Aufgrund der potenziellen Nebenwirkungen ist beim Einsatz von Semaglutid eine sorgfältige Nutzen-Risiko-Abwägung und engmaschige ärztliche Kontrolle wichtig. Als Abnehmmittel taugt Semaglutid daher nur bedingt. Bildrechte/Foto: Getty Images/iStockphoto/imyskin
Spritze rein, schlanker sein: Apotheker warnen vor Missbrauch von Diabetes-Mittel
„Gesunde Ernährung und Bewegung – das war, ist und bleibt die beste Strategie, um überflüssige Pfunde zu verlieren“, heißt es in einer Mitteilung der Apothekerkammer Nordrhein. Deren Experten stehen dem Internet-Hype um ein Diabetes-Mittel, das nun als vermeintliche Wunderwaffe zum Abnehmen vielfach zweckentfremdet werde, kritisch gegenüber.
„Wir sehen, dass übertrieben positiv und bisweilen recht einseitig über bestimmte Medikamente berichtet wird, die Semaglutid enthalten. Manchmal unter dem Motto: Spritze rein – schlanker sein“, ärgert sich Dr. Armin Hoffmann, Präsident der Apothekerkammer Nordrhein. „Das ist wieder mal ein gutes Beispiel für einen sehr bedenklichen Trend, Arzneimittel zu Lifestyle-Zwecken zu missbrauchen. Davor können wir aus unterschiedlichen Gründen nur warnen.“
Pferde-Entwurmungsmittel gegen Coronavirus
Off-Label-Use von Medikamenten ist nicht neu. Präparate werden öfter einmal außerhalb des für sie eigentlich zugelassenen Anwendungsgebietes genutzt werden. Skurrile Beispiele dafür, die weltweit für Kopfschütteln gesorgt haben, gibt es genug.
So hatte der damalige US-Präsident Donald Trump in der heißen Phase der Corona-Pandemie öffentlich vorgetragen, im Kampf gegen das Coronavirus Desinfektionsmittel zu spritzen. Aus seinem Umfeld wurde auch propagiert, das Entwurmungsmittel Ivermectin zur Behandlung bei einer Corona-Erkrankung einzusetzen. Das Medikament entwurmt Pferde oder Rinder, war in Österreich nach Empfehlungen eines impfskeptischen rechten FPÖ-Politikers teilweise ausverkauft und konnte aber in einer übergreifenden Analyse von mehr als einem Dutzend Studien keinerlei Hinweis auf eine Wirksamkeit zeigen. In den USA gab es mehrere, teils schwere Vergiftungsfälle.
Medikament gegen Durchfall als Anti-Kater-Mittel genommen
Zuletzt gab es vor allem im Internet einen Hype um Medikamente, die dem Elektrolyt-Verlust bei Durchfall entgegenwirken sollen – sie wurden von Menschen vorbeugend gegen einen Kater durch übermäßigem Alkoholkonsum genommen. Die Folge waren leere Regale in Apotheken und beim pharmazeutischen Großhandel und das Fehlen von Medikamenten zum Ausgleich eines Elektrolytverlustes bei Durchfallerkrankungen.
Die aktuellen Lieferengpässe bei vielen Medikamenten – sie können auch durch diese Internet-Trends zur ernsten Gefahr für chronisch kranke Menschen werden. „Es wäre verheerend, wenn Typ-2-Diabetiker demnächst nicht mehr mit dringend benötigten Medikamenten versorgt werden können, nur, weil jemand einem übertriebenen Schönheitsideal nachkommen möchte oder sich die Zeit für eine sinnvolle Umstellung des eigenen Lebensstils nicht nehmen möchte“, schreibt die Apothekerkammer.
Zwar gäbe es Präparate mit dem gleichen Wirkstoff, höher dosiert speziell zur Behandlung von Adipositas, einer schweren Form von Übergewicht – die seien aber trotz EU-Zulassung noch nicht in Deutschland erhältlich. Für leichtes Übergewicht und ohne an Diabetes Typ 2 erkrankt zu sein, ist der verschreibungspflichtige Wirkstoff nicht zugelassen.
Semaglutid kann negative Nebenwirkungen erzeugen
Neben der Wirkung auf die Insulinsekretion kann der Wirkstoff unter anderem zu Übelkeit, Erbrechen und Durchfall sowie Gallensteinen führen. Auch eine erhöhte Herzfrequenz oder eine Entzündung der Bauchspeicheldrüse sind möglich. Aufgrund der potenziellen Nebenwirkungen ist beim Einsatz von Semaglutid eine sorgfältige Nutzen-Risiko-Abwägung und engmaschige ärztliche Kontrolle wichtig.
„Nach Abwägung aller für und gegen die Anwendung sprechender Gesichtspunkte kommt der Einsatz nur für bestimmte Patienten in Betracht. Auf keinen Fall sollte ein Einsatz außerhalb der vorgesehenen Indikation erfolgen“, so die Apothekenkammer.
Auch ganz grundsätzlich raten die Apotheker davon ab, verschreibungspflichtige Medikamente als Lifestyle-Präparate anzusehen. „Wir sind Ärztinnen und Ärzten dankbar, dass sie ihrer Verantwortung gerecht werden – insbesondere bei der Verschreibung solcher Präparate. Denn anders als bei Elektrolyt-Mitteln handelt es sich bei Semaglutid um einen verschreibungspflichtigen Wirkstoff. Ohne Rezept vom Arzt kein Missbrauch. Darauf setzen wir“, erklärt der Kammerpräsident. pm/tok