Psychotherapeuten können von ausgebildeten Tieren im Miteinander mit den Klienten profitieren. Allein das Streicheln eines Hundes kann schon Kinder wie Erwachsene schneller dazu bringen, sich im Gespräch zu öffnen. Foto: Framestock/stock.adobe.com

Tiergestützte Psychotherapie: Tiere ermöglichen Zugang zur Seele und zu Erinnerungen

Tierhalter haben im Schnitt weniger Stress, einen niedrigeren Blutdruck und sind generell gesünder. Können Hunde oder Pferde auch in der Psychotherapie menschliche Patienten positiv beeinflussen? Diese Tiere bieten Möglichkeiten, um die klassischen Gesprächs- oder Gruppentherapien zu ergänzen. Die Zuwendung eines für die Therapie ausgebildeten Tieres kann die Seele öffnen, Solidarisierung mit einem Dritten ermöglichen oder Beistand für anstrengende Gespräche bieten.

Tiergestützte Therapie ist zielgerichtet, geplant und strukturiert – und Sache von ausgebildeten Profis. Nur dafür speziell geschulte Fachkräfte aus der Psychotherapie nutzen diese Intervention durch das Tier, um den Klienten im Gespräch zu öffnen, Entspannung zu bieten oder Vorbeugung zu ermöglichen. Es gibt darüber hinaus ein weites Feld für den Einsatz bei Entzug, Demenz, Alltagsbetreuung, Leseschwierigkeiten oder Angst.

Vielseitiger Einsatz von Legasthenie bis Drogenentzug

Tiergestützte Therapie kann bei vielen Herausforderungen von Klienten eingesetzt werden: Legasthenie, Depressionen, Angststörungen, Demenz, Traumata oder Entzugssituationen (Alkohol oder Drogen) sind die klassischen Themen. Erfolgreich werden Tiere auch bei Schizophrenie, Entwicklungsstörungen, chronischen Schmerzen oder Begleitung im Autismus-Spektrum eingesetzt. Denn Tiere können für die Betroffenen ein verlässlicher Beistand sein. Weil sie nicht bewerten können, sind sie einfach für den Menschen da.

Therapieprozesse können mithilfe von ausgebildeten Vierbeinern schneller initiiert werden oder eine Wohlfühlatmosphäre schaffen. Niedliche Hunde beispielsweise schaffen Kommunikationsbrücken zwischen Klient und Therapeut. Auch kann das gesamte Gefühlsspektrum des Patienten geöffnet werden.

Beispiel: Golden Retriever bringt junges Mobbingopfer zum Reden

Folgende Geschichte ist ein Fallbeispiel aus dem Psychotherapeutenjournal 1/2014 (Artikel von Gerd Ganser): Ein Junge, der in der Schule viel gemobbt wurde, betritt den Praxisraum. Eine Golden Retriever Hündin zieht sofort seine Aufmerksamkeit auf sich. Der zehnjährige Bub geht auf die Hündin zu, obwohl er eigentlich zu viel Angst hat, sie zu streicheln. Der Junge wagt sich nur, sie sehr verkrampft zu berühren. Der Therapeut erzählt ihm die Geschichte der Hündin, die in einem kleinen gemütlichen Dorf mit vielen Welpen aus dem gleichen Wurf aufgewachsen ist und ihr Leben in der Großstadt nun völlig anders aussieht. Sie musste sich an sehr viel Neues gewöhnen und das war nicht leicht für sie.

Der Junge kann nun ins Gespräch einsteigen und sagt, dass er die Hündin verstehe, das sei ja auch alles sehr schwierig, das wisse er selbst aus eigener Erfahrung. Es wird möglich, von der Hündin auf den Jungen selbst zu sprechen zu kommen. Dann kann der Junge über seine eigene Angst sprechen und davon, wie schwer sein Leben gerade ist. 

Therapeutisch betrachtet bietet die Hündin eine Brücke, die es dem Jungen erlaubt, seine Not und seine Gefühle erst dann zu thematisieren, wenn er dazu bereit ist. Das Tier gibt dem Therapeuten die Möglichkeit, über die Angstthematik zu sprechen, ohne den Jungen direkt konfrontieren zu müssen. Im Gegenteil, indem der Therapeut von der Anpassung an ein neues Leben, welche die Hündin leisten musste, erzählt, spricht er dem Jungen sozusagen aus der Seele, der sich schließlich mit der Geschichte der Hündin solidarisieren kann. Über die Hündin ist eine Triangulation – hier im Sinne einer Identifikation – möglich.

Wurzeln der tiergestützten Therapie

Bereits im späten 18. Jahrhundert wurde im englischen York Retreat, einer Einrichtung für psychische Kranke, der regelmäßige Tierkontakt zur Steigerung des Wohlbefindens der Betreuten eingesetzt. Schon der Vater der Psychoanalyse, Siegmund Freud, kannte den wohltuenden Einfluss von seiner Chow-Chow-Hündin Jofi, die oft im Wiener Arbeitszimmer mit dabei war.

In Deutschland ist tiergestützte Therapie seit den 1970ern etabliert, sie geht weit über die reine Psychotherapie hinaus und umfasst somit Hippotherapie, Tierbesuchsdienste in Kliniken und Wohnheimen, Einsatz in der stationären Jugendhilfe, Rehabilitation und Ergotherapie. Sie ist stets auf die Therapiephase begrenzt. Wichtig ist, grundsätzlich im Vorfeld abzufragen, ob Ängste gegenüber Hunden oder Pferden vorliegen, dann ist zumeist vom Einsatz tiergestützter Therapie abzusehen.

Kombinierte Auswirkungen: Tierhalter sind oft gesünder

Durch die positive Wirkung von Tieren auf den Menschen, werden psychologische, neurobiologische und soziale Effekte erzielt. Es ist nachgewiesen, dass gestresste Menschen im Kontakt mit einem (ausgebildeten) Tier niedrigeren Blutdruck, eine gesenkte Herzfrequenz und einen geringeren Cortisol-Spiegel (Stresshormon) aufweisen. Grundsätzlich sind Tierhalter gesünder und haben bessere Überlebenschancen bei einem Herzinfarkt.

Sozial gesehen ermöglichen Tiere mehr Kontakt und lenken von Situationen ab, die Schmerzen oder Stress hervorrufen. Berührungen unter Menschen und mit Tieren führen im Gehirn und im Blutkreislauf zur Ausschüttung des Hormons Oxytozin. Dies senkt Stress, steigert die Schmerz-Resilienz und fördert, kurzgefasst, Vertrauen. Daher wirkt tiergestützte Therapie auch im großen Handlungsfeld Bindung stärkend.

Unzureichende Kostenübernahme

Da bisher tiergestützte Therapie in Deutschland noch nicht als Heilmittel anerkannt ist – Ausnahmen bieten ausgebildete Hunde für Autismus-Begleitung – ist durch Kranken- und Pflegekassen keine Kostenübernahme möglich. Ausnahmen bieten Therapeutenkosten, die übernommen werden, aber die Tierkosten verbleiben beim Klienten.

Jedoch sind Pflegebedürftige ab Pflegegrad 2 in der Betreuung wohl förderbar, dementiell erkrankte Menschen erhalten zusätzliche Betreuungsleistungen nach § 45b Sozialgesetzbuch XI. Im Rahmen ambulanter Erziehungshilfen kann heilpädagogisches Reiten gefördert werden. Gerade bei Kindern kann Frühförderung zur Vermeidung oder Behandlung von Behinderungen – körperlich und/oder psychisch – bis zum Schuleintrittsalter anerkannt werden. Seelische und psychische Behinderungen erhalten bei erwiesener Zielsetzung auch tiergestützte Therapien. Es lohnt sich also, bei Kranken- und Pflegekassen nachzufragen, ob Förderungen möglich sind. Auch gibt es Stiftungen und Vereine, die Zuschüsse geben oder ganze Kosten übernehmen. pm/tok

Info

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