„Wir brauchen außerdem dringend Zugänge zu kostenlosen Verhütungsmitteln. Jugendliche haben wenig Geld, Kondome sind teuer“, sagt Ulf Kristal vom Vorstand der Deutschen Aisdhilfe. Während Umfragen auf eine gewissen Kondom-Müdigkeit hinweisen, steigen die Fallzahlen bei den Geschlechtskrankheiten. Foto: FreepikCompany/stock.adobe.com

Zugang zu sexueller Bildung und Verhütungsmitteln für Jugendliche verbessern

Die Weltgesundheitsorganisation WHO hat darauf hingewiesen, dass der Kondomgebrauch bei Jugendlichen in Europa in den vergangenen zehn Jahren deutlich zurückgegangen ist. In 2022 berichteten in Deutschland 59 Prozent der sexuell aktiven Jungen und 58 Prozent der Mädchen, beim letzten Sex ein Kondom verwendet zu haben. 2014 waren es noch 72 Prozent der Jungen und 68 Prozent der Mädchen gewesen.

Aufklärung muss ausgebaut werden

„Junge Menschen brauchen Aufklärung und geschützte Räume für die Auseinandersetzung mit ihrer Sexualität. Ein unterstützender, respektvoller Umgang ist dabei eine unverzichtbare Voraussetzung, sexuelle Orientierung und Geschlechtsidentität sind wichtige Themen. Insbesondere Schulen müssen geschützte Räume mit Anleitung von externen Fachleuten bereitstellen. Nur so können junge Menschen ein positives Verhältnis zu ihrer Sexualität und geeigneten Schutzmethoden aufbauen. Alle Jugendlichen müssen Zugang dazu haben“, sagt Ulf Kristal vom Vorstand der Deutschen Aidshilfe (DAH).
Aber, so Kristal weiter: „Solche Angebote waren noch nie ausreichend vorhanden und werden in letzter Zeit teilweise durch Sparmaßnahmen zurückgefahren. Das ist eine fatale Entwicklung. Wer Aufklärung und sexuelle Bildung reduziert, darf sich über einen Rückgang beim Schutz vor HIV, Geschlechtskrankheiten und unerwünschter Schwangerschaft nicht wundern.“

Freier Zugang zu Verhütungsmitteln für alle

„Wir brauchen außerdem dringend Zugänge zu kostenlosen Verhütungsmitteln. Jugendliche haben wenig Geld, Kondome sind teuer. Die Bundesregierung hat im Koalitionsvertrag angekündigt, die Finanzierung von Verhütungsmitteln für Menschen mit wenig Geld auch über die Krankenkassen zu ermöglichen. Das ist überfällig. Für Jugendliche braucht es außerdem andere, vollkommen anonyme Wege, sich mit Verhütungsmitteln zu versorgen.“

In Frankreich ist man da schon etwas weiter. Hier gibt es eine kostenfreie Abgabe von Kondomen in Apotheken an unter 26-Jährige. So soll die Ausbreitung von sexuell übertragbaren Erkrankungen wie Hepatitis B, Chlamydien oder die rasant zunehmende Syphilis gestoppt werden. „Kondome schützen effektiv vor der Verbreitung sexuell übertragbarer Krankheiten, die gravierende gesundheitliche Folgen haben können. Zum Schutz von Jugendlichen und jungen Erwachsenen sollten deshalb auch in Deutschland Kondome für alle Menschen bis 26 Jahren in Apotheken kostenfrei erhältlich sein“, sagt Andreas Storm, Vorstandschef der DAK-Gesundheit.

Laut Forsa-Umfrage im Auftrag der DAK-Gesundheit glauben fast zwei Drittel der Deutschen, dass mehr Menschen Kondome verwenden würden, wenn diese gratis verfügbar wären (63 Prozent). Insbesondere Befragte unter 45 Jahren sind der Meinung, dass Kostenlos-Kondome häufiger genutzt würden (75 Prozent).

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Weitere Informationen
In diesem Video der Deutschen Aidshilfe werden Möglichkeiten beschrieben, HIV-Übertragungen beim Sex zu vermeiden. Der Klassiker ist und bleibt aber das Kondom, das bei vielen Geschlechtskrankheiten als wichtigstes Schutzmittel gilt.

Geschlechtskrankheiten wieder auf dem Vormarsch

Es gibt verschiedene Gründe, warum sich Geschlechtskrankheiten ausbreiten. Eine gewisse Kondom-Müdigkeit könnte einer dieser Gründe sein. Zumindest legen das Umfragen nahe. Dass dies verheerende Folgen haben kann, zeigt das Beispiel der Syphilis-Erkrankungen.

Eigentlich konnte man lange Zeit das Gefühl haben, dass diese Geschlechtskrankheit nicht mehr für Aufsehen sorgen könnte. Seit Ende der 1970er-Jahre bis Anfang der 1990er-Jahre war ein Rückgang der Syphilis-Meldungen zu verzeichnen, der sich mit dem Auftreten von AIDS (Mitte der 1980er-Jahre) weiter beschleunigte. Mit Inkrafttreten des Infektionsschutzgesetzes (IfSG) am 1. Januar 2001 müssen neu diagnostizierte, behandlungsbedürftige Syphilis-Infektionen an das Robert Koch-Institut (RKI) gemeldet werden – zuvor wurden diese über das Meldewesen der DDR erhoben. Während sich zwischen den Jahren 2004 und 2008 die Syphilis-Meldezahlen auf einem Niveau von etwa 4000 pro Jahr stabilisierten, steigt die Anzahl der gemeldeten Syphilis-Fälle seit 2010 bis 2019 annähernd kontinuierlich an.

Während der COVID-19-Pandemie kam es 2020 und 2021 erstmals gegenüber dem jeweiligen Vorjahr zu einem Rückgang der Syphilis-Meldungen. Aber: Mit einem Anstieg um 23,1 % (8305 Fälle) erreichte die Anzahl der Syphilis-Fälle in 2022 in Deutschland einen neuen Höchststand. Die seit 2010 zu beobachtende deutliche Zunahme der Fallzahlen setzt sich also weiter fort.

Und wie sieht es bei Aids aus? Im Epidemiologischen Bulletin 28/2024 wird die Anzahl der HIV-Neuinfektionen in Deutschland sowie bei Menschen deutscher Herkunft, die sich im Ausland mit HIV infiziert haben, für das Jahr 2022 auf 1900 und für das Jahr 2023 auf 2200 geschätzt und liegt damit 2023 etwa auf dem Niveau von 2019 vor der COVID-19-Pandemie. Auch hier kann also ein ansteigender Trend beobachtet werden.

Die Fall-Zahlen für das Jahr 2023 (erstes Halbjahr) sind bei den Syphilis- und HIV-Infektionen nur eine Momentaufnahme, da das Jahr noch nicht abgeschlossen ist. Bis 2022 ist jedoch ein rasanter Anstieg der Syphilis-Fälle zu verzeichnen, während der Anstieg der HIV-Infektionen zwar Grund zur Sorge gibt, aber dennoch ein langsameres Zuwachstempo aufweist. Auch in der zweiten Jahreshälfte von 2023 dürften die Zahlen weiter in die Höhe steigen, da zum Beispiel hier in der Sommerferienzeit eingefangene Infektionen hinzukommen. Quelle: Robert Koch-Institut/Grafik: Statista.com

Angebote zur Aufklärung Jugendlicher

Viele Mitgliedsorganisationen der Deutschen Aidshilfe und andere Organisationen machen Angebote zu Aufklärung und sexueller Bildung in Schulen. Die Adressen lokaler Aidshilfe-Organisationen sind unter www.kompass.hiv zu finden.

Leicht zugängliche Basis-Informationen für junge Leute bietet auch die Deutsche Aidshilfe selbst, zum Beispiel in Kurzvideos. pm/tok