Wenn sich der Verdacht auf ein Glioblastom bestätigt, wird in der Regel schnell so viel Tumorgewebe wie möglich operativ entfernt. Danach folgt meist eine kombinierte Behandlung mit Bestrahlung und Chemotherapie, eventuell auch mit elektrischen Wechselfeldern (TTFields). Foto: Gorodenkoff/stock.adobe.com

Aggressives Glioblastom: Das Tumorwachstum hemmen und das Rückfallrisiko verringern

Jährlich erkranken etwa drei von 100.000 Menschen in Deutschland an einem Glioblastom, einem besonders aggressiven Hirntumor. Die Diagnose reißt die Erkrankten oft ohne Vorwarnung aus ihrem Alltag, denn ein Glioblastom kann sich ohne vorherige Anzeichen sehr schnell entwickeln. Den Betroffenen bleibt kaum Zeit, sich mit drängenden Fragen zu befassen. In der Telefonaktion SPRECHZEIT konnten Vital-Region-Leser den Experten Fragen stellen. Hier lesen Sie die wichtiges Fragen und Antworten.

Wie sieht die Diagnose bei einem Verdacht auf einen Hirntumor aus?

Dr. med. Anna-Luisa Luger: Zunächst wird genau nach Beschwerden wie Kopfschmerzen, Lähmungen oder Krampfanfällen gefragt und eine neurologische Untersuchung durchgeführt. Dann folgt meist eine Magnetresonanztomographie (MRT) mit Kontrastmittel, um den Tumor sichtbar zu machen. Zur sicheren Diagnose entnimmt man Tumorgewebe. Dies erfolgt im Rahmen einer Entfernung des Tumors oder im Rahmen einer Biopsie. Das entnommene Tumorgewebe wird genau untersucht, um Art und Grad des Tumors festzustellen. Zusätzlich werden spezielle Tests gemacht, um wichtige biologische Merkmale des Tumors zu erkennen, die für die Therapie entscheidend sind.

Was sind die nächsten Schritte, wenn sich der Verdacht auf ein Glioblastom bestätigt?

Dr. med. Anna-Luisa Luger: Wenn sich der Verdacht auf ein Glioblastom bestätigt, wird in der Regel so viel Tumorgewebe wie möglich operativ entfernt. Danach folgt meist eine kombinierte Behandlung mit Bestrahlung und Chemotherapie. Zusätzlich kann eine spezielle Therapie mit elektrischen Wechselfeldern (TTFields) eingesetzt werden, die das Tumorwachstum hemmen soll. Die Ärzte prüfen auch, ob eine Teilnahme an einer Studie sinnvoll ist, um Zugang zu neuen Behandlungsmöglichkeiten zu ermöglichen.

Was zeichnet ein zertifiziertes neuroonkologisches Zentrum aus, wie finde ich eines?

Dr. med. Anna-Luisa Luger: In einem zertifizierten neuroonkologischen Zentrum arbeiten Fachleute aus verschiedenen Bereichen eng zusammen und bieten modernste Diagnostik sowie Therapien nach klaren Qualitätsstandards an. Betroffene profitieren von einem gut abgestimmten Behandlungsplan, Zugang zu Studien und umfassender Beratung. Solche Zentren findet man über die Webseiten großer Kliniken, über die Deutsche Krebsgesellschaft oder die Plattform OncoMap (www.oncomap.de).

Wird in jedem Fall operiert?

Jörg Illert: In der Regel ja, denn nur mit einer Operation kann ein Tumor entfernt, zumindest aber Tumorgewebe gewonnen werden, um es feingeweblich zu untersuchen und dann eine endgültige Diagnose zu stellen. Erst danach kann man eine gezielte Therapie beginnen. Solch eine OP kann als offener Eingriff oder als so genannte Biopsie erfolgen. Biopsien gelten als „kleinere“ Eingriffe und werden immer dann durchgeführt, wenn der Tumor sich in einer Region des Hirns befindet, welche keine größere Operation erlaubt.

Welche Risiken bringt die OP mit sich?

Jörg Illert: In der modernen Hirntumorchirurgie verfolgen wir gleichzeitig zwei Ziele: Einerseits möglichst den ganzen in der Bildgebung sichtbaren Tumor zu entfernen, weil wir so das beste Langzeitergebnis für die Patienten erreichen können. Das zweite Ziel ist der Erhalt der neurologischen Funktionen beim Patienten. Oft liegen die Tumoren jedoch in der Nähe wichtiger Hirnstrukturen. Werden diese verletzt, besteht das Risiko von zum Beispiel Lähmungen, Taubheitsgefühlen, Seh- oder Sprachstörungen. Um dies zu vermeiden und die Operation so sicher wie möglich zu gestalten, stehen uns heutzutage moderne Techniken der Bildgebung und der Funktionsüberwachung bis hin zur Wachoperation zur Verfügung.

Trifft die Strahlentherapie auch gesundes Hirngewebe?

Dr. med. Felix Bock: Bei der Bestrahlung gilt es so wenig gesundes Gewebe wie möglich und so viel wie nötig zu behandeln. Dafür wird ein Sicherheitsbereich um das Operationsgebiet und die ehemalige Tumorlokalisation festgelegt. Dieser Sicherheitsbereich beinhaltet für gewöhnlich auch gesundes Gewebe. Da jedoch vor allem im Randgebiet der Operation mit Rückfällen zu rechnen ist, ist die Einbeziehung dieses Sicherheitssaumes sinnvoll und führt in der Regel nicht zu schweren Nebenwirkungen.

Wie lange bleibt man nach der Operation in der Klinik?

Jörg Illert: Patientinnen und Patienten mit Glioblastom bleiben nach einer operativen Behandlung in Deutschland etwa zehn Tage stationär in der Klinik. In der ersten postoperativen Phase werden sie üblicherweise ein bis zwei Tage auf einer Überwachungs- oder Intensivstation behandelt, bevor sie auf die Normalstation verlegt werden. Unkomplizierte Verläufe ermöglichen meist eine Entlassung nach fünf bis sieben Tagen, während Komplikationen den Aufenthalt verlängern können. Unterschiede ergeben sich zudem durch Faktoren wie Alter, Begleiterkrankungen und den Umfang der Operation.

Wann kommt TTFields als ergänzende Therapie in Betracht?

Dr. med. Anna-Luisa Luger: TTFields kommen als ergänzende Therapie in Betracht, wenn nach der Operation und der kombinierten Strahlen- und Chemotherapie eine Erhaltungstherapie geplant wird. Sie werden vor allem bei Erwachsenen mit neu diagnostiziertem Glioblastom eingesetzt, um das Tumorwachstum weiter zu hemmen und das Rückfallrisiko zu verringern. Die Entscheidung dafür wird individuell im Behandlungsteam und im Gespräch mit den Betroffenen getroffen.

Wie kann ich mir die Anwendung von TTFields vorstellen?

Dr. med. Anna-Luisa Luger: TTFields werden über flexible Elektroden auf der Kopfhaut angewendet, die in einem speziellen Muster aufgeklebt werden. Diese Elektroden sind mit einem tragbaren Gerät verbunden, das schwache elektrische Wechselfelder erzeugt und rund um die Uhr getragen wird – meist in einer Tasche oder einem Rucksack. Die Behandlung ist schmerzfrei und kann zu Hause durchgeführt werden, erfordert aber regelmäßiges Rasieren der Kopfhaut und eine Tragezeit von möglichst 18 Stunden pro Tag, um wirksam zu sein.

Wird erneut operiert, wenn der Tumor zurückkommt?

Jörg Illert: Eine erneute Operation wird insbesondere dann in Betracht gezogen, wenn eine weitgehend vollständige Entfernung des Tumors möglich ist und der Patient einen guten Allgemeinzustand aufweist. Dabei ist das individuelle Risiko für neurologische Defizite oder Komplikationen sorgfältig abzuwägen. Als Alternativen zur Operation stehen Chemotherapie, Strahlentherapie und die Behandlung mit Tumortherapiefeldern zur Verfügung.

Wer hilft, um mit den seelischen Folgen der Diagnose fertig zu werden?

Dr. med. Felix Bock: Neben selbst gewählten Bezugspersonen wie Freunde und Familienangehörige, können auch Selbsthilfegruppen eine große Unterstützung darstellen. Darüber hinaus kann die Kontaktaufnahme mit Psychoonkologinnen und Psychoonkologen bereits mit Diagnosestellung hilfreich und entlastend sein. Bei umfangreichen und stark einschränkenden seelischen Belastungen ist auch die Begleitung durch eine Psychologin oder einen Psychologen zu erwägen. In einigen Regionen gibt es darüber hinaus Vereine mit unterstützenden Angeboten oder gar ehrenamtlichen Begleitungen.

Wie können wir die Betreuung meines Mannes zu Hause so lange wie möglich sicherstellen?

Dr. med. Felix Bock: Die Betreuung in der Häuslichkeit ist für viele Patienten ein großer Wunsch. Lassen Sie sich von Ihrer zuständigen Pflegekasse oder einer unabhängigen Pflegeberatung informieren, welche Unterstützung dabei möglich ist. Wir empfehlen zudem die frühzeitige Abstimmung mit einem Sozialdienst der behandelnden Klinik. Dort kann auch über benötigte Hilfsmittel beraten werden. In vielen Regionen gibt es zudem aufsuchende Dienste, zum Beispiel ambulante Hospizdienste. Sollten zunehmende einschränkende Symptome im Vordergrund stehen, kann eine spezialisierte ambulante Palliativversorgung (SAPV) erwogen werden.      pm

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Die Experten in der SPRECHZEIT waren:

  • PD Dr. med. Anna-Luisa Luger; Fachärztin für Neurologie, Zusatzbezeichnungen Neurologische Intensivmedizin, Palliativmedizin; Oberärztin; Ärztliche Koordinatorin Neuroonkologisches Zentrum; Zentrum der Neurologie und Neurochirurgie, Klinik für Neurologie, Universitätsmedizin Frankfurt/Main
  • Jörg Illert; Facharzt für Neurochirurgie; Oberarzt an der Universitätsklinik und Poliklinik für Neurochirurgie des Universitätsklinikums Halle (Saale), Universitätsmedizin Halle
  • Dr. med. Felix Bock; Facharzt für Strahlentherapie; Funktionsoberarzt; Klinik und Poliklinik für Strahlentherapie, Universitätsmedizin Rostock