole der Moderne. Küssen prägt popkulturelle Vorstellungen von Liebe wie kaum etwas anderes. Großen Anteil daran hat der Filmkuss im Kino und im Fernsehen.
- Marilyn Monroe und Clark Gable machten den Kuss glamourös.
- Der erste „Star Trek“-Kuss zwischen Weiß und Schwarz war Meilenstein der TV-Geschichte.
- Disney-Filme kultivierten den „magischen Kuss“.
- Social Media verbreitete „First Kiss“-Viralvideos als Intimitätsmoment.
Wo ist Küssen erlaubt und wo ist es verboten?
In Deutschland ist das Küssen in der Öffentlichkeit erlaubt. Verboten ist lediglich das Küssen als Teil einer sexuellen Belästigung oder Küssen von Minderjährigen durch Erwachsene. In vielen muslimisch geprägten Ländern ist Küssen in der Öffentlichkeit verboten oder wird sanktioniert. In Teilen Indiens gibt es regionale Regeln gegen öffentliches Küssen. In Europa und Nordamerika ist es erlaubt, außer in bestimmten religiösen Kontexten.
In Frankreich gilt ein intensiver Kuss als Liebesbeweis, in Lateinamerika genießt der Kuss einen hohen Stellenwert als Ausdruck körperlicher Nähe. Während in Japan und China Küssen selbst unter Liebenden in der Öffentlichkeit selten praktiziert wird, sind Liebesküsse im arabischen Raum tabu. Freundschaftsküsse von Mann zu Mann sind aber üblich und nicht sanktioniert.
Tipps fürs richtige Küssen zum richtigen Zeitpunkt
- Auf Körpersprache achten: Nur küssen, wenn beide entspannt wirken.
- Langsam nähern: zu schnelle Bewegungen wirken invasiv.
- Druck dosieren: Lippen weich, nicht verkrampft.
- Atmung abstimmen: wirkt harmonischer.
- Pause halten: Kleine Unterbrechungen steigern Intensität.
- Frische nicht unterschätzen: Es gibt keinen Pfefferminz-Zwang, aber ein Knoblauch-Sturm könnte abtörnen.
- Timing: Wenn Verbindung und Blickkontakt stimmen, ist der Moment richtig. tok