PEARS-Stütze: Bei der PEARS-Prozedur wird ein Kunststoff-Netz um die Hauptschlagader gelegt, um diese zu stützen. Da die Form der Aorta bei jedem Menschen einzigartig ist, wird mithilfe einer speziellen CT-Untersuchung und eines 3D-Druckers eine exakte Nachbildung der Aorta erstellt. Anhand dieser Kopie wird das Netz millimetergenau modelliert. Foto: Universitätsklinikum Heidelberg

Wenn die Aorta zu reißen droht: Stützen statt ersetzen

Ein Team der Herzchirurgie am Universitätsklinikum Heidelberg hat erstmalig in Deutschland eine neuartige Stütze für die Hauptschlagader, die Aorta, implantiert. Das aus Kunststoff gefertigte Netz verhindert bei bestimmten erblich bedingten Bindegewebserkrankungen wie dem Marfan-Syndrom die gefährliche Erweiterung und das Reißen der Aorta.

Der Eingriff bietet eine Alternative zu der herkömmlichen Operationsmethode, bei der ein Teil der Aorta vorsorglich entfernt und durch eine Prothese ersetzt werden muss.

Umhüllung der Aortenwurzel statt komplexer Operation

Fast fünf Liter Blut pro Minute pumpt das Herz in die Hauptschlagader, die Aorta. Am ersten Abschnitt der Aorta, der Aortenwurzel, entsteht dabei ein Druck wie in eineinhalb Meter Wassertiefe. Dieses Druckaufkommen muss das Bindegewebe, das die Aortenwand zusammenhält, aushalten. Bei bestimmten Bindegewebserkrankungen wie dem Marfan-Syndrom kann dieses Gewebe jedoch geschwächt sein und dem Druck nicht standhalten, wodurch sich die Aortenwurzel ausdehnt. Unbehandelt besteht das Risiko eines lebensbedrohlichen Risses.

Um diesem Risiko vorzubeugen, wird bislang die Aortenwurzel durch eine Prothese ersetzt. Ein komplexer Eingriff, bei dem die Patienten während der Operation auch an eine Herz-Lungen-Maschine angeschlossen werden müssen. Gemeinsam mit einem erfahrenen Team aus dem Universitätsklinikum Amsterdam wurde am UKHD nun erstmalig in Deutschland eine Therapiealternative durchgeführt, die ohne Ersatz der Aorta und ohne Verwendung der Herz-Lungen-Maschine auskommt. Das Team umhüllte die Aortenwurzel und den aufsteigenden Teil der Aorta mit einem stabilisierenden Kunststoff-Netz. Der Eingriff ist erfolgreich verlaufen. Der Patient ist auf dem Weg der Genesung und konnte aus dem Krankenhaus entlassen werden.

Jedes Stück ein Unikat

„Mit dieser neuen Technik können wir die Aortenwurzel frühzeitig und vorbeugend stabilisieren, bevor sie sich gefährlich ausdehnt und zu zerrreißen droht“, erklärt Professor Dr. Rawa Arif, Leiter der Marfan-Ambulanz an der Klinik für Herzchirurgie am Universitätsklinikum Heidelberg (UKHD), die Vorteile. „Das bietet eine vielversprechende neue Therapie-Option, die wir bei ausgewählten Patinnen und Patienten in Betracht ziehen können. Das bisherige Verfahren, bei dem die Aortenwurzel durch eine Prothese unter Erhalt der eigenen Herzklappe ersetzt wird, bleibt jedoch weiterhin eine bewährte und sichere Methode, die sehr gute Langzeitergebnisse aufweist“, so Professor Arif. In der Marfan-Ambulanz am UKHD werden Patienten mit aortalen Bindegewebserkrankungen aus ganz Deutschland betreut.

Um die Aortenwurzel bestmöglich zu stabilisieren, wird das Kunststoff-Netz individuell an die Form der Hauptschlagader angepasst. Da die Form der Aorta bei jedem Menschen einzigartig ist, wird mithilfe einer speziellen CT-Untersuchung und eines 3D-Druckers eine exakte Nachbildung der Aorta erstellt. Anhand dieser Kopie wird das Netz millimetergenau modelliert. Die Methode ist daher als Personalisierte Externe Aortenwurzel-Stütze (engl.: Personalised External Aortic Root Support, PEARS-Prozedur)bekannt.

Das Operations-Team, das erstmalig in Deutschland die PEARS-Prozedur durchgeführt hat: (von links) Rebecca Krey, Herzchirurgie, Karolin König, Herzchirurgie, Willem te Gussinklo, Herzchirurgie, Sebastian Schüppel, Anästhesiologie, Stefanie Gerstner, Herzchirurgie, Rawa Arif, Herzchirurgie, Dave Koolbergen, Amsterdam UMC, Anil Panday, Amsterdam UMC, Christoph Lichtenstern, Anästhesiologie, Max Baumann, Anästhesiologie. Foto: Universitätsklinikum Heidelberg

Der lange Weg einer guten Idee

Bei sehr seltenen Erkrankungen wie dem Marfan-Syndrom ist es besonders herausfordernd, neue Therapien zu entwickeln und zu etablieren – so auch bei der PEARS-Prozedur: Tal Golesworthy, ein britischer Prozess-Ingenieur ohne medizinische Ausbildung, entwickelte Anfang der 2000er-Jahre das Verfahren aus persönlicher Not heraus. Er selbst ist vom Marfan-Syndrom betroffen und wollte die Implantation einer künstlichen Herzklappe vermeiden. Nach vier Jahren Entwicklungszeit war Tal Golesworthy selbst der erste Patient, an dem die Prozedur 2004 durchgeführt wurde. Seither wurde das Verfahren an mehr als 1000 Patienten weltweit angewendet – nun auch erstmals in Deutschland.

„Klinische Studien zeigen inzwischen, dass einige Betroffene von der PEARS-Prozedur langfristig profitieren können. Wir sind sehr froh, dass die Deutschland-Premiere gut verlaufen ist und wir in unserer spezialisierten Marfan-Ambulanz am Universitätsklinikum Heidelberg den Betroffenen nun alle Therapie-Optionen anbieten können. Eine solch spezialisierte Operationsmethode erfordert eine interdisziplinäre Zusammenarbeit und das hohe Engagement aller Beteiligten“, so Professor Arif. In der Klinik für Herzchirurgie am UKHD werden unter der Leitung von Professor Dr. Matthias Karck jährlich etwa 180 operative Eingriffe an der Brustaorta durchgeführt. Die Klinik gehört damit zu den erfahrensten Einrichtungen in Deutschland auf diesem speziellen Gebiet. pm

Weitere Informationen unter:

Marfan-Zentrum am Universitätsklinikum Heidelberg

Klinik für Herzchirurgie am Universitätsklinikum Heidelberg

Informationen zum Marfan-Syndrom (Marfan Hilfe e.V.)