Ein Unternehmen, zwei Frühstücksflocken-Produkte und zwei verschiedene Ergebnisse in Sachen mögliches Werbeverbot: Bei den Kellogg’s-Produkten macht der Zuckeranteil den Unterschied. Foto: foodwatch e.V.

Werbeverbot für Ungesundes: Diese Lebensmittel wären wirklich betroffen

Kinder essen etwa doppelt so viel Süßigkeiten, aber nur halb so viel Obst und Gemüse wie empfohlen. Aktuell sind 15 Prozent der Kinder und Jugendlichen von Übergewicht und 6 Prozent von starkem Übergewicht (Adipositas) betroffen. Hier tickt eine Zeitbombe, die zu schwersten Krankheiten führen kann.

Ihnen drohen im späteren Leben Krankheiten wie Typ-2-Diabetes, Gelenkprobleme, Bluthochdruck und Herzerkrankungen. Jeder siebte Todesfall in Deutschland ist laut Daten der OECD auf ungesunde Ernährung zurückzuführen.

WHO empfiehlt Werbeverbot für ungesunde Lebensmittel

Bundesernährungsminister Cem Özdemir hat Ende Februar Eckpunkte für ein Gesetz vorgestellt, das die an Kinder gerichtete Werbung für ungesunde Lebensmittel beschränken soll. Werbung für Produkte, die die Nährwertkriterien der Weltgesundheitsorganisation WHO nicht erfüllen, soll tagsüber zwischen 6 Uhr und 23 Uhr – also immer dann, wenn Kinder vor den Empfangsgeräten sitzen – im TV, Internet und Hörfunk untersagt sein.

Durch Fernsehwerbung werden Kinder insbesondere zur abendlichen Primetime erreicht, wenn die Kinder mit ihren Eltern vor dem TV sitzen. Unter den bei Kindern beliebtesten Sendungen ist laut einer Analyse der Verbraucherorganisation foodwatch jede dritte Sendung kein klassisches Kinderformat, sondern zum Beispiel ein Familienfilm, eine Casting-Show oder eine Sportübertragung. Laut Özdemirs Gesetzentwurf sollen auch Influencer in den sozialen Medien nur noch für ausgewogene Lebensmittel werben dürfen.

Wie jede andere Milch darf auch die Landliebe Vollmilch weiterhin überall beworben werden. Bei gesüßten Milchgetränken sieht es anders aus. Müllermilch Vanille enthält 10 Gramm Zucker pro 100 Milliliter – etwa so viel wie eine klassische Coca-Cola. Foto: foodwatch e. V.

Studie zeigt: Viele Lebensmittel halten Grenzwerte ein

Dass das WHO-Nährwertmodell eine geeignete Grundlage für die geplanten Regeln für Kinderschutz in der Lebensmittelwerbung ist, zeigt eine neue Studie von Wissenschaftlern der Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU) in Zusammenarbeit mit der Deutschen Allianz Nichtübertragbare Krankheiten (DANK). Im Schnitt halten etwa 40 Prozent der insgesamt 660 untersuchten Lebensmittel aus 22 Produktkategorien die vom Bundesernährungsministerium vorgeschlagenen Grenzwerte für Kalorien, Zucker, Fette und Salz ein.

Als Bundesernährungsminister Cem Özdemir seine Pläne vorgestellt hatte, kritisierten FDP-Politiker das vorgeschlagene Nährwertmodell als „in der Praxis nicht umsetzbar“ und „weltfremd“. Der Zentralverband der Werbewirtschaft (ZAW) spricht von einem „weitgehenden Totalwerbeverbot für Lebensmittel“.

Auch bei Früchtemüslis gibt es Produkte, die nach wie vor uneingeschränkt vermarktet werden können. Foto: foodwatch e. V.

Gesundheitsorganisationen wollen ein Werbeverbot

„Die Aussagen der Werbeindustrie sind angesichts der Studienergebnisse nicht haltbar. Die geplanten Regelungen hätten keinesfalls ein Totalwerbeverbot für Lebensmittel zur Folge. Werbung für Gesundes wäre weiterhin uneingeschränkt erlaubt und Werbung für Ungesundes würde wirksam eingedämmt. Wir appellieren an Bundesernährungsminister Cem Özdemir, an dem Vorhaben festzuhalten – und an die FDP, sich nicht vor den Karren der Werbeindustrie spannen zu lassen“, sagt Barbara Bitzer, Sprecherin der DANK und Geschäftsführerin der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG).

„Natürlich lässt sich über jeden Grenzwert und jedes konkrete Modell trefflich streiten“, ergänzt Oliver Huizinga, Co-Autor der Studie und politischer Geschäftsführer der Deutschen AdipositasGesellschaft (DAG). „Das machen sich die Gegner des Vorhabens zu Nutze und versuchen, mit selektiven Produktbeispielen Zweifel zu säen. Doch unsere Auswertung einer großen Zufallsstichprobe zeigt: Die geplanten Grenzwerte sind praxistauglich und keinesfalls weltfremd. Nicht ohne Grund ist das WHO-Modell international anerkannt und findet bereits in mehreren Staaten Anwendung“, so Huizinga.

Süßgetränke sind ein wesentlicher Treiber für Übergewicht und Adipositas. Anders als vom WHO-Nährwertmodell vorgesehen dürfen auch Fruchtsäfte nach den geplanten Regeln des Bundesernährungsministeriums vermarktet werden. Eine Bedingung: Den Säften darf kein Zucker zugesetzt sein. Foto: foodwatch e. V.

Studie: Viele gesunde Milchgetränke, Energy Drinks fallen unters Werbeverbot

Für die Studie haben die Wissenschaftler eine Zufallsstichprobe von 660 Lebensmitteln – 30 Produkte je Lebensmittelkategorie – aus der Datenbank Open Food Facts untersucht, welche in Deutschland vertrieben werden. Von der Stichprobe erfüllen beispielsweise 80 Prozent der Milchgetränke, 73 Prozent der Fette und Öle, 60 Prozent der Fertiglebensmittel und 57 Prozent der Brote und Backwaren die Grenzwerte und könnten somit weiterhin uneingeschränkt beworben werden.

In den Kategorien Süßwaren, Kuchen, Eiskreme, Saucen und Energy Drinks liegt die Quote bei 0 Prozent – alle Produkte dieser Kategorien wären von den Werberegeln betroffen. Im Schnitt über alle 22 Kategorien hinweg liegen 38 Prozent der Produkte innerhalb der Grenzwerte. In einigen Produktkategorien ließe sich der Anteil der für Kinder-Lebensmittelmarketing zugelassenen Produkte durch eine moderate Kalorien-, Zucker-, Salz- oder Fettreduktion deutlich steigern.

Aber auch der Anteil an gesättigten Fettsäuren kann ebenfalls den Unterschied bei einem Werbeverbot ausmachen. Foto: foodwatch e. V.

Angepasste Rezeptur kann Werbeverbot verhindern

Die Anwendung des Modells könne daher Anreize für Rezepturanpassungen schaffen, so die Autoren. Bei einer angenommenen Senkung des Zuckergehalts in Frühstückscerealien um 30 Prozent würden beispielsweise zwei Drittel der untersuchten Produkte die Grenzwerte einhalten.

Bei einer Senkung des Salzgehalts in Brot um 20 Prozent gilt dies sogar für 9 von 10 Produkten der Kategorie. Größere Schwierigkeiten bei der Anwendung des WHO-Modells haben die Autoren nicht identifiziert. Vereinzelt könnten fehlende Kennzeichnungspflichten für Nährwertangaben die Anwendung des Modells erschweren. Als Limitation der Studie beschreiben die Autoren, dass die Zufallsstichprobe nicht absatzgewichtet und damit nicht zwingend repräsentativ für den Lebensmittelmarkt ist.

foodwatch: Unnötige Panik um totales Werbeverbot

Die Verbraucherorganisation foodwatch hat der Lebensmittelindustrie und der Werbewirtschaft vorgeworfen, mit ihren Lobbykampagnen gegen die geplanten Werbeschranken zum Schutz der Kindergesundheit die Öffentlichkeit in die Irre zu führen. „Die Lebensmittelindustrie schürt Panik vor einem Totalwerbeverbot für Produkte wie Käse oder Müsli. Etliche Lebensmittel können jedoch nach wie vor an Kinder vermarktet werden – von Cornflakes über Maultaschen bis hin zu Fruchtjoghurts. Özdemirs geplantes Gesetz orientiert sich an dem wissenschaftlich fundierten WHO-Nährwertprofil. Produkte mit zu viel Zucker, Fett oder Salz fallen durch – und das völlig zurecht: Denn es sind genau diese Produkte, von denen Kinder weniger essen sollten“, erklärte Luise Molling von foodwatch.

Auch bei Käse gibt es Produkte, die uneingeschränkt beworben werden dürfen, wie der Frischkäse Philadelphia Balance (11 Gramm Fett auf 100 Gramm). Der Ferdi Fuchs Gouda (29 Gramm) enthält zu viel Fett. Foto: foodwatch e. V.

Sieben Beispiele für Produkte mit und ohne mögliches Werbeverbot

Oft bieten Hersteller mehrere ähnliche Produkte an, von denen ein Teil unter das Werbeverbot fallen würde, während der andere Teil weiter beworben werden könnte. Oft könnten die Produkte, deren Grenzwerte ganz knapp ein Werbeverbot bringen würden, mit wenig Änderungen in der Rezeptur angepasst werden.

Frühstücksflocken

Kellogg’s Frosties liegen mit einem Zuckergehalt von 37 Prozent weit über dem Grenzwert von 12,5 Prozent. Im Gegensatz dazu könnte Kellogg’s seine Cornflakes weiterhin auf allen Kanälen bewerben: Das Produkt enthält lediglich 8 Gramm Zucker auf 100 Gramm.

Früchtemüsli

Auch bei Früchtemüslis gibt es Produkte, die nach wie vor uneingeschränkt vermarktet werden können. Etwa das Beerenmüsli von Mymuesli, das gut 10 Prozent Zucker enthält. Das Beerenmüsli von Alnatura liegt mit 18 Gramm pro 100 Gramm hingegen deutlich über dem Grenzwert von 12,5 Gramm.

Joghurts

Der Erdbeer-Joghurt von Gut & Günstig enthält 12,1 Gramm Zucker je 100 Gramm und 0,9 Gramm gesättigte Fettsäuren. Er kann gemäß Özdemirs Gesetzentwurf nach wie vor auf allen Kanälen beworben werden. Der Ehrmann Almighurt Erdbeere hingegen liegt mit 13 Gramm Zucker pro 100 Gramm knapp über dem Grenzwert von 12,5 Prozent und mit 1,8 Gramm gesättigten Fettsäuren deutlich über dem WHO-Grenzwert von 1,0 Gramm je 100 Gramm.

Käse

Auch bei Käse gibt es Produkte, die nach wie vor uneingeschränkt beworben werden dürfen. Etwa der Frischkäse Philadelphia Balance mit 11 Gramm Fett auf 100 Gramm. Der Ferdi Fuchs Gouda enthält dagegen mit 29 Gramm zu viel Fett.

Gnocchi

Die Lebensmittelindustrie warnt, dass für Gnocchi keine Werbung mehr gemacht werden könnte. Das stimmt nicht: Zum Beispiel die Kartoffel-Gnocchi von Rana können nach wie vor vermarktet werden. Die „Pfannen-Gnocchi“ vom gleichen Hersteller enthalten mit 1,8 Prozent hingegen deutlich zu viel Salz. Der Grenzwert liegt bei 1,27 Gramm Salz pro 100 Gramm.

Milch

Wie jede andere Milch darf auch die Landliebe Vollmilch weiterhin auf allen Kanälen beworben werden. Anders sieht es bei gesüßten Milchgetränken aus. Ein Beispiel: Müllermilch Vanille enthält 10 Gramm Zucker pro 100 Milliliter. Das ist in etwa so viel Zucker wie in einer klassischen Coca-Cola.

Getränke

Süßgetränke sind ein wesentlicher Treiber für Übergewicht und Adipositas. Ohne einen Sättigungseffekt liefern sie ausschließlich „leere“ Kalorien – also viel Energie, ohne gleichzeitig zur Versorgung mit anderen Nähr- oder Mineralstoffen beizutragen. So wird zum Beispiel die Fritz-Limo Zitrone von den Werbebeschränkungen erfasst. Für ungesüßtes Wasser mit Zitronengeschmack, wie das „Spritzig+Citrus“ von Bad Liebenwerda, kann jedoch weiter Werbung gemacht werden. Anders als vom WHO-Nährwertmodell vorgesehen dürfen auch Fruchtsäfte nach den geplanten Regeln des Bundesernährungsministeriums vermarktet werden. Eine Bedingung: Den Säften darf kein Zucker zugesetzt sein.

pm/DANK/tok