Sie lauern überall – und in Krankenhäusern treffen multiresistente Bakterien auf gesundheitlich angegriffene Menschen. Im Wettlauf gegen diese Krankenhauskeime werden dringend neue Antibiotika benötigt. Foto: Michael/stock.adobe.com
Aus einer Bodenprobe entwickeln Forscher ein neues Antibiotikum gegen multiresistente Bakterien
Immer mehr bakterielle Krankheitserreger entwickeln Resistenzen. Die Gefahr nimmt zu, dass gängige Medikamente nicht mehr gegen Infektionskrankheiten wirken. Weltweit sucht die Wissenschaft deshalb nach neuen Wirkstoffen. Gefunden hat man jetzt solch einen Stoff in einem Häuflein Erde aus dem US-Bundesstaat North Carolina – und dieses neue Antibiotikum wird dringend benötigt.
Forschende der Universität Bonn, des Deutschen Zentrums für Infektionsforschung (DZIF), der Universität Utrecht (Niederlande), der Northeastern University in Boston (USA) und der Firma NovoBiotic Pharmaceuticals in Cambridge (USA) haben gemeinsam ein neues Antibiotikum entdeckt und seine Wirkweise aufgeklärt, wie das DeutschesGesundheitsPortal (DGP). Clovibactin stammt von einem Bodenbakterium. Dieses Antibiotikum attackiert hochwirksam die Zellwand von Bakterien, einschließlich zahlreicher multiresistenter Krankenhauskeime. Die Ergebnisse sind nun im renommierten Journal „Cell“ veröffentlicht.
Neue Hilfe im Kampf gegen multiresistente Krankenhauskeime
„Wir brauchen dringend neue Antibiotika, um im Wettlauf gegen resistent gewordene Bakterien zu bestehen“, sagt Prof. Dr. Tanja Schneider vom Institut für Pharmazeutische Mikrobiologie der Universität Bonn und des Universitätsklinikums Bonn. In den vergangenen Jahrzehnten seien nicht mehr viele neue Substanzen zur Bekämpfung bakterieller Erreger auf den Markt gekommen.
„Clovibactin ist neu im Vergleich zu den gängigen Antibiotika“, sagt die Co-Sprecherin des Transregio-Sonderforschungsbereichs „Antibiotic CellMAP“, die auch Mitglied im Transdisziplinären Forschungsbereich „Life & Health“ und im Exzellenzcluster „ImmunoSensation2“ ist. Das Institut für Pharmazeutische Mikrobiologie ist mit dem Deutschen Zentrum für Infektionsforschung darauf spezialisiert, die Wirkweise von Antibiotika-Kandidaten zu entschlüsseln.
„Die Tierhaltung bietet ideale Bedingungen für ein Virus, um sich an den Menschen anzupassen. (…) Was wir hier mit den Schweinen machen, ist auch nicht gut. Die würden in der Natur nie in solchen Herdengrößen auftreten. Eine wachsende Menschheit mit einem wachsenden Fleischhunger: Hier steckt das Risiko für künftige Pandemien.“
Prof. Dr. Christian Drosten, Virologe an der Charité Berlin, in einem Gespräch mit der Wochenzeitung „Die Zeit“
Zellwand wird attackiert
Das Bodenbakterium Eleftheria terrae subspezies carolina trägt seinen Herkunftsort im Namen: Es wurde aus einer Bodenprobe im US-Bundesstaat North Carolina isoliert und produziert den neuen Wirkstoff Clovibactin, um sich vor konkurrierenden Bakterien zu schützen.
„Das neue Antibiotikum attackiert gleichzeitig an mehreren Stellen den Aufbau der bakteriellen Zellwand in dem es essentielle Bausteine blockiert“, sagt Tanja Schneider. Mit ungewöhnlicher Intensität heftet es sich gezielt an diese Bausteine und tötet die Bakterien, indem es ihre Zellhülle zerstört.
Clovibactin umschließt Zielstruktur wie ein Käfig
Wie das genau funktioniert, haben die Forschungsgruppen aus unterschiedlichen Disziplinen und Ländern gemeinsam entschlüsselt. Das Team um Prof. Kim Lewis vom Antimicrobial Discovery Center der Northeastern University in Boston (USA) und die Firma NovoBiotic Pharmaceuticals in Cambridge (USA) haben Clovibactin mit der iCHip-Apparatur entdeckt. Damit lassen sich Bakterien im Labor züchten, die bislang als unkultivierbar galten und für die Entwicklung neuer Antibiotika nicht zur Verfügung standen.
„Unsere Entdeckung dieses aufregenden neuen Antibiotikums bestätigt die iCHip-Kultivierungstechnologie bei der Suche nach neuen therapeutischen Wirkstoffen aus bisher nicht kultivierten Mikroorganismen“, sagt Dr. Dallas Hughes, Präsident von NovoBiotic Pharmaceuticals, LLC. Das Unternehmen hat gezeigt, dass Clovibactin eine sehr gute Aktivität gegen ein breites Spektrum von bakteriellen Krankheitserregern aufweist und in Modellstudien erfolgreich Mäuse behandelt hat.
Wirkungsmechanismus geklärt
Den Wirkungsmechanismus des neuen Antibiotikums haben die Forschenden um Tanja Schneider aufgeklärt. Die Bonner Forschenden konnten zeigen, dass Clovibactin ganz gezielt und mit hoher Spezifität an Pyrophosphatgruppen bakterieller Zellwandbausteine bindet. Wie genau diese Bindung aussieht, hat die Gruppe um Prof. Markus Weingarth aus dem Fachbereich Chemie der Universität Utrecht in den Niederlanden aufgedeckt. Mit Festkörper-NMR-Spektroskopie haben die Forschenden die Struktur des Komplexes aus Clovibactin und der bakteriellen Zielstruktur Lipid II entschlüsselt – und das unter ähnlichen Bedingungen, wie sie in der Bakterienzelle vorkommen.
Diese Untersuchungen zeigten, dass Clovibactin um die Pyrophosphatgruppe greift. Daher rührt auch der Name Clovibactin, abgeleitet vom griechischen „Klouvi“ (Käfig), weil es die Zielstruktur wie ein Käfig umschließt.
Kombinierte Attacke minimiert Resistenzentwicklung
Clovibactin wirkt vor allem auf grampositive Bakterien. Hierzu zählen die als Krankenhauskeime bekannten MRSA, aber auch die Erreger der weit verbreiteten Tuberkulose, an der weltweit viele Millionen Menschen erkranken. „Wir sind sehr zuversichtlich, dass die Bakterien nicht so schnell Resistenzen gegen Clovibactin entwickeln“, sagt Tanja Schneider. Denn die Erreger können die Zellwandbausteine nicht so leicht verändern, um das Antibiotikum zu unterlaufen – ihre Achillesferse bleibt damit bestehen.
Doch Clovibactin kann noch mehr. Nach dem Andocken an die Zielstrukturen bildet Clovibactin supramolekulare faserartige Strukturen aus, die die Zielstrukturen fest umschließen und die Bakterienzellen weiter schädigen. Bakterien, die auf Clovibactin treffen, werden außerdem dazu angeregt, bestimmte Enzyme – sogenannte Autolysine – freizusetzen, die nun unkontrolliert die eigene Zellhülle auflösen.
„Die Kombination dieser verschiedenen Mechanismen ist der Grund für die außergewöhnliche Widerstandsfähigkeit gegenüber Resistenzen“, sagt Tanja Schneider. Dies zeigt, welches Potenzial noch in der natürlichen Vielfalt der Bakterien steckt, die für neue Antibiotika in Frage kommen.
Interdisziplinäre Kooperation
„Ohne die interdisziplinäre Kooperation zwischen den Partnern wäre dieser wichtige Schritt im Kampf gegen Resistenzen nicht gelungen“, sagt Prof. Markus Weingarth. Das Forschungsteam will nun seine Erkenntnisse nutzen, um die Wirksamkeit des Clovibactin weiter zu steigern. „Doch bis das neue Antibiotikum auf dem Markt kommt, ist es noch ein weiter Weg“, sagt Tanja Schneider. DGP