In Deutschland sind die regionalen Unterschiede in der Verordnung von Antibiotika beachtlich: Baden-Württemberg liegt mit 192 Antibiotika-Verordnungen und mit 167 Verordnungen von Reserveantibiotika je 1000 GKV-Versicherte im bundesweiten Mittelfeld. Foto: joyfotoliakid/stock.adobe.com

AOK plädiert für verantwortungsvollen Einsatz von Antibiotika und Reserveantibiotika

Die Zahl der Verordnungen von Antibiotika in Baden-Württemberg ist im Jahr 2022 wieder deutlich angestiegen. Sie liegt mit knapp 3,6 Millionen Verordnungen aber weiterhin rund 13 % unter dem Wert von 2019 vor Beginn der Pandemie. „Diese Entwicklung signalisiert eine zunehmende Sensibilität bei Ärztinnen und Ärzte sowie Patientinnen und Patienten für einen verantwortungsvollen Einsatz von Antibiotika. Das trägt nicht nur zur individuellen Gesundheit bei, sondern auch zur langfristigen Wirksamkeit dieser lebenswichtigen
Medikamente“, betont Johannes Bauernfeind, Vorstandsvorsitzender der AOK Baden-Württemberg.

Reserveantibiotika: sorgloser Umgang fördert Resistenzen

Auch der Anteil der verordneten Reserveantibiotika ist rückläufig. Mit 45 % bleibt er 2022 in Baden-Württemberg auf ähnlichem Niveau wie in den „Corona-Jahren“ 2020 und 2021, jedoch 4 % unter dem Wert von 2019. Damit liegt der Anteil der Reserveantibiotika im Land insgesamt leicht über dem Bundesdurchschnitt (42 %). Reserveantibiotika sind Medikamente, für deren Einsatz eine strenge Indikation vorgesehen ist.

Trotz dieser positiven Entwicklung würden Reserveantibiotika immer noch zu häufig verordnet, betont Helmut Schröder, Geschäftsführer des Wissenschaftlichen Instituts der AOK (WIdO). „Je sorgloser sie verordnet werden, desto resistenter werden Bakterien gegen Antibiotika. Die einstigen Wunderwaffen gegen Infektionskrankheiten werden durch ihren starken Einsatz sowohl in der Humanmedizin als auch in der Tierhaltung zunehmend stumpfer“, warnt Schröder. Reserveantibiotika sollten streng den Leitlinien folgen, um die Resistenzentwicklung von Bakterien zu verhindern.

Die regionalen Unterschiede in der Verordnung von Antibiotika sind beachtlich: So lag der Verordnungsanteil der Reserveantibiotika in Hamburg mit 118 Verordnungen je 1000 GKV-Versicherte am niedrigsten, während der Anteil in Hessen mit 227 Verordnungen je 1000 GKV-Versicherte fast doppelt so hoch war. Baden-Württemberg liegt mit 167 Verordnungen von Reserveantibiotika je 1000 GKV-Versicherte im bundesweiten Mittelfeld.

AOK-Studie zu Antibiotika-Resistenzen: Abwasser aus Produktion extrem belastet

AOK setzt sich für nachhaltige Antibiotikaversorgung ein

Neben Aufklärungskampagnen für Patienten betont Bauernfeind die Notwendigkeit, die gesamte Wertschöpfungskette zu betrachten. Eine Pilotstudie der AOK-Gemeinschaft zur ökologischen Nachhaltigkeit in der Antibiotikaproduktion hat 2023 unter Federführung der AOK Baden-Württemberg und in Zusammenarbeit mit dem IWW Rheinisch-Westfälisches Institut für Wasserforschung und dem Umweltbundesamt besorgniserregend hohe Wirkstoffkonzentrationen in Produktionsabwässern und der unmittelbar beeinflussten Umwelt aufgezeigt. Die hohen Messwerte zeigen nicht nur ein Risiko für die lokale Bevölkerung auf, sondern auch für eine globale Ausbreitung antimikrobieller Resistenzen.

„Damit Antibiotika weiterhin ihre Wirkung entfalten können, müssen antimikrobielle Resistenzen effektiv bekämpft werden. Es braucht dringend Änderungen auf europäischer Ebene im EU-Arzneimittelrecht, um das Problem der antimikrobiellen Resistenzen bei der Wurzel zu packen“, fasst Bauernfeind die Forderung der Studienautoren zusammen. „Notwendig sind verbindliche Umweltkriterien für die Zulassung und laufende Produktion ausgewählter Arzneimittel, insbesondere Antibiotika, sowie einheitliche Kontrollsysteme zu deren Einhaltung“.

Neue Antibiotika werden benötigt

Auch die Entwicklung neuer Reserveantibiotika ist erforderlich. Im Zuge der Pharmastrategie hat das Bundeskabinett unter anderem verstärkte finanzielle Anreize für die Forschung und Entwicklung neuer Antibiotika angekündigt. In den vergangenen zehn Jahren waren lediglich neun von insgesamt 362 Wirkstoffen, die neu in den Markt eingeführt worden sind, Antibiotika. Zudem entfielen von den im Jahr 2022 verordneten knapp 2.500 verschiedenen Wirkstoffen und Wirkstoffkombinationen nur 57 auf Reserveantibiotika. „Daher ist es besonders problematisch, dass deren Wirksamkeit durch die hohen Verschreibungsraten aufs Spiel gesetzt wird“, so Bauernfeind.   pm

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