
Tuberkulose ist weltweit die führende infektiöse Todesursache. Global starben 2023 laut WHO rund 1,25 Millionen Menschen daran. Droht nun eine Epidemie durch gegen mehrere Antibiotika resistente TB-Bakterien? Foto: Dr_Microbe/stock.adobe.com
Wachsende TB-Resistenzen: Sind wir bald wehrlos gegen eine Tuberkulose-Epidemie?
Tuberkulose (TB) ist heilbar – und doch bleibt sie weltweit eine der gefährlichsten Infektionskrankheiten. Seit 2023 führt sie wieder die traurige Statistik der tödlichsten Infektionskrankheiten an. Und jetzt warnt auch noch eine aktuelle Studie vor dem Beginn einer Epidemie der extensiv resistenten Tuberkulose (XDR-TB) in Europa, die Ärzte ohne wirksame Medikamente zur Behandlung von Tuberkulose zurücklassen könnte.
Die Gefahr lauert in der Atemluft
TB-Erreger (Mycobacterium tuberculosis) verbreiten sich über feinste Aerosole in der Luft. Sie entstehen, wenn eine ansteckende Person mit Lungen- oder Kehlkopftuberkulose hustet, spricht, lacht oder singt. In schlecht gelüfteten Innenräumen können diese Partikel über Minuten bis Stunden schweben und eingeatmet werden. Eine Ansteckung über Hände, Flächen, Lebensmittel oder kurze Außenkontakte gilt als sehr unwahrscheinlich – entscheidend ist die gemeinsame Atemluft. Kleiner Trost: Nicht jede Exposition führt zur Erkrankung: Häufig bleibt es bei einer latenten Infektion ohne Beschwerden.
Nach dem Einatmen gelangen die Bakterien in die Lunge und werden von Fresszellen aufgenommen. Das Immunsystem kapselt die Erreger ein – es entstehen Granulome. In dieser Phase sprechen Fachleute von einer latenten TB-Infektion: Der Mensch fühlt sich gesund, Röntgenbilder sind oft unauffällig, eine Ansteckungsgefahr besteht nicht. Erst wenn das Gleichgewicht kippt – etwa durch eine geschwächte Abwehr, Unterernährung oder Begleiterkrankungen – können sich die Bakterien vermehren und eine aktive, ansteckende Tuberkulose entwickeln.
Vielfältige Symptome, verschiedene Diagnosemöglichkeiten
Warnsignale einer Lungen-TB sind Husten länger als zwei bis drei Wochen, mitunter mit Auswurf oder Blutspuren, dazu Fieber, Nachtschweiß, Müdigkeit, Gewichtsverlust und Leistungsverlust. Nicht jede TB betrifft die Lunge: Lymphknoten, Knochen, Harnwege oder das zentrale Nervensystem können ebenfalls betroffen sein; dann sind die Symptome entsprechend vielfältig. Wichtig: Die latente Tuberkulose macht keine Beschwerden – sie fällt nur in Tests auf und ist nicht ansteckend.
Der Weg zur Diagnose beginnt bei Verdacht mit einer Röntgenaufnahme des Brustkorbs und mikrobiologischen Untersuchungen von Sputum (Auswurf) oder anderen Proben. Molekulare Schnelltests (zum Beispiel Xpert MTB/RIF) weisen Erreger-DNA nach und erkennen gleichzeitig häufige Resistenzmuster (zum Beispiel Rifampicin-Resistenz). Kultur und Resistenztestung bleiben Goldstandard, dauern aber länger. Für den Nachweis einer latenten Infektion kommen Interferon‑Gamma‑Tests (IGRA) oder der Tuberkulinhauttest zum Einsatz – sie zeigen eine Immunreaktion, beweisen aber keine Erkrankung.
WHO: Global 1,25 Millionen TB-Todesfälle pro Jahr
Unbehandelt kann eine aktive Tuberkulose schwere Lungenschäden, Organbefall und Komplikationen verursachen. Global starben 2023 laut WHO rund 1,25 Millionen Menschen an der früher Schwindsucht genannten TB; damit ist sie erneut die führende infektiöse Todesursache. In Ländern mit guter Gesundheitsversorgung sind Sterblichkeit und schwere Verläufe dank früher Diagnose und wirksamer Therapien deutlich niedriger.
Laut WHO gab es 2023 rund 8,2 Millionen Menschen mit diagnostizierter TB, die Zahl der tatsächlich Erkrankten dürfte bei etwa 10,8 Millionen liegen. In Deutschland wurden 2023 laut Robert Koch-Institut gut 4481 Tuberkuose-Fälle registriert. Die Inzidenz liegt bei 5,3 Fällen pro 100.000 Einwohner. Insgesamt bewegen sich die Zahlen hierzulande auf moderatem Niveau. Je früher eine TB diagnostiziert und je professioneller und konsequenter die Infektion behandelt wird, desto größer sind die Heilungschancen. Vor allem aber gilt: Jede erfolgreich behandelte TB unterbricht mehrere potenzielle Ansteckungsketten.
Wie wird Tuberkulose behandelt?
Bei empfindlichen (nicht resistenten) Erregern stehen heute zwei gut wirksame Optionen zur Verfügung: die bewährte 6‑Monats‑Therapie sowie für geeignete Patienten eine moderne 4‑Monats‑Kombination mit Rifapentin, Isoniazid, Moxifloxacin und Pyrazinamid. Entscheidend sind regelmäßige Einnahme, Begleitkontrollen und das Management von Wechselwirkungen (zum Beispiel bei HIV‑Therapie).
Bei multiresistenter Tuberkulose (MDR/RR‑TB) haben sich in den vergangenen Jahren kürzere, vollständig orale Schemata etabliert. Ein wichtiges Beispiel ist die 6‑Monats‑Therapie mit Bedaquilin, Pretomanid, Linezolid und Moxifloxacin (BPaLM) – je nach Resistenzlage und Eignung.
Aber: Aus der Republik Moldau, einem der Länder mit der weltweit höchsten Belastung durch resistente Tuberkulose, kommen bedenkliche Nachrichten. Eine aktuelle Studie mit Förderung des Deutschen Zentrums für Infektionsforschung (DZIF) liefert erstmals landesweite Belege in der nördlichen Hemisphäre für das Auftreten von Resistenzen gegen die Medikamente der WHO-Gruppe A – das Rückgrat der heutigen Tuberkulose-Behandlung. Das heißt: Sollte es zu einer Epidemie der extensiv resistenten Tuberkulose (XDR-TB) in Europa kommen, gibt es so gut wie keine Medikamente, um die TB-Opfer zu behandeln. Die Zahl der TB-Todesfälle würde in die Höhe schnellen.
Unkontrollierte Ausbreitung durch wachsende Resistenzen
Die Analyse von mehr als 1000 Patienten, die zwischen 2021 und 2022 behandelt wurden, ergab, dass bei 40 Prozent derer, bei denen die Therapie fehlschlug, die Tuberkulosebakterien neue Resistenzen entwickelten. Unter diesen Fällen waren die Raten alarmierend hoch: 75 Prozent der Patienten mit Therapieversagen trugen Fluorchinolon-resistente Stämme, 40 Prozent zeigten eine Resistenz gegen Bedaquilin, und 38 Prozent waren resistent gegenüber Linezolid. Zuvor war eine Resistenz gegen Bedaquilin, das wichtigste Medikament in der Behandlung der resistenten Tuberkulose, vor allem in Südafrika dokumentiert worden.
Die moldauischen Daten zeigen nun, dass das landesweite Auftreten von Resistenzen gegen WHO-Gruppe-A-Medikamente auch in Europa stattfindet und die Befürchtung einer unkontrollierten Ausbreitung weckt. „Diese Ergebnisse sind ein Weckruf“, sagt Studienleiter Dr. Dumitru Chesov von der Staatlichen Universität für Medizin- und Pharmazie in Chișinãu, Republik Moldau, der gleichzeitig als Wissenschaftler am Forschungszentrum Borstel, Leibniz-Lungenzentrum, in Deutschland arbeitet. „Die Resistenz nimmt gerade gegen die Medikamente zu, die das Rückgrat der Behandlungsregime für Patienten mit resistenter Tuberkulose bilden. Ohne dringende Maßnahmen könnte XDR-TB in der WHO-Region Europa zu einer verheerenden Epidemie werden.“
Studien-Seniorautor fordert schnelles Handeln bei der Resistenzüberwachung
„Die Studie fordert sofortiges Handeln zur Stärkung der Resistenzüberwachung, zur Sicherstellung der Therapietreue und zur Anpassung individualisierter Behandlungsschemata“, ergänzt Seniorautor Prof. Christoph Lange, Medizinischer Direktor am Forschungszentrum Borstel. „
Gleichzeitig muss die Entwicklung neuer Medikamente und Behandlungskombinationen, wie sie vom EU-IMI finanzierten UNITE4TB-Konsortium verfolgt werden, beschleunigt werden. Es ist nun entscheidend, eine Agenda für antimikrobielle Stewardship bei Tuberkulose in Europa umzusetzen, um das Entstehen neuer Resistenzen zu bekämpfen und die verbleibenden wirksamen Medikamente zu bewahren. XDR-TB ist keine ferne Möglichkeit mehr, sie findet bereits jetzt in Europa statt“, so Lange.
Was kann man präventiv gegen Tuberkulose tun?
Das A und O ist die Luftqualität: Räume regelmäßig und wirksam lüften, Ansammlungen von Menschenansammlungen in engen, schlecht belüfteten Innenräumen vermeiden und in Hochrisiko-Situationen einen Atemschutz nutzen. Frühe Diagnose und Therapie unterbrechen Übertragungsketten. Enge Kontaktpersonen von TB‑Erkrankten sollten ärztlich beraten werden; bei nachgewiesener latenter Infektion kann eine vorbeugende Behandlung das Erkrankungsrisiko deutlich senken.
Die BCG‑Impfung schützt vor allem Säuglinge und Kleinkinder wirksam vor schweren TB‑Formen und wird in Ländern mit hoher TB‑Belastung standardmäßig empfohlen. Der Impfstoff besteht aus abgeschwächten Rindertuberkulose-Bakterien. In Deutschland wird die Impfung seit 1998 von der STIKO (Ständige Impfkommission) nicht mehr empfohlen, da das TB-Risiko hierzulande zu gering ist. Empfohlen wird die Impfung nur noch für Personen mit hohem TB-Risiko, etwa Kleinkindern aus Ländern mit hoher TB-Prävalenz. Das aber könnte sich mit der Ausbreitung der extensiv resistenten Tuberkulose (XDR‑TB) in den kommenden Jahren vielleicht ändern. tok/pm