
Immer wieder gerät die Massentierhaltung, insbesondere bei Geflügel, wegen des hohen Antibiotika-Einsatzes in die Kritik: Dieser unsachgemäße Umgang fördert die Verbreitung von multiresistenten Erregern. Werden dann auch noch Reserveantibiotika gegeben, entstehen auch gegen diese Mittel Resistenzen. Am Ende gibt es für infizierte Menschen kein Mittel mehr, das gegen eine Infektion helfen könnte. Foto: Ketanoff - KI-generiert/stock.adobe.com
Multiresistente Keime und Durchfall-Erreger bei Kaufland-Billigfleisch
Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) schlägt Alarm: Jede dritte Hähnchenfleischprobe aus dem Billigsegment von Kaufland ist mit Erregern belastet, die gegen die für Menschen wichtigsten Reserveantibiotika resistent sind. Das ergaben Labortests an 30 Proben aus der Haltungsform 2, die im Auftrag von RTL durchgeführt wurden. Jährlich sterben bis zu 30.000 Menschen in deutschen Kliniken durch multiresistente Keime.
Die DUH sieht im zunehmenden Preisdruck von Supermarktkonzernen in der Lebensmittelkette eine Mitverantwortung: Lieferanten würden mit dem massiven Einsatz von Reserveantibiotika versuchen, Hähnchenfleisch in Massen zu Niedrigstpreisen zu produzieren. Doch je mehr Antibiotika bei Tieren eingesetzt werden, desto mehr resistente Krankheitserreger entstehen und verbreiten sich über das kontaminierte Fleisch bis in die Küchen der Verbraucher.
Jede zweite Probe mit Durchfall verursachenden Bakterien
Zudem weist in den Labortests jede zweite Probe Campylobacter-Keime auf, die gesundheitsgefährdend sein können. Pro Jahr erkranken in Deutschland mehr als 50.000 Menschen an meldepflichtigen Infektionen durch Campylobacter. Diese Bakterien lösen ansteckende Durchfall-Erkrankungen aus. Campylobacter leben vor allem im Verdauungstrakt von Tieren, meist ohne dass diese selbst erkranken, und sind in Deutschland die häufigsten bakteriellen Erreger von Durchfall-Erkrankungen. Auch hier sieht die DUH dringenden politischen Handlungsbedarf. Denn auch wenn die Belastungen in Schlachthöfen nachgewiesenermaßen gegen geltende Hygienebestimmungen bei Ekelkeimen verstoßen, gibt es bisher keine Verkaufsverbote oder Sanktionen. Zudem gelten die EU-Grenzwerte aktuell nur für staatliche Proben an Schlachthöfen, nicht aber im Supermarkt als letzter Station vor Zubereitung und Verzehr.
Einsatz von Reserveantibiotika durch den Preisdruck
Medizinisch gesehen bedenklicher als Campylobacter ist der falsche Einsatz von Antibiotika. Im Wort „Reserveantibiotika“ steckt schon der wichtigste Einsatzzweck: Diese Mittel bilden die Reserve im Kampf gegen Infektionen, in denen klassische Antibiotika nicht mehr wirken. Insbesondere dann, wenn Keime bereits eine Resistenz gegen Antibiotika aufgebaut haben.
Wird diese Reserve zu oft eingesetzt, zum Beispiel in der Tierhaltung, können auch gegen diese Mittel Resistenzen aufgebaut werden. Und das hat gefährliche bis tödliche Wirkungen für Menschen, denen bei einer Infektion mit multiresistenten Keimen keinerlei Antibiotika mehr zur Verfügung stehen.
DUH fordert Umdenken und ein Ende des Preisdrucks
Sascha Müller-Kraenner, Bundesgeschäftsführer der DUH: „Wir zahlen für Billigfleisch mit unserer Gesundheit und extremem Tierleid. Mitverantwortlich sind diejenigen, die in der Branche das Sagen haben: Nur vier Discounter und Supermärkte kontrollieren über 85 Prozent des Lebensmittelmarktes in Deutschland. Diese können ihre Lieferanten preislich so unter Druck setzen, dass diese in großem Stil zu Reserveantibiotika greifen, weil Antibiotikamissbrauch im Stall billiger ist als gesunde tiergerechtere Haltung.“
Und das fordert Sascha Müller-Kraenner: „Wir fordern Kaufland auf, endlich Verantwortung zu übernehmen und Billig-Hähnchen auszulisten. Dazu gehört, dass die Supermarktkette auf die höchsten Tierhaltungsstufen wie Biofleisch umstellt. Es ist zwingend notwendig, dass Lebensmittelmärkte langfristig kostendeckende Preise zahlen, damit Tierwohlställe überhaupt gebaut werden. Die neue Bundesregierung muss den Preisdruck in der Lebensmittelkette stoppen und für Gesundheit und Tierwohl konsequent Priorität einräumen gegenüber den Profitinteressen der Supermärkte.“
Warnung an die Verbraucher
Reinhild Benning, DUH-Expertin für Landnutzung und Agrarökologie: „Fleisch mit Antibiotikaresistenzen und Ekelkeimen ist eine echte Gesundheitsgefahr. Wir raten Verbraucherinnen und Verbrauchern, Fleisch aus Billig-Erzeugung zu vermeiden.“ Die Politik ist gefordert, doch was ist in Deutschland möglich, was geschieht in der EU?
„Das Problem muss jedoch auf politischer Ebene angegangen werden: Andere EU-Staaten greifen längst strenger durch gegen die Missstände, die durch die Marktmacht von Handel und Industrie ausgelöst werden. In Spanien, Frankreich, Italien und Belgien gibt es bereits Regeln gegen Preisdrückerei in der Lebensmittelkette, die teils aktuell für die ganze EU diskutiert werden und von der neuen Bundesregierung verbessert und zügig umgesetzt werden müssen“, sagt Reinhild Benning.
Bakterien tauschen Resistenzgene aus
Multiresistente Erreger (MRE) stellen eine zunehmende Herausforderung für das Gesundheitswesen dar. Diese Bakterien entstehen hauptsächlich durch genetische Veränderungen, die ihnen ermöglichen, Antibiotika zu überleben. Diese Resistenzen können auf zwei Wegen entstehen:
- Spontane Mutationen: Zufällige Veränderungen im Erbgut der Bakterien können dazu führen, dass bestimmte Antibiotika nicht mehr wirksam sind.
- Horizontaler Gentransfer: Bakterien können Resistenzgene untereinander austauschen, beispielsweise über Plasmide, was die Verbreitung von Resistenzen zwischen verschiedenen Bakterienarten fördert.
Ein übermäßiger und unsachgemäßer Einsatz von Antibiotika, sowohl in der Humanmedizin als auch in der Tierhaltung, begünstigt die Selektion und Verbreitung resistenter Bakterienstämme.
Gefährlichkeit multiresistenter Keime
Multiresistente Keime sind besonders gefährlich, weil sie Infektionen verursachen können, die schwer oder gar nicht mehr mit herkömmlichen Antibiotika behandelbar sind. Dies kann zu verlängerten Krankheitsverläufen, erhöhten Behandlungskosten und einer höheren Sterblichkeit führen. Besonders betroffen sind:
- Krankenhauspatienten: Personen mit geschwächtem Immunsystem oder offenen Wunden sind anfälliger für Infektionen mit MRE.
- Langzeitpflegeeinrichtungen: Bewohner solcher Einrichtungen haben oft multiple Vorerkrankungen und erhalten häufig Antibiotika, was das Risiko für MRE erhöht.
- Personen mit häufigem Antibiotikaeinsatz: Wiederholte oder unsachgemäße Antibiotikatherapien können die Entwicklung und Selektion resistenter Keime fördern.
Maßnahmen gegen multiresistente Keime
Um die Ausbreitung multiresistenter Keime einzudämmen, sind folgende Maßnahmen entscheidend:
- Rationaler Antibiotikaeinsatz: Antibiotika sollten nur bei bakteriellen Infektionen und nach ärztlicher Verordnung eingesetzt werden. Der unnötige Gebrauch fördert die Resistenzentwicklung.
- Strikte Hygienemaßnahmen: In medizinischen Einrichtungen sind konsequente Handhygiene, Desinfektion und Isolation infizierter Patienten essenziell, um die Übertragung von MRE zu verhindern.
- Überwachung und Surveillance: Regelmäßige Kontrolle und Dokumentation von Infektionen mit MRE helfen, Ausbrüche frühzeitig zu erkennen und Gegenmaßnahmen einzuleiten.
- Forschung und Entwicklung: Investitionen in die Entwicklung neuer Antibiotika und alternativer Therapieansätze sind notwendig, um zukünftige Behandlungsmöglichkeiten sicherzustellen.
Todesfälle in deutschen Kliniken
Die genaue Anzahl der Todesfälle durch multiresistente Keime in Deutschland variiert je nach Studie und Methodik. Schätzungen zufolge infizieren sich jährlich zwischen 400.000 und 600.000 Patienten in deutschen Krankenhäusern mit solchen Erregern, wobei etwa 10.000 bis 20.000 dieser Fälle tödlich verlaufen. Andere Quellen gehen von bis zu 30.000 Todesfällen pro Jahr aus.
Diese Unterschiede unterstreichen die Notwendigkeit weiterer Forschung und standardisierter Erfassungsmethoden. Aber auch so wird deutlich: Die hohen Infektions- und Todesfallzahlen in deutschen Kliniken mahnen dringenden Handlungsbedarf an, denn schon jetzt sind multiresistente Keime eine ernstzunehmende Bedrohung für die öffentliche Gesundheit. Neue Infektionswege und aggressivere Keime könnten schnell eine gefährliche Eigendynamik entwickeln. pm/tok