Nancy Choudhary, Institut für Zelluläre und Molekulare Botanik an der Universität Bonn, bei der Durchführung der Genomsequenzierung der Pflanze Withania somnifera. Foto: Julie Anne V.S. de Oliveira

Nachtschattengewächse als Basis für neue Arzneimittel gegen Krebs und Alzheimer

Diese Pflanzen haben Potenzial: Physalis, Stechapfel und Withania somnifera, die sogenannte Schlafbeere, zählen zu den Nachtschattengewächsen. Innerhalb dieser Familie nehmen die drei eine besondere Stellung ein – sie produzieren Steroide, sogenannte Withanolide, die in der traditionellen Pflanzenmedizin bereits seit Jahrhunderten zum Einsatz kommen. Jetzt sieht es so aus, als könnten sie auch in der modernen Medizin erfolgreich Verwendung finden.

Einem Forschungsteam unter Leitung von Prof. Dr. Jakob Franke, Leibniz Universität Hannover (LUH), und Prof. Dr. Boas Pucker, Universität Bonn, ist es nun gelungen, die Entstehung solcher Steroide in diesen Pflanzen zu entschlüsseln. Die Erkenntnisse könnten bei der Entwicklung von neuen Medikamenten, beispielsweise zur Heilung von Krebs, zum Einsatz kommen. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft unterstützt das Projekt, das noch bis 2026 läuft, mit rund 511.000 Euro.

Genomsequenz entschlüsselt  

„Pflanzen produzieren oft einen ganzen Cocktail von Wirkstoffen“, sagt Prof. Jakob Franke, Institut für Botanik an der LUH. Das sei auch bei den untersuchten Gewächsen nicht anders. Einige wirken entzündungshemmend, andere beruhigend und wieder andere weisen Eigenschaften eines Insektizids auf und können sogar Schädlinge vertreiben. Die Schlafbeere etwa ist unter dem Namen Ashwagandha (siehe Info unten) aus der traditionellen ayurvedischen Medizin bekannt und soll Stress reduzieren und den Schlaf verbessern.

Um die Eigenschaften der Pflanzen irgendwann gezielter für bestimmte Anwendungen nutzen zu können, entschlüsselten die Forschenden mit Hilfe von Methoden aus der Bioinformatik zunächst die Genomsequenz, um dann Erkenntnisse über den Stoffwechselweg der Pflanze zu gewinnen. „Dafür haben wir die Genomsequenzen von Withanolid-bildenden Arten mit denen anderer Nachtschattengewächse, die keine Withanolide bilden, verglichen“, sagt Prof. Boas Pucker, Institut für Zelluläre und Molekulare Botanik und Mitglied in dem Transdisziplinären Forschungsbereich (TRA) Life and Health an der Universität Bonn. Im Erbgut entdeckten die Forschenden dann einen Bereich, der für die Bildung dieser Stoffe verantwortlich ist.

Stoffwechselweg in Modellorganismen nachgebaut

Aufbauend auf diesen Grundlagen bauten die Forschenden die ersten Schritte des Stoffwechselwegs erfolgreich in Modellorganismen nach, in diesem Fall in Bäckerhefe sowie in Nicotiana benthamiana, einer australischen Tabakpflanze, die häufig als Modellpflanze in den Pflanzenwissenschaften genutzt wird. „Ähnlich wie bei einem Legosatz bauen wir Schritt für Schritt aus einfachen Bausteinen komplexe Moleküle nach“, erklärt Professor Franke. „Damit können wir in den Modellorganismen einfache Withanolidverbindungen produzieren.“

Die Erkenntnisse bilden einen Meilenstein auf dem Weg zur weiteren Verwendung von Nachtschattengewächsen in der Medizin. Sie fließen jetzt in den Projektverlauf ein und sollen die Basis für die vollständige Aufklärung des Stoffwechselwegs der Withanolide bilden.   

Info Studie  

Neben den Universitäten Bonn und Hannover waren die TU Braunschweig sowie die Tanta-Universität Ägypten an der Studie beteiligt. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft unterstützt das Projekt, das noch bis 2026 läuft, mit rund 511.000 Euro.

Originalpublikation: Hakim, S.E., Choudhary, N., Malhotra, K. et al. Phylogenomics and metabolic engineering reveal a conserved gene cluster in Solanaceae plants for withanolide biosynthesis. Nat Commun 16, 6367 (2025). https://doi.org/10.1038/s41467-025-61686-1    pm

Info Withanolide

Withanolide sind sekundäre Pflanzenstoffe, genauer steroidale Lactone auf Ergostan/C₂₈‑Steroidgerüst. Über 300–900 Derivate wurden identifiziert, etwa Withaferin A, Withanolide D, Withanoside IV/V. Sie können nicht vom Menschen selbst gebildet werden, werden aber von Pflanzen synthetisiert und können deshalb mit der Nahrung aufgenommen werden. Withanolide kommen vor allem in Nachtschattengewächsen wie Withania somnifera (Ashwagandha), Salpichroa, Physalis oder Datura vor.

Ihre Wirkung im menschlichen Körper hat vielerlei Facetten und ist für die moderne Medizin von aktueller Bedeutung. Gelingt es, die Wirkungswege der Withanolide genau zu entschlüsseln und ihre Effekte zu steuern und zielgerichtet zu verstärken, bietet sich zahlreiche Möglichkeiten für neue Medikamente gegen schwere Krankheiten wie Krebs oder Alzheimer.

Withanolide sind entzündungshemmend und antioxidant, können zum Beispiel entzündliche Signalwege reduzieren. Antitumorale Effekte hemmen zum Beispiel die Zellproliferation, Metastasierung und Angiogenese. So werden prominente Wirkstoffe wie Withaferin A gegen Brust‑, Prostata‑, Leber‑ und andere Tumorzellen eingesetzt. Studien zeigen auch, dass sie Chemotherapie-Resistenz überwinden oder synergistisch wirken. Withanolide fördern die Neurogenese und schützen vor β‑Amyloid‑Aggregation, was sie für die Alzheimer-Prävention und -behandlung interessant macht. Die Forschung an Nanopartikel-Formulierungen von Withaferin A zur gezielten Gehirn-Applikation ist bereits im Gange. Withanolide werden bereits in der Naturmedizin eingesetzt, um stressmindernde Effekte ähnlich Benzodiazepinen zu erzielen. Ferner mildern sie oxidative Schäden und Entzündungen bei Autoimmunerkrankungen wie Arthritis oder Multiple Sklerose. 

Withanolide sind also biologisch hochaktive pflanzliche Inhaltsstoffe – insbesondere Withaferin A – mit vielversprechenden biologischen Eigenschaften gegen Krebs, Entzündungen, neurologische Erkrankungen und Stress. Zahlreiche präklinische Studien zeigen breite Potenziale. Menschliche Studien sind im Gange, aber noch limitiert.     tok

Info Schlafbeere/Ashwagandha

Das Bundesamt für Risikobewertung (BfR) warnt von Ashwagandha/Schlafbeeren-Präparaten. Wegen möglicher Gesundheitsrisiken sollten insbesondere Kinder, Schwangere und Stillende sowie Personen mit einer Erkrankung der Leber sollten darauf verzichten. Aufgrund mangelnder Daten und Kenntnislücken rät das BfR auch anderen Teilen der Allgemeinbevölkerung zur Zurückhaltung bei der Einnahme dieser Mittel. Das empfiehlt das BfR in einer Mitteilung vom September 2024.

Dort heißt es: „Nahrungsergänzungsmittel mit Zubereitungen von Ashwagandha, im Deutschen auch als Schlafbeere, indischer Ginseng oder Winterkirsche bezeichnet, sind im herkömmlichen Handel und auch im Internet als Pulver, Kapseln, Tropfen oder Tee erhältlich. Sie werden von den Herstellern mit vermeintlichen gesundheitlichen Wirkungen beworben, zum Beispiel zur Leistungssteigerung, zum besseren Einschlafen oder gegen Stress. Allerdings sind die versprochenen positiven Wirkungen wissenschaftlich nicht belegt und die gesundheitlichen Risiken, die mit der Einnahme dieser Pflanzenzubereitungen verbunden sein können, bisher nicht gut untersucht.“

Das BfR warnt, weil die vorliegenden Daten darauf schließen lassen würden, „dass es Menschen oder Personengruppen gibt, die besonders empfindlich auf Ashwagandha reagieren können. Personen mit bestehenden oder früheren Erkrankungen der Leber scheinen dazu zu zählen.“ Hinweise gebe es auch darauf, dass es Wechselwirkungen von Ashwagandha-Präparaten mit anderen Medikamenten gibt, etwa mit solchen, die den Blutzuckerspiegel (Antidiabetika), den Blutdruck (Blutdrucksenker) und das Immunsystem (Immunsuppressiva) regulieren. Aus diesem Grund sollte bei Einnahme bestimmter Arzneimittel ärztliche Rücksprache erfolgen.     tok