Beckenfrakturen sind typische Sturzverletzungen im hohen Alter (Bruchstelle rechts im Bild), wenn die Knochenfestigkeit durch Osteoporose verringert ist. Unfallchirurgen des Universitätsklinikums Jena haben eine neue Operationstechnik entwickelt, die den Beckenring ausreichend fixiert und die Patienten möglichst wenig belastet, um sie schnell wieder mobilisieren zu können. Foto: SciePro/stock.adobe.com

Dank neuer Operationstechnik nach Beckenbruch viel schneller wieder mobil

Eine neue minimalinvasive Versorgung von Frakturen des hinteren Beckenrings haben Unfallchirurgen des Universitätsklinikums Jena mit Kooperationspartnern aus Wissenschaft und Industrie entwickelt. Die Methode ermöglicht bereits am Tag nach dem Eingriff wieder die volle Belastbarkeit. Davon profitieren vor allem ältere Patienten, die nach Stürzen häufig von solchen Brüchen betroffen sind.

Die Pilotstudie wurde jetzt mit dem Forschungspreis der Mainzer Trauma-Stiftung ausgezeichnet.

Senioren müssen schnell wieder mobil werden

„Das ist unser Alltagsgeschäft“, sagt Prof. Dr. Dr. Gunther Hofmann auf die Frage, wie oft ältere Menschen mit gebrochenem Becken in seiner Klinik versorgt werden müssen. „Beckenfrakturen sind typische Sturzverletzungen im hohen Alter, wenn die Knochenfestigkeit durch Osteoporose verringert ist“, so der Direktor der Klinik für Unfall-, Hand- und Wiederherstellungschirurgie am Universitätsklinikum Jena.

Für diese Patientengruppe ist es besonders wichtig, schnell wieder die vorherige Mobilität zu erhalten und in das gewohnte Umfeld zurückkehren zu können. Lange Klinikaufenthalte stellen für sie ein hohes Risiko für Komplikationen wie Infektionen oder die Verringerung der körperlichen und geistigen Fähigkeiten dar.

Wochenlange Bettlägerigkeit vermeiden

Bei leichteren Brüchen im weniger belasteten vorderen Beckenbereich kann eine Schmerzbehandlung ausreichen, um die Bewegungsfähigkeit wiederherzustellen. Liegt der Bruch im hinteren Beckenring, der das Gewicht des Oberkörpers aufnimmt, ist das oft schwieriger zu diagnostizieren und meist mit deutlich stärkeren Schmerzen verbunden. Eine konservative Behandlung bedeutet wochenlange Bettlägerigkeit.

„Deshalb suchten wir nach einer Operationstechnik, die den Beckenring ausreichend fixiert und die Patienten möglichst wenig belastet, um sie schnell wieder mobilisieren zu können. Die verfügbaren Implantatlösungen waren dafür aber unbefriedigend“, sagt Oberarzt Ivan Marintschev. Die Fixierung sollte komplett im Knochen liegen und minimal-invasiv positioniert werden, so die Zielstellung der Unfallchirurgen.

Mehrjähriger Entwicklungsprozess

In anatomischen Messungen und biomechanischen Versuchen entwickelten die Mediziner gemeinsam mit Partnern am Institut für Rechtsmedizin des Uniklinikums Hamburg, am Institut für Unfallchirurgische Forschung und Biomechanik der Uni Ulm und des Medizintechnikunternehmens Signus den Prototypen für ein doppelt verschraubtes nagelförmiges Implantat, das den Beckenring fest und verwindungssicher zusammenhält.

Mit Hilfe von Kunststoffnachbildungen des Beckens optimierten die Unfallchirurgen die Operationstechnik, bei der neben Bildgebung und 3D-Navigation auch speziell entworfene Führungsbügel zum Einsatz kommen. Unter Vollnarkose werden mit ihrer Hilfe der Nagel und die Schrauben durch vier kleine Schnitte genau in die geplante Position gebracht, ohne die wichtigen Gefäße und Nerven im Operationsgebiet zu verletzen. Insgesamt dauerte es zwölf Jahre von den ersten Messreihen bis zur behördlichen Zulassung des Systems.

In einer zweijährigen Pilotstudie testeten die Jenaer Unfallchirurgen dann das neue Implantat. Sie setzten es insgesamt 27 Patienten im Alter von 39 bis 87 Jahren ein, die eine Fraktur des hinteren Beckenrings erlitten hatten. Ivan Marintschev: „Die größte Gruppe davon waren ältere Sturzpatienten, aber wir versorgten mit dem neuen Beckennagel auch jüngere Motorradfahrer nach einem Unfall und Krebspatientinnen mit Knochenmetastasen im Beckenbereich, die starke Schmerzen verursachten.“ Das Studienteam untersuchte und befragte die Operierten mehrmals im ersten Jahr nach dem Eingriff.

Lebensqualität erhalten

Das Ergebnis: In allen Fällen konnte das Implantat richtig platziert werden, der Blutverlust war nur gering und die Wunden heilten komplikationslos. Für alle Studienpatienten brachte die Operation eine deutliche Besserung hinsichtlich der Schmerzen und der Mobilität nach dem Beckenbruch. Sie konnten bereits am Tag nach dem Eingriff aufstehen, das Becken wieder belasten und mit der Mobilisierung beginnen. Dieser große Vorteil zeigte sich auch in der Langzeitbeobachtung – nur fünf Patienten erreichten nicht wieder den Grad der Selbstständigkeit im Alltag wie vor dem Sturz, sondern benötigten mehr Unterstützung.

Diese Ergebnisse überzeugten auch die Mainzer Traum-Stiftung. Sie zeichnete die Jenaer Studie mit ihrem diesjährigen Forschungspreis aus. Die Stiftung fördert die Erforschung der Alterungsprozesse des Skeletts und die Entwicklung optimaler Behandlungsmethoden für Verletzungen im Alter. „Diese Anerkennung freut uns sehr und bestärkt uns in unserer Forschungsarbeit für eine bessere unfallchirurgische Behandlung von älteren Menschen. Die Versorgung von Knochenbrüchen soll für sie nicht Einbuße von Lebensqualität bedeuten“, betont Prof. Hofmann.

Zusammen mit anderen beckenchirurgisch ausgewiesenen Kliniken in Deutschland sammelt das Jenaer Studienteam nun weitere Erfahrungen mit dem neuen Beckenimplantat und testet, ob damit im Vergleich zu bisherigen Behandlungsmöglichkeiten eine Verbesserung der Versorgungsqualität erreicht werden kann. pm