Wie bringt man junge Medizinstudenten dazu, als Hausarzt auf dem Land zu arbeiten, da, wo gerade ein Praxissterben die ärztliche Versorgung in die Krise führt? Zum Beispiel mit der Landarztquote des Landes Baden-Württemberg, die einen vereinfachten, schnellen Zugang zum Medizinstudium mit zehnjähriger Hausarzt-Verpflichtung verbindet. Foto: Goran/stock.adobe.com
Vereinfacht zum Medizinstudium: So löst der Südwesten mit der Landarztquote die Hausarztkrise
Vor wenigen Tagen konnte das Regierungspräsidiums Stuttgart die Liste mit den 75 ausgewählten Studierenden des vierten Durchgangs der Landarztquote an die Stiftung für Hochschulzulassung übermitteln. Der bestplatzierte Bewerber hatte 177 von 200 möglichen Punkten erreicht und sicherte sich so einen Medizinstudienplatz in Tübingen.
2024 bewarben sich insgesamt 390 Personen für die 75 Medizin-Studienplätze, 2023 waren es 423. Für die zweite Runde – die persönlichen Auswahlgespräche – wurden schließlich 160 Personen eingeladen.
„Es ist wirklich sehr erfreulich, dass wir wieder viele Bewerberinnen und Bewerber hatten, die Engagement und Herz für die hausärztliche Tätigkeit in ländlichen Regionen zeigen. Das ist das, was unser Land braucht, um die hausärztliche Versorgung aufrechtzuerhalten. Den erfolgreichen Bewerberinnen und Bewerbern gratuliere ich herzlich zu ihrem Studienplatz und bedanke mich für ihre Einsatzbereitschaft, ihren zukünftigen beruflichen Werdegang im ländlichen Raum auszuüben.“
Manne Lucha, baden-württembergischer Sozial- und Gesundheitsminister
Kein Super-Abi nötig, aber dafür eine zehnjährige Hausarzt-Verpflichtung
Die Landarztquote ist eine Vorabquote bei der Zulassung zum Studium der Humanmedizin und beruht auf dem „Gesetz zur Unterstützung der Sicherstellung der hausärztlichen Versorgung in Bereichen des öffentlichen Bedarfs in Baden-Württemberg“ (Landarztgesetz). Das Regierungspräsidium Stuttgart ist für die Umsetzung und das Bewerbungsverfahren in Baden-Württemberg zuständig.
Jährlich können bis zu 75 Studienplätze an Bewerber vergeben werden, die sich im Gegenzug dazu verpflichten, nach dem Studium und der Facharztweiterbildung für mindestens zehn Jahre als Hausärztin oder Hausarzt in einem unterversorgten oder von Unterversorgung bedrohten Gebiet (Bedarfsgebiet) zu arbeiten. Abgesichert wird diese Verpflichtung durch einen öffentlich-rechtlichen Vertrag sowie einer darin festgelegten Vertragsstrafe von bis zu 250.000 Euro für den Fall des Vertragsbruchs.
Das Regierungspräsidium Stuttgart ist landesweit für die Durchführung der Landarztquote verantwortlich. Die Vergabe der Studienplätze ist dabei weder von der Abi-Note noch von Wartezeiten abhängig. Im Rahmen des zweistufigen Auswahlverfahrens werden zunächst für die folgenden Kriterien bis zu 100 Punkte vergeben:
- das Ergebnis im Test für medizinische Studiengänge (TMS)
- eine abgeschlossene Ausbildung und/oder Tätigkeit in einem medizinnahen Beruf
- ein abgeleisteter zwölf-monatiger Freiwilligendienst mit Patientenkontakt
- eine zweijährige ehrenamtliche Tätigkeit mit Patientenkontakt
Die rund 150 Bewerberinnen und Bewerber mit den meisten Punkten erreichen die zweite Stufe und werden zu Auswahlgesprächen eingeladen. Auch 2024 wurden 160 Personen zur zweiten Runde eingeladen. Eine fachkundige Auswahlkommission aus Hochschullehrern, Vertretern der hausärztlichen Versorgung sowie Personen mit ärztlicher Sachkunde bewertet bei den Gesprächen die persönliche Eignung und Motivation der Bewerberinnen und Bewerber für eine hausärztliche Tätigkeit. Dabei werden bis zu 100 weitere Punkte vergeben.
Die 75 Bewerberinnen und Bewerber mit den höchsten Gesamtpunktzahlen aus beiden Auswahlstufen erhalten dann einen Studienplatz an einer der fünf baden-württembergischen Medizinfakultäten in Freiburg, Heidelberg, Mannheim, Tübingen und Ulm.
„Junge Ärztinnen und Ärzte zieht es oftmals in die Städte und Ballungsgebiete. Hier setzen wir seit 2021 mit der Landarztquote an. Wir freuen uns über die große Anzahl sehr guter Bewerbungen von Menschen, die sich ihren Traum vom Medizinstudium erfüllen und als Landärztin beziehungsweise Landarzt arbeiten möchten. Allen Ausgewählten danke ich für ihr Engagement und gratuliere ihnen zum Studienplatz.“
Susanne Bay, Regierungspräsidentin des Regierungsbezirks Stuttgart
Vielfältiges Bewerberfeld zwischen 19 und 38 Jahren
Die jüngste erfolgreiche Bewerberin ist gerade einmal 19 Jahre alt. Sie konnte in der ersten Runde vor allem durch ein gutes Ergebnis im sogenannten TMS-Test – einem fachspezifischen Studieneignungstest – punkten und war zudem mehrere Jahre ehrenamtlich tätig. Anders die mit 38 Jahren in dieser Runde älteste erfolgreiche Bewerberin: Sie hatte zwar keinen TMS-Test eingereicht, schaffte es jedoch dank ihrer langjährigen Berufserfahrung als Gesundheits- und Krankenpflegerin ebenfalls in die zweite Runde.
In diesem Jahr hatten 43 Prozent der erfolgreichen Bewerber bereits eine Ausbildung in einem gesundheitsnahen Beruf abgeschlossen (vergangenes Jahr waren es nur etwas mehr als ein Drittel), die meisten davon im Pflegebereich oder als Notfallsanitäter. Deutlich gestiegen ist auch der Anteil der erfolgreichen Bewerber mit TMS-Test: Waren es 2023 noch 63 Prozent, hatten dieses Mal fast 80 Prozent der künftigen Landärzte den zweimal jährlich angebotenen Studieneignungstest absolviert und damit auf der ersten Stufe des Auswahlverfahrens durchschnittlich 44 Punkte erreicht.
Und es geht weiter: Auch im nächsten Jahr werden wieder 75 Medizin-Studienplätze für künftige Landärztinnen und Landärzte vergeben. Gemeinden und Landkreise können gerne aktiv vor Ort auf die Möglichkeit der Landarztquote Baden-Württemberg hinweisen. Bewerbungen für den nächsten Durchgang der Landarztquote Baden-Württemberg sind ab dem 1. März 2025 online möglich.
Die 75 erfolgreichen Bewerber kommen 2024 aus den folgenden Städten und Gemeinden:
Regierungsbezirk Stuttgart | |
Erlenbach | Rutesheim |
Esslingen | Stuttgart |
Göppingen | Schorndorf |
Heilbronn | Schöntal |
Kernen | Schwaigern |
Kirchberg | Schwaikheim |
Kirchheim | Vellberg |
Ludwigsburg | Waldenbuch |
Nürtingen | Weil der Stadt |
Renningen | Winterbach |
Regierungsbezirk Freiburg | |
Ebringen | Haslach im Kinzigtal |
Freiburg | Konstanz |
Friedrichshafen | Teningen |
Regierungsbezirk Tübingen | |
Argenbühl | Hohenstein |
Balingen | Markdorf |
Beimerstetten | Reutlingen |
Blaustein | Rosenfeld |
Dußlingen | Tübingen |
Eningen | Wangen im Allgäu |
Regierungsbezirk Karlsruhe | |
Aglasterhausen | Ladenburg |
Alpirsbach | Neunkirchen |
Baden-Baden | Schömberg |
Billigheim-Sulzbach | Schönau |
Elztal | Sinsheim |
Ettlingen | Waldbronn |
Heddesheim | Wiernsheim |
Heidelberg | Wimsheim |
Kommunen aus anderen Bundesländern | |
Burgau | Mainz |
Elchingen | Münster |
Frankenthal | Senden |
Von der Bewerbung zum Studienplatz
Um noch stärker auf die Landarztquote aufmerksam zu machen, wurde im Frühjahr 2023 die Kampagne „The Ländarzt – werde Hausärztin oder Hausarzt in Baden-Württemberg“ gestartet, die über das Berufsbild informieren und dafür begeistern soll. Informationen sind unter www.ländarzt.de abrufbar.
Die Landesregierung setzt sich darüber hinaus mit vielfältigen Maßnahmen dafür ein, die ärztliche Versorgung zu sichern. So werden digitale Angebote für die Patienten vorangebracht und die Modellprojekte „Genossenschaftliche Hausarztmodelle“ unterstützt. Schon seit 2012 fördert das Land mit dem Programm Landärzte verschiedene Maßnahmen wie beispielsweise Praxisübernahmen oder Neueinrichtungen von Hausarztpraxen und die Anstellungen von Ärzten zur Verbesserung oder Erhaltung der hausärztlichen Versorgung. Allein mit diesem Förderprogramm hat das Land bereits insgesamt rund 4,4 Millionen Euro gezielt und erfolgreich in die Sicherstellung der hausärztlichen Versorgung investiert. Mit 10 Millionen Euro fördert das Land die Einrichtung von Primärversorgungszentren als erste Anlaufstelle bei gesundheitlichen Problemen. pm