
Vor rund vier Monaten hat die Europäische Arzneimittel-Agentur (EMA) bekannt gegeben, das Medikament Leqembi, das den Wirkstoff Lecanemab enthält, nicht zuzulassen. Nun hat der Ausschuss für Humanarzneimittel CHMP der EMA die Zulassung zur Behandlung der Alzheimer-Krankheit im frühen Stadium empfohlen – allerdings mit klaren Einschränkungen. Foto: ArtistryAlchemy(KI-generiert)/stock.adobe.com
Leqembi gegen Alzheimer: Neue Hoffnung für begrenzten Personenkreis – Unklare Wirkung bei Frauen
Der Ausschuss für Humanarzneimittel CHMP der Europäischen Arzneimittelagentur (EMA) hat die Zulassung des Wirkstoffes Lecanemab (Handelsname Leqembi) zur Behandlung der Alzheimer-Krankheit im frühen Stadium empfohlen. Die Zulassung soll allerdings auf Erkrankte mit einer oder keiner Kopie des Gens ApoE4 beschränkt werden. Ein kontrolliertes Zugangsprogramm soll gewährleisten, dass nur der empfohlene Personenkreis mit Leqembi behandelt wird.
„Das ist eine wegweisende Entscheidung. Damit werden die Weichen für die Diagnostik und Behandlung der Alzheimer-Krankheit voraussichtlich grundlegend neu gestellt. Leqembi wird das erste Medikament in Deutschland sein, das die Alzheimer-Krankheit an einer der möglichen Ursachen angreift. Damit kann es den Krankheitsverlauf um einige Monate verzögern, aber leider nicht heilen. Bisher konnten wir nur symptomatisch behandeln“, erklärt Dr. Anne Pfitzer-Bilsing, Leiterin der Abteilung Wissenschaft der gemeinnützigen Alzheimer Forschung Initiative (AFI).
Behandlung kommt nur für kleinen Personenkreis in Frage
Die AFI-Wissenschaftlerin ergänzt: „Es ist uns aber sehr wichtig, klarzustellen, dass eine Behandlung nur für eine kleine Gruppe von Erkrankten in Frage kommen wird. Leqembi wird nur für Patientinnen und Patienten in einem sehr frühen Krankheitsstadium zugelassen. Menschen mit einem doppelten ApoE4-Gen sind von der Behandlung ausgeschlossen, weil sie ein zu hohes Risiko auf schwerwiegende Nebenwirkungen haben. Der Zugang wird streng reguliert und die Behandlung soll engmaschig überwacht werden.“
Der Ausschuss der EMA, so Dr. Anne Pfitzer-Bilsing, räume damit dem Sicherheitsaspekt bei der Behandlung mit Leqembi einen sehr hohen Stellenwert ein. Das begrüße die AFI ausdrücklich. „Denn auch wenn wir mit Leqembi die Alzheimer-Erkrankung zum ersten Mal potentiell ursächlich behandeln können, ist die Wirkung voraussichtlich gering. Es ist unklar, ob der Effekt für die Betroffenen selbst überhaupt spürbar ist. Es können aber mit Hirnblutungen und Hirnschwellungen potentiell schwerwiegende Nebenwirkungen auftreten“, erklärt Pfitzer-Bilsing.
Es müsse immer genau abgewogen werden, wer mit Leqembi behandelt werden kann. Auch Erkrankte, die Blutverdünner nehmen, hätten ein erhöhtes Risiko auf Nebenwirkungen. Da die Behandlung zeitintensiv und mit aufwändigen Untersuchungen verbunden sei, müssten Patienten außerdem noch mobil und ausreichend belastbar sein. Leqembi werde nämlich alle zwei Wochen intravenös verabreicht.
Positiv für Erkrankte und die Forschung
„Trotzdem ist es gut, dass Alzheimer-Erkrankte mit Leqembi bald eine neue Therapieoption haben werden und zusammen mit behandelnden Ärzt*innen entscheiden können, ob sie die Behandlung in Anspruch nehmen möchten. Es gibt erste Anzeichen, dass sich der Effekt mit längerer Einnahme noch erhöhen kann. Dafür haben wir aber bisher keine offiziellen Daten“, so die AFI-Wissenschaftlerin.
Durch eine beschränkte Zulassungsempfehlung könnten auch in Deutschland und Europa weitere Daten gesammelt werden. Sowohl die Forschenden als auch die Erkrankten seien damit nicht von weiteren Forschungen und Fortschritten abgeschnitten.
Prof. Dr. Janine Diehl-Schmid, Vorstandsmitglied der Deutsche Alzheimer Gesellschaft (DAlzG), sagt dazu: „Die Zulassung von Leqembi wäre ein erster Schritt in der Behandlung der Alzheimer-Krankheit mit Antikörpern und macht Hoffnung. Noch ist es aber zu früh, um von einem echten Durchbruch in der Behandlung der Alzheimer-Krankheit zu sprechen. Lecanemab kann den Abbau der geistigen Leistungsfähigkeit durch die Alzheimer-Krankheit nicht aufhalten, ihn aber ein wenig verzögern. Gerade wegen der doch begrenzten Wirksamkeit ist es sehr begrüßenswert, dass das CHMP bei seiner Entscheidung die Patientensicherheit im Fokus hatte“. Nach der Empfehlung des CHMP wird die EMA innerhalb von rund zwei Monaten über die Zulassung von Lecanemab/Leqembi entscheiden, wobei man davon ausgehen darf, dass sie der Empfehlung folgen wird. Danach wird der Wirkstoff voraussichtlich auch in Deutschland verfügbar sein.
Profitieren auch Frauen von Leqembi?
Unklar sei bisher, ob und wie sehr Frauen von einer Leqembi-Behandlung profitieren könnten. „Ein Anhang zur Leqembi-Studie zeigt einen großen Unterschied bei der Wirksamkeit zwischen Frauen und Männern. Während der Krankheitsverlauf bei Männern durchschnittlich um 43 Prozent verlangsamt werden konnte, waren es bei Frauen nur 12 Prozent“, so Pfitzer-Bilsing. Und: „In weiteren Studien muss deshalb dringend erforscht werden, ob dieser Unterschied Bestand hat und was die Gründe dafür sind. Rund zwei Drittel aller Menschen mit Alzheimer sind Frauen.“
Strukturelle Herausforderung für ärztliche Versorgung
Die Zulassung von Leqembi werde die ärztliche Versorgung vor neue Herausforderungen stellen. „Weil nur Erkrankte in einem frühen Krankheitsstadium profitieren, brauchen wir eine Verbesserung der Frühdiagnostik. Auch die fachärztlichen Kapazitäten müssen für die Verabreichung von Leqembi und die Überwachung der Behandlung deutlich verbessert werden“, fordert Pfitzer-Bilsing. pm
Info
Die gemeinnützige Alzheimer Forschung Initiative e.V. (AFI) fördert seit 1995 Alzheimer- und Demenzforschung und die Aufklärungsarbeit für Betroffene und Interessierte. Bis heute konnte der Verein 390 Forschungsaktivitäten mit 16,2 Millionen Euro unterstützen und über 925.000 Ratgeber und Broschüren verteilen. Die AFI finanziert sich überwiegend aus privaten Spenden und kooperiert nicht mit der Pharmaindustrie. Mehr dazu auf http://www.alzheimer-forschung.de