Wenn denn das Alzheimer-Medikament Kisunla in der EU zugelassen wird, heißt das für Patienten, dass der Wirkstoff Donanemab alle vier Wochen intravenös als Infusion gegeben wird. Die Verabreichung dauert etwa 30 Minuten. Foto: bilderstoeckchen/stock.adobe.com

Grünes Licht für neues Alzheimer-Medikament Kisunla: Geringe Wirkung, große Einschränkung

Der Alzheimer-Wirkstoff Donanemab (Handelsname Kisunla) hat vom Ausschuss für Humanarzneimittel CHMP grünes Licht bekommen. Der Fachausschuss der Europäischen Arzneimittelagentur (EMA) hat die Zulassung des Wirkstoffs zur Behandlung der Alzheimer-Krankheit für Menschen im frühen Krankheitsstadium empfohlen. Allerdings mit einer Einschränkung.

Die Zulassung soll auf Erkrankte mit höchstens einer Kopie der Genvariante ApoE4 beschränkt werden. Hintergrund ist, dass Erkrankte mit einer doppelten ApoE4-Kopie ein höheres Risiko auf Nebenwirkungen haben. Damit ist Kisunla neben Leqembi der zweite Alzheimer-Antikörper, der voraussichtlich in der EU als Medikament zugelassen wird.

In einigen Ländern sind Kisunla und Leqembi schon zugelassen

Im März hatte sich der Ausschuss noch gegen den Wirkstoff ausgesprochen – mit dem Hinweis auf zu große Nebenwirkungen. Daraufhin hatte der Hersteller Lilly eine erneute Prüfung beantragt. Die endgültige Entscheidung über die Zulassung liegt bei der Europäischen Kommission. Im April hatte die Europäische Kommission den Wirkstoff Lecanemab (Handelsname Leqembi) zugelassen, der ähnlich wirkt wie Kisunla. Beide Wirkstoffe sind mittlerweile unter anderem in den USA, Japan, China und Großbritannien zur Behandlung von Alzheimer-Patienten im Frühstadium freigegeben.

„Nach der Zulassung von Leqembi kommt das Votum des CHMP zu Kisunla nicht überraschend. Für Wissenschaft und Forschung ist dies eine gute Entscheidung. Auch für einen kleinen Kreis von Erkrankten ist das eine gute Nachricht. Doch auch Kisunla bringt keine Heilung, sondern kann den Krankheitsverlauf lediglich um einige Monate verzögern. Auch wenn die Wirkung von Kisunla etwas größer ist als von Leqembi, so sprechen wir immer noch von einem geringen Effekt. Das ist sicher nicht das, was sich Menschen mit Alzheimer letztendlich von einem neuen Medikament erhoffen. Trotzdem freuen wir uns natürlich für Patientinnen und Patienten, die durch Kisunla einige wertvolle Monate Zeit geschenkt bekommen“, erklärt Dr. Anne Pfitzer-Bilsing, Leiterin Wissenschaft der gemeinnützigen Alzheimer Forschung Initiative AFI.

Ungünstiges Nutzen-Risiko-Verhältnis

Dr. Pfitzer-Bilsing findet auch warnende Worte: „Der geringen Wirkung stehen potentiell gravierende Nebenwirkungen gegenüber. Bei knapp 37 Prozent der Probandinnen und Probanden traten Hirnschwellungen und Hirnblutungen auf, teilweise mit einem schwerwiegenden Verlauf. Damit schneidet Kisunla im Hinblick auf die Nebenwirkungen schlechter ab als Leqembi. Bei beiden Wirkstoffen wurde im Zusammenhang mit den Zulassungsstudien von Todesfällen berichtet.“

Wie kann man solchen Risiken begegnen? „Deshalb begrüßen wir ausdrücklich die Empfehlung des Ausschusses, Erkrankte mit einem doppelten ApoE4-Gen auszuschließen, weil diese ein höheres Risiko auf Nebenwirkungen haben. Auch die Empfehlung des Ausschusses, dass der Zugang zu einer Kisunla-Behandlung über eine zentrale Registrierung erfolgen soll, wird zur Sicherheit der Behandlung beitragen“, teilt Dr. Pfitzer-Bilsing mit.

Aufwändige Therapie für kleinen Personenkreis

Viele Alzheimer-Patienten und Angehörige setzen große Hoffnungen in den wissenschaftlichen Fortschritt und die Entdeckung neuer Therapien und Medikamente. Aber kann das neue Medikament solche Erwartungen erfüllen? „Wichtig ist, dass wir den Erkrankten keine falschen Hoffnungen machen. Nur ein sehr kleiner Kreis von Erkrankten kann von der Behandlung profitieren. Kisunla eignet sich ausschließlich für Patientinnen und Patienten in einem sehr frühen Krankheitsstadium, die bisher nur sehr leichte geistige Einbußen haben. Menschen mit fortgeschrittener Alzheimer-Erkrankung oder einer anderen Demenz kommen nicht für eine Behandlung infrage“, so Dr. Pfitzer-Bilsing.

Und es gibt noch mehr zu bedenken: „Die Therapie ist aufwändig. Es sind diverse Voruntersuchungen nötig, um festzustellen, ob Kisunla überhaupt in Betracht gezogen werden kann. Um mögliche Nebenwirkungen frühzeitig zu erkennen, sind regelmäßige MRT-Untersuchungen erforderlich. Die Patientinnen und Patienten müssen also mobil und körperlich belastbar sein.“

Wichtiger Fortschritt für die Forschung

Der Kampf gegen die Auswirkungen von Alzheimer und erst recht für eine Heilung der Erkrankung ist wohl noch lang. Deshalb sind neue Entwicklungen trotz aller Nachteile oder Begrenzungen ein Fortschritt, der vielleicht bald eine größere Dynamik in Gang setzen kann.  So ähnlich sieht es auch Dr. Pfitzer-Bilsing: „Trotz der genannten Einschränkungen in der praktischen Anwendung bedeutet die Entwicklung der beiden Antikörper Donanemab und Lecanemab einen wichtigen Schritt für die Alzheimer-Forschung. Die beiden Wirkstoffe greifen zum ersten Mal erfolgreich eine der möglichen Krankheitsursachen an. Sie beseitigen die schädlichen Ablagerungen aus Amyloid-beta, die mit dem Absterben der Nervenzellen bei Alzheimer in Verbindung gebracht werden. Bisher kann Alzheimer nur symptomatisch mit sogenannten Antidementiva behandelt werden.“

Und wie wird es weitergehen? „Sollte nach Lecanemab auch Donanemab zugelassen werden, können wir jetzt praktische und weitere wissenschaftliche Erfahrungen sammeln. Diese können helfen, die Wirkstoffe weiterzuentwickeln und vielleicht auch die Nebenwirkungen besser in den Griff zu bekommen. Trotzdem wird das nicht reichen. Die Alzheimer-Krankheit ist sehr komplex und deshalb müssen wir auch weiterhin an anderen möglichen Krankheitsursachen forschen“, erklärt Dr. Pfitzer-Bilsing

Alzheimer-Heilung durch Kombinationstherapien

Wie kann es weitergehen? Wie sieht der Pfad zu einer Therapie aus, die weitere Patientenkreise einbezieht und deren Wirkung tiefgreifender und länger ist? Die Leiterin Wissenschaft der gemeinnützigen Alzheimer Forschung Initiative AFI gewährt einen Ausblick in die Zukunft: „Um Alzheimer zu heilen, wird es eine Kombinationstherapie brauchen, die auf das individuelle Krankheitsbild der Erkrankten zugeschnitten ist. Ein weiteres therapeutisches Ziel könnten Ablagerungen aus Tau-Proteinen sein, die ebenfalls zum Absterben von Nervenzellen bei Alzheimer beitragen. Vielversprechende Forschungsansätze sehen wir außerdem bei Entzündungsprozessen im Gehirn, Stoffwechsel- oder Durchblutungsstörungen, genetischen Veränderungen oder beim Mikrobiom des Darms. Der Weg bis zur Heilung ist leider noch lang – trotz der jüngsten Forschungserfolge.“

Die wichtigsten Fragen und Antworten

Für wen ist Kisunla geeignet?

Eine Behandlung mit Kisunla kommt voraussichtlich nur für eine kleine Gruppe in Frage:

  • Menschen mit leichten kognitiven Beeinträchtigungen (Mild Cognitive Impairment, MCI) bei Alzheimer
  • Menschen im Frühstadium der Alzheimer-Demenz
  • Erkrankte, die höchstens eine Kopie des ApoE4-Gens haben
  • Da die Behandlung zeitintensiv und mit aufwändigen Untersuchungen verbunden ist, müssen Patienten außerdem noch mobil und ausreichend belastbar sein.

Wer kann nicht mit Kisunla behandelt werden?

  • Erkrankte mit einer doppelten Kopie des ApoE4-Gens (höheres Risiko für Nebenwirkungen)
  • Erkrankte in einem fortgeschrittenen Alzheimerstadium
  • Menschen mit anderen Demenzerkrankungen

Welche Untersuchungen werden durchgeführt?

Ob eine Behandlung infrage kommt, muss individuell gemeinsam mit dem Arzt entschieden werden. Dabei kommen voraussichtlich unter anderem folgende Untersuchungen zum Einsatz:

  • Nervenwasseruntersuchung und Bildgebung: Um die schädlichen Beta-Amyloid-Ablagerungen im Gehirn nachzuweisen, wird entweder eine Nervenwasseruntersuchung oder eine spezielle Bildgebung (Amyloid-PET) durchgeführt.
  • Gentest: Durch einen Bluttest wird überprüft, ob keine oder höchstens eine Kopie des ApoE4-Gens vorliegt.

Wie läuft die Behandlung voraussichtlich ab?

Weil die Therapie nur im frühen Stadium wirksam ist, müssen die Patienten möglichst frühzeitig diagnostiziert werden. Die Behandlung kann voraussichtlich nur in Unikliniken und spezialisierten Fachpraxen durchgeführt werden, die über die nötige Expertise und technische Ausstattung verfügen.

Wie und wie oft wird das Medikament verabreicht?

Kisunla wird alle vier Wochen intravenös als Infusion gegeben. Die Verabreichung selbst dauert etwa 30 Minuten.

Wie lange dauert die Behandlung?

Die Behandlungsdauer ist individuell unterschiedlich und wird so lange fortgeführt, bis ausreichend Amyloid-Plaques im Gehirn beseitigt sind. In medizinischen Studien dauerte das zwischen sechs und 18 Monaten.

Wie werden die Nebenwirkungen überwacht?

Um mögliche Nebenwirkungen wie Hirnschwellungen oder Hirnblutungen frühzeitig zu erkennen, sind regelmäßige MRT-Untersuchungen vorgesehen. Bei Auftreten von schwerwiegenden Nebenwirkungen muss die Behandlung ausgesetzt werden.

Info

Die Alzheimer Forschung Initiative e.V. (AFI) ist ein gemeinnütziger Verein, der das Spendenzertifikat des Deutschen Spendenrats e.V. trägt. Seit 1995 fördert die AFI mit Spendengeldern Forschungsprojekte engagierter Alzheimer-Forscherinnen und -forscher stellt kostenloses Informationsmaterial für die Öffentlichkeit bereit. Bis heute konnte der Verein 420 Forschungsaktivitäten mit 17,7 Millionen Euro unterstützen und über 975.000 Ratgeber und Broschüren verteilen. Interessierte und Betroffene können sich auf www.alzheimer-forschung.de fundiert über die Alzheimer-Krankheit informieren und Aufklärungsmaterial anfordern.     pm/tok