Wenn die Angst zum lähmenden Gefühl wird, das in jeder Situation und bei jedem Anlass und auch völlig grundlos auftreten kann, dann ist das für Betroffene emotional und körperlich sehr erschöpfend. Das kann zu depressiven Verstimmungen, Konzentrations- und Schlafstörungen führen. Foto: Pixel-Shot/stock.adobe.com

Wenn Panik den Alltag prägt: Starke Zunahme bei Angststörungen in Baden-Württemberg

Plötzliches Herzrasen, Brustschmerz, Erstickungsgefühle, Schwindel, Panik: Immer mehr Menschen in Baden-Württemberg leiden an Angststörungen. Laut Hochrechnung der KKH Kaufmännische Krankenkasse waren dort 2023 rund 730.000 Menschen betroffen. Mit Blick auf 2008 bedeutet das einen Anstieg um knapp 90 Prozent.

Zum Vergleich: Im Jahr 2008 diagnostizierten Ärzte bei 3,4 Prozent der KKH-Versicherten im Südwesten chronische Angstzustände, Panikattacken & Co., 2013 waren es 4,7 Prozent, 2018 lag der Anteil bereits bei 5,7 und 2023 schließlich bei 6,4 Prozent – eine kontinuierliche Steigerung also. Im Bundesländervergleich liegt Baden-Württemberg im oberen Mittelfeld und somit deutlich über dem Bundesdurchschnitt von gut 77 Prozent. Den stärksten Anstieg verzeichnet die KKH mit rund 111 Prozent in Sachsen, den geringsten hingegen mit gut 62 Prozent in Hessen.

2008 diagnostizierten Ärzte bei 3,4 Prozent der KKH-Versicherten im Südwesten chronische Angstzustände, Panikattacken und ähnliche Störungen. 2023 waren es schon 6,4 Prozent – ein Anstieg um knapp 90 Prozent. Grafik: KKH

Angst – Schutzschild oder Belastung?

Doch warum nehmen Ängste derart zu? Die Gründe dafür sind vielfältig. Neben genetischen und neurobiologischen Einflüssen spielen auch psychische Faktoren wie traumatische Kindheitserlebnisse etwa in Form von körperlicher oder seelischer Gewalt eine Rolle. Als Risiken für Angststörungen gelten aber auch langanhaltende Belastungen und chronischer Stress, etwa bedingt durch den politischen und gesellschaftlichen Dauerkrisenmodus der vergangenen Jahre, andauernde berufliche Belastungen oder Konflikte in der Familie.

„Jeder Mensch hat manchmal Angst. Das ist ganz natürlich. Angst hat auch eine wichtige Schutzfunktion. Sie versetzt den Körper in Alarmbereitschaft, damit er in Gefahrensituationen schnell reagieren kann. So dienen Herzrasen und beschleunigte Atmung dazu, einen Teil des vegetativen Nervensystems zu aktivieren und uns auf eine Kampf- oder Fluchtreaktion vorzubereiten“, erläutert Dr. Aileen Könitz, Ärztin und Expertin für psychiatrische Fragen bei der KKH. Aber auch Sorgen um die Arbeit, die Familie oder die Zukunft können in gewisser Weise schützen. Solange sie sich in einem gesunden Maß bewegen und nicht Überhand nehmen, können sie helfen, Risiken richtig einzuschätzen, unbedachte Handlungen und kritische Situationen zu vermeiden.

Wenn die Angst um Sicherheit und Frieden, die Sorge vor dem Jobverlust oder die Angst vor dem Zerfall der Familie jedoch immer mehr den Alltag bestimmt alles andere überschattet und sich nicht mehr kontrollieren lässt, kann sie zu einer großen Belastung werden statt zu schützen.

Wenn eine spezielle Angst plötzlich zum omnipräsenten Alltagsgefühl wird

Das trifft vor allem auf Menschen zu, die eine geringere Widerstandskraft haben und anfälliger für psychische Erkrankungen sind. „Viele Betroffene entwickeln eine sogenannte generalisierte Angststörung“, erläutert Aileen Könitz. „Das heißt, die Ängste lassen sich irgendwann nicht mehr auf bestimmte Dinge oder Situationen beschränken, sondern sind einfach immer präsent, häufig übersteigert und realitätsfern.“

Menschen mit einer solchen Diagnose können sich zum Beispiel in einem Augenblick fürchten, dass ihr Partner auf dem Weg zur Arbeit überfallen wird oder ihr Kind auf dem Schulweg einen Unfall erleidet. Im nächsten Moment denken sie, dass sie selbst schwer erkranken könnten oder das eigene Haus abbrennt. Sie machen sich praktisch über alles Sorgen, auch über weniger gravierende Dinge, etwa, dass der Bus zu spät kommt oder sie ihren Schlüssel verlieren könnten.

„Emotional und körperlich sehr erschöpfend“

Die ständigen Befürchtungen schränken das Leben stark ein und beeinflussen das alltägliche Verhalten erheblich. Betroffene ziehen sich häufig immer mehr zurück, was zu sozialer Isolation führen kann. „Sich ständig zu ängstigen, ist auch emotional und körperlich sehr erschöpfend. Depressive Verstimmungen, Konzentrations- und Schlafstörungen können die Folge sein“, erläutert Aileen Könitz.

Allein aus diesem Teufelskreis auszubrechen, ist für Betroffene meist unmöglich. Deshalb rät die Expertin zu professioneller Hilfe. Der erste Weg führt in der Regel zum Hausarzt, der dann bei Bedarf an Fachmediziner überweisen kann.    pm

Info

Die KKH hat Daten zu Angststörungen (F41 nach ICD-10) für die Jahre 2008, 2013, 2018 und 2023 ausgewertet. 2023 waren bundesweit und altersübergreifend rund 107.700 KKH-Versicherte von Angststörungen betroffen – hochgerechnet auf ganz Deutschland rund 5,5 Millionen Menschen. Das entspricht einem Anteil von rund 6,5 Prozent. Die KKH informiert rund um das Thema Angststörungen:

Angststörungen: Was steckt dahinter? | KKH

Mental Health | KKH