Die Regierungskommission empfiehlt, dass fast alle fachärztlichen Behandlungen nur noch an oder gemeinsam mit Krankenhäusern stattfinden sollen. Hausärztliche Praxen sollen in Primärversorgungszentren aufgehen. Ärzteverbände befürchten eine schlechtere Versorgung und lange Wartezeiten und weite Wege für Patienten. Foto: MQ-Illustrations/stock.adobe.com
Keine Facharztpraxis mehr für Kassenpatienten? Hausärzte nur noch in Kliniken?
Gesetzlich Versicherten droht neues Ungemach: Schon jetzt ist es in vielen Regionen schwierig bis nahezu unmöglich, zeitnahe Termine bei Fachärzten für Gynäkologie, HNO, Radiologie oder Orthopädie und Unfallchirurgie zu bekommen. Die Gründe hierfür sind vielfältig: Budgets begrenzen die Fallzahlen im Quartal, Mitarbeitermangel, fehlende Praxisnachfolger sind nur einige davon. Zur Lösung des Problems empfiehlt die Regierungskommission, dass fast alle fachärztlichen Behandlungen nur noch an oder gemeinsam mit Krankenhäusern stattfinden sollen.
Das steht auf dem Spiel
Aber wie passt die Facharzt-Krankenhaus-Lösung zu anderen Plänen der Bundesregierung? Zeitgleich verfolgt sie das erklärte Ziel, die Anzahl der Krankenhäuser um circa zwei Drittel zu reduzieren. So drohen lange Wartezeiten auf einen Termin beim Facharzt wie bereits in England oder Schweden sowie das Ende der Klinik vor Ort. Weiterhin sollen Primärversorgungszentren statt hausärztlicher Praxen entstehen, die Krankenhäuser werden für die hausärztliche Versorgung geöffnet. Das bedeutet das Ende der persönlichen Betreuung durch den Hausarzt.
Gefahr für den aktuellen Versorgungsgrad
„Die Wartezeiten für Kassenpatienten sind in vielen Bereichen und Regionen schon jetzt nicht mehr akzeptabel. Frauen finden keinen betreuenden Gynäkologen, Termine für eine MRT sind im Quartal nicht mehr zu bekommen – nur um Beispiele zu nennen. Auch in meiner orthopädischen Praxis stehen wir vor enormen Herausforderungen bei der Terminvergabe – die Mitarbeiter sind am Anschlag“, so Dr. Burkhard Lembeck, Präsident des Berufsverbandes für Orthopädie und Unfallchirurgie (BVOU).
„Statt auf planwirtschaftliche Lösungen, bauen wir auf bessere Steuerung und Weiterentwicklung eines Systems von leistungsfähigen, inhabergeführten Haus- und Facharztpraxen. Nur dieses schlanke System kann es leisten, den jetzigen Versorgungsgrad einigermaßen aufrecht zu erhalten. Wer einmal mit der Versorgungsrealität in England, Schweden oder sonstigen Teilen der EU konfrontiert war, weiß, wovon ich spreche“, mahnt der BVOU-Präsident. Fachärztliche Termine nur über Beziehungen oder gegen Barzahlung – das kann nicht die Perspektive für Deutschland sein.“ Als Lösungsbeispiel führt er das Modell von Haus- und Facharztverträgen in Baden-Württemberg an. Die Ärzte stehen hier für ein koordiniertes Miteinander von haus- und fachärztlichen Praxen.
Hiobsbotschaft für den Hausärzteverband
„Die Sicherstellung der ambulanten Versorgung durch Haus- und Fachärzte ist das Fundament unseres Gesundheitswesens. Die Hausärzte sind dabei die erste Anlaufstelle, die viele Anliegen bereits abschließend klären und den Versorgungsprozess koordinieren. In den Fällen, bei denen die Patienten auf die fachärztliche Expertise angewiesen sind, braucht es schnelle und koordinierte Prozesse. Das geht nur, wenn es eine wohnortnahe und niedrigschwellige Versorgung gibt! Das können Krankenhäuser nicht leisten. Deswegen sind wir klar gegen die pauschale Verlagerung von hausärztlichen und fachärztlichen Aufgaben in die Krankenhäuser, die nach eigener Aussage sowieso schon überfordert sind“, so Prof. Dr. Nicola Buhlinger Göpfarth, Bundesvorsitzende des Hausärztinnen- und Hausärzteverbandes.
Sie erklärt weiter: „Die komplette Abschaffung der doppelten Facharztschiene wäre daher für die Patienten eine echte Hiobsbotschaft. Die Folge wäre, dass Millionen Patienten ständig in weit entfernte Kliniken müssten, statt wohnortnah versorgt zu werden. Wer so etwas fordert, der ist sich entweder der Auswirkungen nicht bewusst oder nimmt sie sogar billigend in Kauf. Wie es besser geht, zeigen wir in den Verträgen zur hausarztzentrierten Versorgung. Durch die Anbindung der Facharztverträge stellen wir ein koordiniertes und effizientes Miteinander sicher – und das bei deutlich besserer Qualität. Das sollte der Weg in die Zukunft sein.“
DGOU und BVOU setzen auf intelligente Patientensteuerung
Die Deutsche Gesellschaft für Orthopädie und Unfallchirurgie (DGOU) setzt auf bessere Abstimmung und Steuerung des bestehenden Netzwerks an ambulanten und stationären Ressourcen – sowohl bei elektiven Eingriffen als auch in der Notfallversorgung.
Für die Notfallversorgung haben DGOU und BVOU in einem gemeinsamen Positionspapier bereits 2022 formuliert, wie die Herausforderungen durch eine intelligente Patientensteuerung gemeistert werden könnten. Die Regierung agiere jedoch wiederholt am Patienten und an der Wirklichkeit vorbei. „Die Regierungskommission hat unter ihren Mitgliedern im chirurgischen Bereich keine Kompetenz versammelt. Dementsprechend sehen die Koalition und der Gesundheitsminister als einfachstes Instrument eine breite Kürzung mit einem Kahlschlag bei Kliniken und Praxen mit schwerem Schaden für die noch funktionierende Kooperation über die Sektoren“, erklärt DGOU-Generalsekretär Prof. Dr. Dietmar Pennig. „Kahlschlag bei den Kliniken, Schließung der fachärztlichen Praxen – wer versorgt dann in naher Zukunft flächendeckend die alternde Bevölkerung bei steigendem Versorgungsbedarf, beispielsweise bei osteoporotischen Frakturen?“ pm