Es ist so einfach, sich vor Hepatitis-Infektionen und damit verbundenen schwersten Leberschäden zu schätzen: Eine Impfung schützt wirkungsvoll vor der Gefahr und Komplikationen wie Leberzirrhose oder Leberkrebs. Foto: Sherry Young/stock.adobe.com
Hepatitis-Eliminierung in Europa? So wird das nichts
In Europa steigen die Fälle von Hepatitis-B und -C-Infektionen nach der Pandemie wieder an – und das obwohl wirksame Impfungen zu Verfügung stehen beziehungsweise eine HCV-Infektion dank moderner Medikamente innerhalb weniger Wochen geheilt werden kann. Bis 2030 will die Weltgesundheitsorganisation (WHO) beide Infektionen eliminiert sehen. Angesichts der neuen Zahlen dürfte das wohl nichts werden: Es ist eine Geschichte verpasster Chancen.
Portugal ist Spitze, Deutschland ganz weit hinten
Portugal ist Europameister – zumindest, wenn es darum geht, seine Bevölkerung vor einer Infektion mit Hepatitis B zu schützen. Die Quote der drei Impfungen zum Schutz gegen das Virus liegt bei fast 100 Prozent – die Portugiesen nehmen die Krankheit offenbar ernster als andere. Aber auch Länder wie Italien, Griechenland oder Frankreich schaffen das Ziel von 95 Prozent oder mehr, das von Experten als die Schwelle angesehen wird, damit die sogenannte Herdenimmunität greifen kann. Erst dann ist der Gemeinschaftsschutz so hoch, dass aus einzelnen Infektionen keine größeren Ausbrüche werden.
Nur zehn Länder im Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) schaffen das. Schlusslicht ist Österreich (unter 90 Prozent), aus Ungarn gibt es nicht einmal Daten; Deutschland schafft nur Platz 22 im Europa-Ranking.
HBV- und HCV-Infektionen: Tasten durch die Dunkelziffer
Das alles geht aus dem Jahresreport des European Centre for Disease Prevention and Control (ECDC) hervor. Demnach steigt die Zahl der Menschen mit nachgewiesener Hepatitis B- oder C-Infektion (HBV, HCV) nach der Pandemie wieder an – 3,6 Millionen Menschen leben mit einer chronischen HBV-, 1,8 Millionen mit einer HCV-Erkrankung. Das sind grobe Schätzwerte, denn die Datenerhebung ist lückenhaft.
Am Rande bemerkt: Die Bekämpfung von Virushepatiden ist ein Beispiel dafür, dass das Nicht-Erheben und Nicht-Auswerten von Gesundheitsdaten gesundheitlich schädlich ist. Wie soll man eine Krankheit eindämmen, wenn vor lauter Dunkelziffern unklar bleibt, wie groß das Problem ist?
Die deutsche Medizinerin und ECDC-Direktorin Dr. Andrea Ammonund kommentiert: „Hinter diesen Statistiken verbergen sich zahllose Individuen und ihre Familien, die unter der Krankheitslast von HBV- und HCV-Infektionen leiden.“ Sie mahnt „robustes Monitoring und die Krankheitsüberwachung“ an, außerdem gezielte Prävention und Maßnahmen zur Eindämmung und eine engere Zusammenarbeit zwischen den Ländern. Nur so könne die Eliminierung erreicht werden.
Hepatitis-Eliminierung: Testraten erhöhen
Das ECDC fordert, dass die Testraten „dringend“ erhöht werden müssen. Nur wer getestet ist, kann behandelt werden – und steckt nicht unwissentlich andere an. Nur wer früh behandelt wird, kann Komplikationen wie Leberzirrhose oder Leberkrebs vermeiden beziehungsweise – als letzte Rettung – eine Lebertransplantation. Eine besondere Herausforderung ist bei beiden Virushepatiden, dass sie vor allem unter so genannten vulnerablen Zielgruppen grassieren können.
Das sind Menschen, die aus den unterschiedlichsten Gründen nur bedingt Zugang zu medizinischer Versorgung haben – etwa solche, die Drogen injizieren. Bei HCV ist der intravenöse Drogenkonsum mit Abstand der häufigste Übertragungsweg, bei HBV rangiert er auf Platz 4.
Hepatitis eliminieren? Es fehlt der politische Wille
Für das Jahr 2030 hat sich die WHO bekanntlich viel vorgenommen: Neben HIV und AIDS will sie HBV und HCV so zurückgedrängt haben, dass diese kein Problem der öffentlichen Gesundheit mehr darstellen. Angesichts der Abermillionen Menschen, die weltweit betroffen sind, klingt das nach Fantasterei. Aber das ist es nicht – zumindest, wenn man sich die medizinischen Interventionsmöglichkeiten anschaut: Tests, um die Krankheiten zu identifizieren, gibt es und sind kostengünstig zu haben. Wirksame Impfungen (HBV) sind ebenfalls vorhanden. Mit Medikamenten lassen sich die Krankheiten unter Kontrolle halten (HIV) oder eliminieren (HCV).
Offenbar mangelt es nur noch am politischen Willen, entsprechende Programme auf nationaler Ebene durchzusetzen – und bei manchen Ländern auch am Geld. pm