Schätzungsweise 1,9 Millionen Menschen in Deutschland nehmen täglich Schmerzmittel ein. 30 bis 40 Prozent tun dies, ohne dass körperliche Schmerzen vorliegen. Egal ob Profi-Fußballer oder Marathonläufer – der übermäßige Konsum von Schmerzmitteln kann gefährlich werden. Foto: Sasenki/stock.adobe.com

Problematischer Konsum von Schmerzmitteln im Sport – Gefährliche Selbstmedikation

Was ist der Unterschied zwischen Schmerzmitteln und Alkohol? Ein Zehntel von einem Prozentpunkt. Die Abhängigkeit von Schmerzmitteln in Deutschland liegt mit 3,2 Prozent auf einem ähnlichen Niveau wie die Alkoholabhängigkeit (3,1 Prozent).  

Schätzungsweise 1,9 Millionen Menschen in Deutschland nehmen täglich Schmerzmittel ein. 30 bis 40 Prozent der Schmerzmittelkonsumenten tun dies, ohne dass körperliche Schmerzen vorliegen, so das Ergebnis einer Befragungsstudie des Robert-Koch-Instituts. Und aus den Daten des Epidemiologischen Suchtsurveys 2018 geht hervor, dass die Schmerzmittel- Abhängigkeit etwas höher liegt als die Alkoholabhängigkeit. Auch im Sport ist der Schmerzmittelkonsum in vielen Bereichen als Problem erkannt worden, wie etwa die Berichterstattung der ARD Dopingredaktion sowie die öffentliche Anhörung zum Thema im Sportausschuss des Bundestags gezeigt haben.

Großer Teil der Spitzensportler greift regelmäßig zu Analgetika

Die Forschungsgruppe Leistungsepidemiologie der Deutschen Sporthochschule Köln um Prof. Dr. Dr. Dieter Leyk hat unter Mitwirkung von Koblenzer Wissenschaftler*innen die Daten von über 6000 Studien (unter Einbeziehung von knapp 50.000 Dopingkontrollformularen) zum Schmerzmittelkonsum im Profi-, im Leistungs- sowie im Breitensport ausgewertet. Die Ergebnisse wurden im Deutschen Ärzteblatt publiziert. Darüber berichtet das DeutschesGesundheitsPortal (DGP).

Die weltweite Literaturrecherche konnte zeigen, dass der Schmerzmittelkonsum in vielen Bereichen des Spitzen- und Leistungssports zu einem Problem geworden ist. Im internationalen und nationalen Profifußball nimmt zum Beispiel jede*r zweite bzw. jede*r dritte Spieler*in regelmäßig Analgetika, also schmerzstillende oder -lindernde Arzneimittel ein.

Forscher fordern Werbeeinschränkungen für Schmerzmittel

Im Breitensport scheint der Schmerzmittelkonsum bislang weniger verbreitet zu sein, dies zeigen die Daten des „ActIv-Projekts“, eine bundesweite Befragung zu Gesundheit, Leistung und Gewohnheiten (Bewegung, Ernährung, Schlaf) sowie Barrieren und Motiven für einen gesunden Alltag (www.dshs-koeln.de/activ). Nur 2,1 Prozent von über 50.000 Läufer*innen der German Road Races (GRR) gaben an, mindestens einmal im Monat Schmerzmittel zu nehmen.

Zur Gesamtproblematik trägt für Leyk und seine Mitautor*innen die große Medienpräsenz der Schmerzmittelwerbung bei, die oft schnell wirksame Lösungen für die unterschiedlichen Schmerzarten suggeriert. Daher fordern die Forscher*innen angesichts der Verbreitung von schädlichem Schmerzmittelgebrauch bzw. von Schmerzmittelabhängigkeit bessere Aufklärung und Werbeeinschränkungen.

Bei Missbrauch wird’s gefährlich: GOTS warnt vor Risiken bei Selbstmedikation

Immer häufiger greifen Sportler zu schmerz- und entzündungshemmenden Medikamenten. Ob Muskeln oder Gelenke – NSAR (zum Beispiel Ibuprofen) sind dabei die am häufigsten eingesetzte Wirkstoffgruppe, wie das DGP berichtet. Profi- und Freizeitsportler erhoffen sich davon, Beschwerden oder Schmerzen zu lindern oder gar nicht erst aufkommen zu lassen. Doch gerade der „prophylaktische“ Gebrauch ist gefährlich, seine Verbreitung unter Nachwuchsathleten inzwischen besorgniserregend, warnt die Gesellschaft für Orthopädisch-Traumatologische Sportmedizin.

Während Erwachsene und Senioren oft wegen Beschwerden des muskuloskelettalen Apparates NSAR einnehmen, ist die Motivation im Nachwuchssport die verbreitete Annahme, mit Schmerzmitteln einen unspezifischen „Belastungsschmerz“ in Wettkampfsituationen lindern bzw. vorbeugen zu können.

NASR bei Marathonläufern beliebt

In einer aktuellen, sportartenübergreifenden Studie unter Einbezug von 313 Nachwuchsathleten (NCAA College; Alter ca. 18-20 Jahre) gab jede vierte weibliche Athletin und jeder fünfte männliche Athlet an, zum Stichtag der Umfrage NSAR einzunehmen. Bei Umfragen auf Marathon-Veranstaltungen gab sogar die Hälfte der Freizeitsportler an, Schmerzmittel einzunehmen.

Problematisch ist, dass viele Präparate zum Teil rezeptfrei im Handel erhältlich sind und durch die Einnahme mehrerer Tabletten eine rezeptpflichtige und damit wesentlich höhere Dosis erreicht werden kann.

Durch falsche Vorbildfunktion, fehlende Aufklärung und Gewohnheit kann eine gefährliche Selbstmedikation entstehen – und das in Unkenntnis über das erhebliche Nebenwirkungspotential!

Eingriff in relevante Stoffwechsel-Prozesse des gesamten Organismus

Die erwünschten Wirkungen der NSAR beruhen auf der verminderten Synthese von Prostaglandinen. Je nach Stoffgruppe und Dosis werden den NSAR somit analgetische (schmerzhemmende), antipyretische (fiebersenkende) und antiphlogistische (entzündungshemmende) Eigenschaften zugesprochen.

NSAR greifen aufgrund der vielfältigen Funktionen der Prostaglandine in relevante Stoffwechsel-Prozesse des gesamten Organismus ein.

Unter sportlicher Belastung (erhöhte Herz-Kreislaufbelastung, Umverteilung des Blutvolumens zugunsten der Skelettmuskulatur) können die Auswirkungen sogar noch verstärkt werden. Bei intensiver körperlicher Belastung (z.B. Flüssigkeitsverlust mit Dehydrierung, Elektrolytverschiebungen) drohen bei NSAR-Gebrauch erhebliche gesundheitliche Risiken.

Von Magen-Darm-Beschwerden bis zum akuten Nierenversagen

Zum Beispiel Magen-Darm-Beschwerden bis hin zur Ulkus-Entstehung mit gastro-intestinaler Blutung, Erhöhung des Risikos arterieller thrombotischer Ereignisse (z.B. akuter Myokardinfarkt), Minderung der Nierenperfusion, Verschlechterung der Nierenfunktion bis hin zum akuten Nierenversagen. Weiterhinkönnen mit der Einnahme eine negative Beeinflussung des Knochenstoffwechsels mit der Gefahr von Stressfrakturen, oder eine schlechtere Sehnen- und Knochenheilung nach Überlastungen einhergehen.

Aufklärung unzureichend

Eine wichtige Rolle für die Aufklärungsarbeit spielt das direkte Betreuungsumfeld der Sportler. Die begleitende Aufklärung des Trainerteams zu Schmerzmitteln/NSAR ist absolut wichtig.

In der Praxis des Leistungssports hat es sich bewährt, vor der Einnahme jeglicher pharmakologischen Substanzen, Rücksprache mit dem betreuenden Sportarzt zu halten. Im Breitensport fehlen solche Ansprechpartner häufig ganz.

Rücksprache mit dem Arzt statt vorschneller Selbstmedikation

Fest steht: „Beschwerden und Schmerzen während des Sports müssen professionell von medizinischer Seite abgeklärt und keinesfalls mit Medikamenten in Eigenregie therapiert werden. NSAR-Präparate weisen ein erhebliches Nebenwirkungs- und Gefahrenpotential auf“, warnt PD Dr. Thilo Hotfiel, Orthopäde, Unfallchirurg und Vorstandsmitglied der GOTS.

Grundsätzlich bekämpft der Einsatz von Schmerzmitteln nicht die Ursachen der akuten oder überlastungsbedingten Beschwerden im Sport. Insbesondere die, je nach Sportart und Anforderungsprofil, überlastungsbedingten Verletzungen entstehen oftmals durch ein Missverhältnis zwischen Belastung und der individuellen Belastungsfähigkeit. Die Anpassung und Steuerung der Trainingsbelastung und die individuelle Erfassung von Risikofaktoren sind die wichtigsten Eckpfeiler in der Prävention und Therapie.

Sind Medikamente während des Sports medizinisch notwendig, so sollten sie unter strenger Indikationsstellung, Abklärung des individuellen Risikoprofils und möglichst nur kurzfristig eingesetzt werden! DGP/tok