Regelmäßige Bewegung ist eine relevante Säule der Demenzprävention. Kopftraumata durch Kopfbälle scheinen beim Fußball diesen Effekt jedoch umzukehren. Foto: mas-ter1305/stock.adobe.com
Hohes Demenzrisiko bei Profi-Fußballspielern – DFB reagiert auf Kopfballtraining für Kinder
Seit Jahren gibt es zunehmend mehr Studien zum Risiko für neurodegenerative Erkrankungen (wie Demenzen) bei Sportarten mit wiederholten Schädelprellungen wie dem Fußballsport. Eine neue Kohortenstudie aus Schweden, so berichtet das DeutschesGesundheitsPortal (DGP), zeige ein hohes Demenzrisiko bei Profi-Fußballspielern.
Die Kohortenstudie verglich über 6000 ehemalige Fußballspieler der höchsten Liga hinsichtlich des Auftretens neurodegenerativer Erkrankungen mit einer Kontrollpopulation (>50.000) aus der Allgemeinbevölkerung. Im Ergebnis hatten insbesondere Feldspieler ein um 50 % erhöhtes Risiko für M. Alzheimer und andere Demenzen, Torhüter dagegen nicht.
Fußballstudien: Anlass zur Sorge wegen Potenzial für Demenzen
Fußball steht von allen Sportarten in der Beliebtheit auf der ganzen Welt an oberster Stelle. Verschiedene Beobachtungstudien geben jedoch schon seit Jahren Anlass zur Sorge hinsichtlich der späteren Entwicklung neurodegenerativer Erkrankungen. Zwar sind schwere Kopfverletzungen im Fußballsport selten (in den meisten Studien <0,1 Ereignisse pro 1000 Spielerstunden), jedoch vermutet man, dass wiederholte, subklinische Verletzungen beziehungsweise Prellungen des Kopfes (vor allem durch Kopfbälle) im Sinne einer „chronisch traumatischen Enzephalopathie“ zu einem erhöhten Risiko für neurodegenerative Erkrankungen führen könnten (zum Beispiel M. Alzheimer, andere Demenzen, M. Parkinson und Motoneuronerkrankungen, das heißt Erkrankungen des motorischen Nervensystems).
Abschließende Evidenz ist noch nicht vorhanden, manche Studien werden kontrovers diskutiert, sind widersprüchlich, im Studiendesign limitiert oder aus anderen Gründen wie Fehlen einer Kontrollgruppe oder unvollständiger Ergebniserfassung nur schwer miteinander vergleichbar.
Britische Fußballverbände verbieten Kopfballtraining für Kinder unter 12 Jahren
Nachdem Untersuchungen aus Schottland 2019 zeigten, dass Profifußballspieler gegenüber der Allgemeinbevölkerung ein mindestens 3,5-mal höheres Risiko haben, an einer neurodegenerativen Erkrankung zu versterben, haben UEFA und die Britischen Fußballverbände ihre Richtlinien überarbeitet, um die Sportlerinnen und Sportler bestmöglich zu schützen. Zum Beispiel mit einem Verbot von Kopfballtraining unter 12 Jahren.
2022 beschloss auch der Deutsche Fußballbund (DFB) Änderungen im Kinder- und Jugendfußball im Sinne eines „altersgerechten Umgangs mit dem Kopfballspiel“. Dies beinhaltet zum Beispiel neue Wettbewerbsformen, kleinere Tore und Spielfelder oder das Erlernen der richtigen Kopfballtechnik mit geringem Übungsumfang und leichteren Bällen. Es gibt jedoch auch Rufe aus der medizinischen Fachwelt, das so genannte Köpfen wie in anderen Ländern vor dem Jugendalter ganz zu verbieten.
Weitere Studie zur Kopfball-Problematik berücksichtigt 6007 Fußballspieler
Nun wurde eine weitere Studie zur Kopfball-Problematik in „Lancet Public Health“ veröffentlicht. Die Kohortenstudie aus Schweden bewertete das Risiko für neurodegenerative Erkrankungen bei 6007 Fußballspielern durch Hinzuziehen einer ausgesprochen großen Vergleichsgruppe von 56.168 Männern aus der Allgemeinbevölkerung. Analysiert wurden Daten von Profi- und Amateurspielern (darunter 510 Torhüter), die zwischen 1924 und 2019 in der höchsten schwedischen Fußball-Liga gespielt hatten. Der Vergleich mit der Kontrollpopulation (bis zu 10 Kontrollen pro Spieler) erfolgte gematcht nach Alter und Wohnregion.
Das Follow-up erfolgte bis Ende 2020. Verwendet wurden landesweite Sterbe-, Krankenhaus- und ambulante Patientenregister; dabei wurden Demenzen (M. Alzheimer und andere), Motoneuronerkrankungen und M. Parkinson separat erfasst.
Demenz-Risiko der Feldspieler im Fußball höher als für Torhüter
Bei 537 der 6007 Fußballspieler (8,9 %) wurde die Diagnose einer neurodegenerativen Erkrankung gestellt – gegenüber 3485 (6,2 %) der Kontrollpersonen. Das Erkrankungsrisiko der Fußballer insgesamt (Feldspieler und Torhüter) war somit signifikant um fast 50 % höher (Hazard Ratio/HR 1,46) als in der Allgemeinbevölkerung. Betroffen waren vor allem Profifußballer, die Mitte des 20. Jahrhunderts spielten.
Gegenüber den Kontrollen hatten Feldspieler eine HR von 1,50; Torhüter dagegen keine signifikante Erhöhung (HR 1,07). Speziell das Demenz-Risiko der Feldspieler war hoch (HR 1,67). Bei Motoneuronenerkrankungen gab es keine signifikanten Unterschiede. Parkinson-Erkrankungen waren sogar bei Fußballspielern seltener als in der Kontrollgruppe (HR 0,68, ohne signifikanten Unterschied zwischen Feldspielern und Torhütern). Die Gesamtmortalität der Fußballspieler war insgesamt etwas niedriger als in der Allgemeinbevölkerung (HR 0,95); die Sterblichkeit an Lungenerkrankungen (Bronchialkarzinom, chronisch obstruktive Lungenerkrankung) war sogar deutlich niedriger (HR 0,82). Die Sterblichkeit an/mit neurodegenerativen Erkrankungen war bei den Fußballern dagegen signifikant höher als bei den Kontrollen (HR 1,54 und HR 1,69 für Tod mit/an Demenz).
Die Publizierenden weisen darauf hin, dass eine Übertragbarkeit zum Beispiel auf den Fußballsport dieses Jahrhunderts, auf Frauen- oder Freizeitfußball nicht ohne weiteres möglich ist. Dennoch bewerten sie die Ergebnisse als relevant für das grundsätzliche Risikomanagement in diesem Sport.
„Auch in dieser Studie bestätigte sich ein erhöhtes Demenz-Risiko bei ehemaligen Fußballern. Anders als in der Studie aus Schottland war das Risiko für neurodegenerative Erkrankungen allerdings nicht ganz so ausgeprägt (1,5-fach versus 3,5-bis 5-fach), und es bestand auch nur für Demenzen, nicht aber für M. Parkinson“, kommentiert Prof. Dr. med. Peter Berlit, Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Neurologie e.V. (DGN).
Kopftraumata durch Kopfbälle kehren positiven Effekt des Sports um
„Sport ist für alle Altersgruppen zweifellos wichtiger Bestandteil eines gesunden Lebensstils und regelmäßige Bewegung ist auch eine relevante Säule der Demenzprävention. Kopftraumata durch Kopfbälle scheinen beim Fußball diesen Effekt jedoch umzukehren. Ob es für die Gesunderhaltung der kognitiven Fähigkeiten reicht, nur auf das ‚Köpfen‘ im Kindes- und Jugendalter zu verzichten, müssen weitere Studien klären“, sagt Berlit.
Während in England das Kopfballspiel im Training für Kinder unter zwölf Jahren aktuell untersagt ist, setzt der Fußball in Deutschland auf andere Lösungen. „Ein Trainingsverbot ist der falsche Weg, denn im Wettbewerb oder auch beim Kick auf dem Bolzplatz wird dann doch geköpft“, sagt Ronny Zimmermann, Präsident des Badischen Fußballverbandes und im DFB-Präsidium für Grundsatzfragen des Jugendfußballs und der Talentförderung zuständig. „Der junge Fußballer und die junge Fußballerin wenden möglicherweise eine falsche Technik an, die im Worst Case zu deutlich größeren Schädigungen führen kann. Wir meinen, eine sachdienliche Lösung gefunden zu haben“, vermeldet der DFB auf seiner Webseite.
Deutscher Fußballbund empfiehlt altersgerechtes Vorgehen beim Kopfballtraining
Im Mittelpunkt der Empfehlungen des DFB für seine rund 23.500 Vereine stehen die ab 2024 bindenden neuen Spielformen mit den Schwerpunkten auf Flachpassspiel, eine altersgerechte Vorgehensweise beim Erlernen des Kopfballspiels sowie auf eine Bewusstseinsbildung bei Trainern und Spielern. „Die durchaus verbreitete Einstellung, wenn der Schädel brummt, könne man doch weiterspielen, ist einfach falsch“, sagt DFB-Vizepräsident Zimmermann und fordert ein Ender „der Bagatellisierung“.
„Wir wollen im Nachwuchsbereich achtsamer mit den Auswirkungen des Kopfballspiels umgehen. Neuere Befunde geben uns hierzu Anlass. Wir setzen dabei gezielt auf nachhaltige Wirkung statt auf kurzfristige Verbote. Dass die Kleinfeld-Spielformen die Zahl der Kopfbälle im Kinder- und Jugendfußball ab der Saison 2024/2025 deutlich reduzieren werden, begrüßen wir aus medizinischer Sicht ausdrücklich. Es geht um ein Zusammenwirken von wissenschaftlicher Evidenz und trainingswissenschaftlichen Überzeugungen. Oder anders gedrückt: Die Trainerinnen und Trainer im Land sitzen mit der Medizin in einem Boot“, sagt Prof. Dr. Dr. Claus Reinsberger, Lehrstuhlinhaber für Sportmedizin an der Universität Paderborn und Facharzt für Neurologie, der in der Medizinischen Kommission des DFB das Fachthema „Kopfverletzungen beim Fußball“ betreut.
Starke Hals- und Nackenmuskulatur mindert Gehirnbelastungen durch Kopfbälle
Zentral für den Schutz des Gehirns beim Kopfball ist es, den Ball mit der Stirn zu treffen und die Hals- und Nackenmuskulatur bewusst anzuspannen. Studien belegen, dass die Stärkung der Hals- und Nackenmuskulatur etwa durch isometrische Übungen zu einer Minderung der Krafteinwirkung auf das Gehirn führt. Kopfball-Einheiten sollten zudem langsam aufbauen und bei ungünstigen äußeren Rahmenbedingungen – zum Beispiel bei nass-kaltem Wetter – vom Trainingsplan gestrichen werden. Beim Kopfballtraining der jüngeren Jahrgänge sollte der Ball mit der Hand angeworfen werden. Bei längeren Distanzen muss die Wiederholungszahl reduziert werden. DGP/DFB/tok