Daheim vor dem Fernseher oder vor der großen Leinwand beim Public Viewing sitzen bei dem EM-Spiel Millionen von Nationaltrainern, die alles besser wissen. Etliche davon nutzen regelmäßig Sportwetten, um mit ihrem Sachverstand und riskanter Quotenjägerei Geld zu gewinnen. Die Realität sieht aber anders aus. Am Ende gewinnt immer der Wettanbieter. Foto: alphaspirit/stock.adobe.com
EM-Euphorie fördert Sportwetten – diese Anzeichen sprechen für eine Spielsucht
Die Fußball-Europameisterschaft ist furios gestartet. Nach zwei Spielen sieben Tore und sechs Punkte – erstmals seit langem konnte man die deutsche Nationalelf als Mitfavorit bezeichnen. Die EM-Stimmung steigt, auch wenn das dritte Gruppenspiel eher die Euphorie etwas gebremst hat. Und damit dürften bei diesem Großevent auch die Umsätze von Wettspielanbietern in die Höhe schnellen. Das erwartet Konrad Landgraf, Geschäftsführer der Landesstelle Glücksspielsucht in Bayern und Mitglied im Bündnis gegen Sportwettenwerbung.
Ein erhöhtes Risiko, eine Glücksspielsucht zu entwickeln, haben Menschen in Sportvereinen. „Meistens sind es junge Männer, die das Gefühl haben, sich mit Sport gut auszukennen“, erklärt Suchtexperte Landgraf im Gesundheitsmagazin „Apotheken Umschau“.
Riskant wetten, hoch gewinnen – oder alles verlieren
Etwas über eine Stunde vor dem Anpfiff hätte man bei einem bekannten Wettanbieter für einen Sieg der deutschen Kicker eine Quote von 1,57 erhalten. Das wäre ein möglicher Gewinn von 15,70 Euro bei einem Einsatz von 10 Euro gewesen. Nicht viel für einen vermeintlich sicheren Tipp. Nach dem Abpfiff waren es 10 Euro Verlust, weil die Schweiz ein Unentschieden erkämpft hat. Aber wer dachte vor dem Spiel schon bei der aktuellen Fußballbegeisterung ans Verlieren der scheinbar bestens gelaunten Nagelsmann-Truppe?
Als Fan der Schweizer hätte man eine Sieg-Quote von 6,70 erhalten, also 67 Euro möglicher Gewinn für 10 Euro Einsatz. Das reale Spielergebnis zeigt: Das Geld wäre verloren gewesen. Hätte man ein Remis (Quote 3,80) getippt, hätte man jedoch einen möglichen 38-Euro-Gewinn eingestrichen. Und dann gab es da ja noch das Spiel Schottland gegen Ungarn. Hätte man beide Spiele in der Wette kombiniert und auf einen Sieg der Schweiz und ein Unentschieden im Match Schottland-Ungarn gesetzt, hat man für zwei richtige Spielvorhersagen und 10 Euro Einsatz 127,30 Euro gewonnen. Warum also nicht gleich einen Hunderter einsetzen? Sind doch dann 1273 Euro Gewinn.
Das verlockt natürlich. Schnell verdientes Geld. Aber für den Wettspielanbieter, denn die beiden Spiele gingen nicht passend aus. Kein Wunder, denn bei einer Wettkombination von zwei Spielen wird die Chance immer größer, einen Fehlgriff zu machen – und dann ist der ganze Einsatz verschwunden. Doch Mathematik ist bei einer Glücksspielsucht nicht gefragt. Der Traum vom großen Gewinn ist stärker als die Vernunft. Und nach und nach wird die Verlustsumme aller Wettaktivitäten immer größer.
Am Ende gewinnt immer der Wettanbieter
Die Werbung der Anbieter richtet sich gezielt an junge und sportbegeisterte Menschen. Personen, die Fußball spielen und schauen, haben oft das Gefühl, Expertenwissen in ihrem Sport zu haben und Voraussagen treffen zu können, wer als Gewinner vom Feld geht. Doch das ist ein Irrglaube. Verschiedene Untersuchungen zeigen, dass Wissen über den Sport keinen signifikanten Vorteil bei Sportwetten bringt. Am Ende gewinnt eben immer der Wettanbieter. Manche Betroffene stürzt ihre Glücksspielsucht in den finanziellen Ruin.
Wann wird das Wetten zur Sucht?
Wie aber kann man erkennen, ob man gefährdet ist? Wer folgende Gefühle oder Verhaltensweisen von sich selbst kennt, könnte unter einer Glücksspielstörung leiden:
- Sie brauchen Glücksspiel mit immer neuen Einsätzen, um eine gewünschte Erregung zu erreichen.
- Sie fühlen sich unruhig und reizbar, wenn Sie versuchen, das Glücksspiel einzuschränken oder aufzugeben.
- Sie haben schon mehrmals versucht, das Glücksspiel zu kontrollieren, einzuschränken oder aufzugeben.
- Glücksspiel nimmt Sie gedanklich sehr ein. Sie grübeln etwa über vergangene Verluste und planen, mit welchen Strategien Sie diese wieder ausgleichen und mehr Geld gewinnen können. Sie beschäftigen sich damit, wo Sie das Geld für Ihr Glücksspiel beschaffen können.
- Sie spielen häufig in belastenden Gefühlszuständen, zum Beispiel bei Hilflosigkeit, Schuldgefühlen, Angst oder depressiver Stimmung.
- Sie wiederholen Glücksspiel am nächsten Tag, um entstandene Verluste auszugleichen.
- Sie belügen andere, um das Ausmaß der Verstrickung in das Glücksspiel zu vertuschen.
- Sie laufen Gefahr, eine wichtige Beziehung oder den Arbeitsplatz zu verlieren. Aufstiegschancen sind durch das Glücksspiel gefährdet.
- Sie verlassen sich auf finanzielle Unterstützung durch andere, um die durch Glücksspielverursachte finanzielle Notlage zu überwinden.
Info für Betroffene
In Deutschland können Betroffene aus knapp 400 ambulanten und stationären Hilfeeinrichtungen für Menschen mit Glücksspielproblemen die für sie passende Therapie auswählen. Dazu gibt es etwa 150 Selbsthilfegruppen. pm/tok