Während Schweden fast schon als rauchfreies Land im Sinne der WHO zählen kann, hinkt man in Deutschland dieser Entwicklung hinterher. In Schweden setzt man auf Ersatzprodukte, die nicht mit einer Verrauchung einhergehen, sondern den Nikotingenuss auf andere Art ermöglichen. In Deutschland sieht man solche Ersatzprodukte skeptischer. Foto: Rumkugel/stock.adobe.com

Tabak-Ersatzprodukte statt Zigaretten-Komplettverbot: Schweden als Vorbild für ein rauchfreies Land?  

Für 2040 hat die EU ein gemeinsames Ziel: Bis dahin wollen sich alle Mitgliedstaaten die Bezeichnung „rauchfrei“ verdienen. So darf sich ein Land dann nennen, wenn die Anzahl der Raucher unter fünf Prozent liegt. Dieses Maß gilt weltweit und wurde von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) festgelegt. Ein Mitgliedstaat ist bereits jetzt auf dem besten Weg, diesen Meilenstein bald zu erreichen: Schweden will sich bis 2025 von klassischen Zigaretten vollends befreien.

Schweden setzen bei Rauchfreiheit auf Ersatzprodukte

Das skandinavische Königreich stützt sich dabei vor allem auf Ersatzprodukte wie Nikotinbeutel. Eine Vorgehensweise, die von vielen Skeptikern überaus kritisch beäugt wird und die Frage in den Raum wirft, ob dies überhaupt rauchfrei sein kann und darf. Die kurze Antwort: Ja. Die Produkte werden ohne Verbrennung konsumiert und dies entspricht, wiederum laut WHO, klar jenen Kriterien.

Seitdem Schweden auf diese Strategie setzt, lassen sich bereits zahlreiche positive Effekte beobachten. Unter anderem zeichnet sich ein deutlicher Rückgang von rauchbedingten Krankheiten und Todesfällen ab. Das unterschwellige Angebot von weniger schädlichen Alternativen zeigt bislang also klare Erfolge.

Kein kalter Entzug

Schweden bewies schon mehrmals, dass es nicht scheut, neue und vermeintlich unkonventionelle Maßnahmen zu ergreifen, so auch in puncto Rauchentwöhnung.  „Es ist generell schwer, mit dem Rauchen aufzuhören. Anstatt die Bevölkerung also auf kalten Entzug zu drillen, entschied sich Schweden für weniger schädliche Alternativen wie Nikotinbeutel oder E-Zigaretten, welche die Rauchentwöhnung erheblich erleichtern soll“, informiert Markus Lindblad, Deutschland-Sprecher und Head of External Affairs bei Haypp, schwedischer Pionier auf dem Markt für rauchfreie Alternativen.

Nicht auf knallharte Abstinenz, sondern auf Eigenverantwortung und Aufklärung zu setzen schlägt sich offenbar auch in den Zahlen nieder: Zurzeit rauchen lediglich 5,6 Prozent der Schweden regelmäßig Zigaretten.

Frauen rauchen mehr als Männer

„Durch die vielen Maßnahmen, die Schweden unternimmt, ist allgemein ein massiver Rückgang des Angebots an Zigaretten erkennbar. Auch auf den Straßen läuft man kaum Menschen mit Zigarette über den Weg. Schwedische Männer sind bereits komplett rauchfrei, da weniger als fünf Prozent von ihnen rauchen“, stellt Lindblad positiv fest.

Abgesehen von der Altersgruppe der 65- bis 74-jährigen Raucherinnen, liegen alle anderen unter der fünf Prozentmarke. Deswegen können schwedischen Frauen noch nicht als rauchfrei eingestuft werden, innerhalb der nächsten zwei Jahren würde dieses Ziel jedoch voraussichtlich erreicht werden.

Europaweit 75.000 Lungenkrebstote weniger

Die wohl wichtigsten Positiveffekte des schwedischen Modells: Ein deutlicher Rückgang von rauchbedingten Krankheiten und Todesfällen. Eine Studie des Forschungsunternehmens Lakeville von 2024 zeigt, dass Schweden die geringste Anzahl an rauchbedingten Todesfällen unter der rauchfreien männlichen Bevölkerung hat. Auch hinsichtlich der Todesfälle von Lungenkrebs, die überwiegend auf das Rauchen zurückzuführen sind, kann das Land als Vorbild dienen: Im Durchschnitt sterben jährlich pro 100.000 Einwohner nur 42 Männer in der Altersgruppe über 35 Jahren an Lungenkrebs. Der EU-Schnitt beläuft sich jährlich auf 109 Lungenkrebstote (pro 100.000) in dieser Demografie.

Dazu kommt: In Europa wurde im Jahr 2020 insgesamt bei etwa 750.000 Männern über 35 Jahren eine rauchbedingte Krebsart diagnostiziert. Laut Analyse des Forschungsteams könnte bei einer einheitlichen EU-Politik, die den Verkauf von Ersatzprodukten zulässt, die Zahl der auf das Rauchen zurückzuführenden Todesfälle bei jenen Männern auf etwa 210.000 pro Jahr zurückgehen. Alleine die Zahl der Todesfälle durch Lungenkrebs in dieser Gruppe würde von circa 145.000 um schätzungsweise 75.000 reduziert werden können – also um ganze 52 Prozent. Und: Lungenkrebs tötet 45.000 Menschen im Jahr allein in Deutschland – das sind alle 12 Minuten ein Lungenkrebstoter.

Ersatzprodukte haben schon Tradition in Schweden

In puncto Rauchentwöhnung gibt es in Schweden ähnliche Vorschriften wie in vielen anderen europäischen Ländern. So bestehen hier Rauchverbote in allen Innenräumen, aber auch in Kneipen und Restaurants sowie in der Nähe von Schulen und Bushaltestellen. Die Preise von klassischen Zigaretten haben zudem keine erhebliche Preisanhebung erfahren (circa sechs Euro pro Packung).

„Was Schweden von anderen Ländern unterscheidet, ist der Zugang zu beziehungsweise die Akzeptanz von Alternativen wie Nikotinbeutel und E-Zigaretten. Schweden ist bei der Umstellung von klassischen Zigaretten auf weniger schädliche Ersatzprodukte überaus fortschrittlich unterwegs. In keinem anderen europäischen Land werden diese Produkte schon so lange konsumiert wie hier“, erklärt Lindblad weiter. Vor allem Snus (vergleichbar mit herkömmlichen Nikotinbeutel), wurde schon im frühen 18. Jahrhundert in Schweden hergestellt. Es ist also schon lange fester Bestandteil der Kultur im Lande. Mehr als 20 Prozent der Männer in Schweden konsumieren Snus täglich, bei Frauen liegt der tägliche Konsum bei etwa sechs bis acht Prozent – Tendenz steigend. Der Staat hat außerdem vor kurzem beschlossen, unterschiedliche Verbrauchssteuern auf Nikotinprodukte je nach ihrer Schädlichkeit zu erheben, um Raucher weiter zu ermutigen, auf weniger gesundheitsgefährdende Produkte umzusteigen.

Deutsche sehen Ersatzprodukte kritisch

Die E-Zigarette ist bei Schulkindern die Einstiegsdroge Nummer eins für eine Nikotinsucht. Sie ist 2023 erstmals das Rauchprodukt, mit dem Kinder und Jugendliche am häufigsten Erfahrungen gemacht haben. Fast jeder und jede Vierte hat schon einmal eine E-Zigarette probiert (23,5 Prozent). Mindestens einmal im Monat dampfen sieben Prozent der Schulkinder; klassische Zigaretten rauchen 5,9 Prozent und Wasserpfeife 3,2 Prozent. Seit 2016 ist der aktuelle Konsum der elektronischen Variante bei Schulkindern um drei Viertel angestiegen. Das zeigt der Präventionsradar der DAK-Gesundheit in einer Langzeitauswertung.

Viele Deutsche haben allgemein eine eher kritische Einstellung zu Ersatzprodukten wie Nikotinbeutel oder E-Zigaretten. Zudem kritisieren einige, jene Produkte würden Jugendliche erst auf den Geschmack von Zigaretten bringen. Diese Bedenken sollten keineswegs außer Acht gelassen werden, doch die positiven Entwicklungen in Schweden könne man nicht ignorieren, erinnert Lindblad: „Hierzulande rauchen kaum noch Menschen und die durch Rauchen bedingten Krankheiten sowie Todesfälle sind immens geschrumpft. Abgesehen davon werden durch die Nutzung von Ersatzprodukten schließlich auch weniger Nichtraucher:innen den schädlichen Stoffen durch Passivrauchen ausgesetzt.“

Auch der deutsche Suchtforscher Heino Stöver findet Argumente, die für einen Wechsel von Zigaretten auf Nikotinbeutel sprechen. Dieser ist für ihn nämlich ein entscheidender Punkt in der Strategie, den Zigarettenkonsum zu verringern. So erklärt Stöver in einem Interview in 2023, dass Deutschland und andere EU-Länder zu sehr auf die komplette Abstinenz von Tabak fokussiert seien. Auch die Tabakkontrollpolitik der EU empfinde er als widersprüchlich: Zigaretten bleiben nach wie vor legal, während alternative Produkte wie E-Zigaretten oder Nikotinbeutel verpönt werden.

„Natürlich können wir nicht mit Sicherheit sagen, ob die Strategie unseres Landes auch anderswo so erfolgreich sein wird, aber die Zahlen sprechen für sich, so dass dieser Ansatz durchaus Vorbildcharakter haben könnte“, fügt Lindblad hinzu. „Die deutsche Bundesregierung muss Nikotinbeutel auf Grundlage der Empfehlungen des Bundesinstituts für Risikobewertung umgehend regulieren, wenn sie das EU-Ziel, bis 2040 rauchfrei zu sein, wirklich erreichen will. Es ist natürlich klar, dass es immer gesünder ist, überhaupt nicht zu rauchen, aber wenn es Ersatzprodukte gibt, die eine weniger schädliche Alternative darstellen, warum sollte man diese nicht nutzen?“, unterstreicht er. pm