
Im öffentlichen Personennahverkehr beschäftigt zu sein, heißt auch in Ausnahmesituationen ruhig zu reagieren. Fahrkartenkontrolleure erleben wie Zugbegleiter oder Bus- und Taxifahrer immer wieder Anfeindungen, die oft zu Arbeitsunfällen durch Gewalt führen. Foto: stockmotion -KI-generiert/stock.adobe.com
Jeder zehnte Arbeitsunfall in Verkehrsunternehmen ist eine Folge von Gewalt
Jeder zehnte meldepflichtige Arbeitsunfall von Beschäftigten im öffentlichen Personennah- und -fernverkehr geht auf Gewalt oder Bedrohung durch Personen zurück, die nicht zum Betrieb gehören. Darauf weisen Berufsgenossenschaften, Unfallkassen und ihr Spitzenverband Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung (DGUV) im Rahmen ihrer Kampagne #GewaltAngehen hin. Auch verbale Übergriffe erleben Beschäftigte in Transportunternehmen etwas häufiger als der Durchschnitt aller Branchen.
Unter dem Motto „Es geht Euch alle an, wenn man mich angeht“ rufen die Träger der gesetzlichen Unfallversicherung zu Beginn der Ferienzeit daher zu einem respektvollen Umgang mit den Menschen auf, die in Verkehrsunternehmen arbeiten.
Nahverkehr erlebt am meisten Bedrohung und Gewalt
„Jeder Mensch hat das Recht darauf, seiner Arbeit frei von Gewalt, Beleidigungen und Bedrohungen nachzugehen“, sagt die stellvertretende Hauptgeschäftsführerin der DGUV, Dr. Edlyn Höller. „Das gilt auch für diejenigen, die dafür sorgen, dass wir uns sicher mit Bus, Bahn und Taxi durch Stadt und Land bewegen können. Egal wie gefrustet oder gestresst man sich selbst fühlt, das rechtfertigt nicht, andere zu schikanieren, zu beleidigen oder anzugreifen.“ Die gesetzliche Unfallversicherung stehe Verkehrsunternehmen mit Beratung zur Gewaltprävention sowie Angeboten für Beschäftigte zur Verfügung, die bei der Arbeit Gewalt erfahren hätten.
Auch gewalttätige Übergriffe bei der Arbeit können Arbeitsunfälle sein. Von den rund 14.500 meldepflichtigen Arbeitsunfällen, die sich pro Jahr in Verkehrsunternehmen ereignen, entfallen rund 9,5 Prozent (1350 Unfälle) auf Gewalt und Bedrohung. Rund die Hälfte der Arbeitsunfälle ereignet sich dabei in Bussen und Bahnen im Nahverkehr, je ein Sechstel in Taxen, dem Fernverkehr und sonstigen Verkehrsmitteln. Bei der Unfallquote je 1 Million Arbeitsstunden liegt die Verkehrsbranche auf dem dritten Platz hinter Wach- und Sicherheitsdiensten sowie Heimen.
Gemeldete Arbeitsunfälle spiegeln nur einen Teil der Übergriffe
Arbeitsunfälle sind meldepflichtig ab einer Arbeitsunfähigkeit von vier Tagen. Die Statistik zeigt daher nur einen Ausschnitt der Übergriffe und Anfeindungen, die Beschäftigte in Verkehrsunternehmen erleben. Eine Umfrage der DGUV von Dezember 2024 fragte daher auch danach, wie viele verbale Übergriffe durch betriebsfremde Personen Beschäftigte bei ihrer beruflichen Tätigkeit erlebt hatten. Hier gaben Mitarbeitende in Verkehrsunternehmen nach Mitarbeitenden im Gesundheitswesen und in der öffentlichen Verwaltung am häufigsten an, von Beleidigungen, Beschimpfungen und Bedrohungen betroffen zu sein.
„Viele Menschen in Deutschland starten in diesen Tagen in den Urlaub“, so Höller. „Das ist mit Freude verbunden, aber auch mit Stress. Gerade deshalb sollten wir daran denken, auch Respekt und Wertschätzung für diejenigen mit auf die Reise zu nehmen, die uns an unser Ziel bringen.“
Info
#GewaltAngehen ist die gemeinsame Kampagne von Berufsgenossenschaften und Unfallkassen zur Prävention von Gewalt bei der Arbeit, in Bildungseinrichtungen und bei ehrenamtlicher Tätigkeit. Die Träger der gesetzlichen Unfallversicherung heben damit hervor, dass Gewalt nicht hinnehmbar ist, und zeigen Möglichkeiten auf, wie Gewalt vorgebeugt werden kann. Sie informieren zudem über ihre Beratungs- und Unterstützungsangebote vor und nach Gewaltereignissen am Arbeitsplatz. Weitere Informationen zur Kampagne finden Sie hier.
Wie wir bei Problemen im öffentlichen Verkehr ruhig bleiben
Ob verspätete Bahnen, Gedränge im Bus oder angespannte Mitreisende – Reisen mit öffentlichen Verkehrsmitteln bringt regelmäßig Stress mit sich. Dennoch gibt es Menschen, die selbst unter diesen Bedingungen ruhig bleiben. Was ist ihr Geheimnis? Psychologische Forschung zeigt: Gelassenheit ist trainierbar – und sie schützt Körper und Geist.
Gelassen im öffentlichen Verkehr zu bleiben ist kein Zufall – es ist eine Kompetenz. Wer innere Stärke trainiert, bewusst atmet und den Moment annimmt, kann auch Stresssituationen meistern. Die gute Nachricht: Das geht überall – selbst zwischen zwei Haltestellen.
Wenn der Alltag zur Nervenprobe wird
Typische Stressfaktoren im ÖPNV und Fernverkehr:
- Unpünktlichkeit und Informationsmangel
- Überfüllung, Lärm, Hitze
- Grenzverletzungen durch andere (z. B. Drängeln)
- Angst vor Kontrollverlust oder Unsicherheit beim Umsteigen
„Es ist nicht das Ereignis selbst, das uns aus der Fassung bringt, sondern unsere Bewertung davon.“
Epiktet, griechischer Philosoph
Gelassenheit: Was sie ist – und was nicht:
- Gelassenheit ist nicht Gleichgültigkeit, sondern ein Zustand kontrollierter innerer Ruhe. Sie basiert auf:
- Selbstwirksamkeit: „Ich kann handeln, auch wenn es unangenehm ist.“
- Emotionsregulation: Gefühle wie Ärger oder Angst bewusst steuern
- Akzeptanz: Dinge annehmen, die sich nicht sofort ändern lassen
„Zwischen Reiz und Reaktion liegt ein Raum. In diesem Raum liegt unsere Macht zur Wahl unserer Reaktion.“
Viktor E. Frankl, Neurologe und Begründer der Logotherapie
Psychologische Strategien für mehr innere Ruhe
Mentales Vorbereiten hilft
Studien zeigen: Wer sich vorab bewusst macht, dass etwas schieflaufen könnte, erlebt es im Ernstfall weniger belastend. Dieser Effekt ist als präventive Stressbewältigung bekannt.
„Widerstand entsteht, wenn die Realität nicht unseren Erwartungen entspricht.“
Byron Katie, Autorin und Coach
Atemtechniken gegen den inneren Sturm
- 4-7-8-Technik: Einatmen (4 s) – Halten (7 s) – Ausatmen (8 s)
- Kurze Bodyscans oder achtsames Zählen der Atemzüge
„Wenn du die Kontrolle über deinen Atem hast, beherrschst du deinen Geist.“
Thích Nhất Hạnh, vietnamesischer Mönch und Achtsamkeitslehrer
Achtsamkeit im Moment
Achtsamkeit bedeutet, Dinge ohne Bewertung zu beobachten – auch Störungen oder andere Menschen im Zug.
„Achtsamkeit bedeutet, auf eine bestimmte Weise aufmerksam zu sein: bewusst, im gegenwärtigen Moment und ohne zu urteilen.“
Jon Kabat-Zinn, Begründer des MBSR-Programms
Kognitive Umdeutung („Reframing“)
Verzögerungen werden zur Gelegenheit, Geduld zu üben oder eine Podcastfolge nachzuholen. So entstehen neue Deutungsmuster.
„Die Situation selbst ist selten das Problem. Das Problem ist unsere Geschichte über sie.“
Michael A. Singer, Autor von „Die Seele will frei sein“
Positive Selbstgespräche
Innere Dialoge wie „Ich bleibe ruhig“ oder „Ich kann das jetzt nicht ändern – aber ich komme klar“ stabilisieren das Nervensystem.
„Du kannst deinen inneren Monolog nicht abschalten – aber du kannst lernen, ihn für dich arbeiten zu lassen.“
Susan David, Psychologin und Emotionsforscherin (Harvard)
Wann wird Gelassenheit zur therapeutischen Aufgabe?
Wenn Fahrten regelmäßig Angst, Panik oder Vermeidungsverhalten auslösen, ist möglicherweise professionelle Hilfe angezeigt. Zum Beispiel bei sozialer Phobie, Panikstörung oder Agoraphobie. Verhaltenstherapie, Konfrontationsübungen und Achtsamkeitstraining helfen hier sehr gut. pm/tok