Wolfgang Grupp ist nicht der einzige Prominente, der in den vergangenen Jahren mit einer Altersdepression oder späten Phasen von Depressionen kämpfen musste. Entertainer Harald Juhnke, Theologin Margot Käßmann, Schauspieler Götz George oder Komiker Dieter Hallervorden mussten gegen Depressionen in späten Lebensphasen kämpfen. Das Foto entstand Anfang April bei einer Versammlung der Kfz-Innung Pforzheim-Enzkreis. Foto: Meyer

Suizid-Versuch von Wolfgang Grupp: Wenn die Seele unter der Altersdepression leidet

Der Suizidversuch von Wolfgang Grupp, dem langjährigen, in allen Medien omnipräsenten Trigema-Chef, hat das Thema Altersdepression auf tragische Weise ins öffentliche Bewusstsein gerückt. Der 83-jährige Unternehmer galt im Wirtschaftsleben wie in Talkshows oder bei Vorträgen als Fels in der Brandung – diszipliniert, leistungsorientiert, souverän. Dass auch er unter der psychischen Last des Alters litt, zeigt: Depression im Alter kann jeden treffen und auch den vermeintlich Stärksten ins Wanken bringen.

Der Suizidversuch von Wolfgang Grupp steht stellvertretend für viele Betroffene, die lange still leiden. Grupp ist nicht der einzige Prominente, der in den vergangenen Jahren mit einer Altersdepression oder späten Phasen von Depressionen kämpfen musste. Entertainer Harald Juhnke litt an Alkoholismus und Depressionen im Alter – beides kommt bei Männern häufig zusammen vor. Theologin Margot Käßmann und Schauspieler Götz George – zwei auf den ersten Blick wohl eher gegensätzliche Charaktere – äußerten sich öffentlich über depressive Verstimmungen in späteren Lebensphasen. Und der früher scheinbar schrillen Nonsens wie bissiges Kabarett pflegende Komiker Dieter Hallervorden engagierte sich aus eigenem Erleben heraus für die psychische Gesundheit im Alter und thematisierte den „Sinnverlust im Ruhestand“.

Der Fall des ehemaligen, als diszipliniert und souverän geltenden Firmenchefs Wolfgang Grupp (Symbolbild) verdeutlicht tragisch: Ein Suizid gerade auch im hohen Alter ist nicht Ausdruck freier Entscheidung, sondern meist Folge unbehandelter Depressionen. Dabei sind Altersdepressionen durchaus behandelbar – wenn sie denn erkannt werden. Photographee.eu/stock.adobe.com

Diese Beispiele von betroffenen älteren Prominenten zeigen aber auch: Offenheit und der Mut, Hilfe anzunehmen, können helfen. Aus diesem Grund macht es auch Sinn, wenn Grupp nun mit seiner Verzweiflungstat an die Öffentlichkeit geht, darüber spricht, warnt und andere Betroffene dazu aufruft, sich ärztliche, psychische Unterstützung zu holen. Die Altersdepression ist zwar kein klassisches Tabu, aber es ist auch kein populäres Gesprächsthema. Aus Scham oder Unwissenheit wagen sich viele Betroffene nicht, ihr Problem nach außen zu tragen, professionelle Hilfe zu suchen. Und so bleibt die Altersdepression oft unerkannt. Dabei gibt es wirksame Hilfe.

Ältere Männer haben das höchste Suizidrisiko

Die Altersdepression (auch: „spät beginnende Depression“) bezeichnet eine depressive Episode, die im höheren Lebensalter (meist ab dem 60. Lebensjahr) erstmals auftritt oder fortbesteht. Laut Studien sind etwa 10 % bis 15 % der über 65-Jährigen von depressiven Symptomen betroffen. In Pflegeheimen oder geriatrischen Einrichtungen liegt die Prävalenz sogar bei 30 % bis 40 %. Depressionen im Alter sind also keine seltene Erscheinung, aber sie werden oft fehlgedeutet oder bagatellisiert, mit Demenz, „Alterserscheinung“ oder Trauer verwechselt.

Menschen über 65 und davon insbesondere ältere Männer haben das höchste Suizidrisiko aller Altersgruppen. Oft ist bei den älteren Menschen die Impulskontrolle eingeschränkte, es breitet sich ein Gefühl der „Entbehrlichkeit“ aus und dann haben sie auch relativ leichten Zugang zu tödlichen Mitteln wie zum Beispiel Medikamente. Der Fall Grupp verdeutlicht tragisch: Ein Suizid ist nicht Ausdruck freier Entscheidung, sondern meist Folge unbehandelter Depressionen – gerade auch im hohen Alter.

Altersdepression: Was ist das eigentlich?

Anders als bei jüngeren Menschen steht nicht immer eine tiefe Traurigkeit im Vordergrund. Häufiger klagen ältere Menschen über körperliche Beschwerden, Schlafprobleme, Energieverlust oder innere Leere. Aussagen wie „Ich spüre nichts mehr“ und „Ich bin nur noch eine Last“ oder „Ich will niemandem zur Last fallen“ sind Warnsignale.

Während Depressionen bei Jüngeren oft durch berufliche Überlastung oder familiäre Konflikte ausgelöst werden, stehen im Alter andere Faktoren im Vordergrund: Verluste, Einsamkeit, körperliche Einschränkungen, der Rückzug aus der Gesellschaft.

Ursachen und Risikofaktoren

In Pflegeheimen oder bei Alleinlebenden tritt Depression besonders häufig auf. Männer im höheren Alter gelten als Hochrisikogruppe – auch, weil sie seltener über ihre Gefühle sprechen. Die Gründe für eine Altersdepression sind vielfältig. Häufig wirken mehrere Faktoren zusammen.

Psychosoziale Risikofaktoren

  • Verlust des Partners oder enger Freunde
  • Soziale Isolation durch eingeschränkte Mobilität oder Umzüge
  • Gefühl des „Nicht-mehr-Gebrauchtwerdens“, etwa nach Renteneintritt, Verlust der sozialen Rolle in Beruf und Familie
  • Finanzielle Sorgen oder andere Zukunftsängste

Biologische Faktoren

  • Chronische Krankheiten mit körperlichen Einschränkungen (Herzinsuffizienz, Diabetes, Parkinson, Schlaganfall)
  • Neurologische Veränderungen (zum Beispiel vaskuläre Läsionen, frontale Hirnatrophie)
  • Medikamentennebenwirkungen (zum Beispiel Betablocker, Kortikosteroide)

Symptome: Woran erkennt man Altersdepression?

Die Altersdepression hat viele Gesichter und versteckt sich oft hinter Rückenschmerzen, Appetitlosigkeit oder Vergesslichkeit. Folgende Symptome können auftreten:

  • Konzentrationsstörungen, Vergesslichkeit  (oft fehldiagnostiziert als Demenz)
  • Niedergeschlagenheit, anhaltende Traurigkeit
  • Sozialer Rückzug
  • Grübeln, Entscheidungsunfähigkeit
  • Appetitmangel, Gewichtsverlust
  • Schlafstörungen
  • Interessensverlust, Antriebslosigkeit, Müdigkeit
  • Hoffnungslosigkeit oder Schuldgefühle
  • körperliche Beschwerden ohne organische Ursache
  • Suizidgedanken

Angehörige solche Anzeichen ernst nehmen und offen ansprechen, etwa beim zuständigen Hausarzt oder beim Pflegepersonal im Seniorenheim. Da Altersdepression häufig nicht sofort erkannt werden, weil Angehörige, Ärzte, Pflegepersonal und sogar Betroffene selbst die Symptome oft als „normale Alterserscheinungen“ deuten, gewinnt eine exakte Diagnose an besonderer Bedeutung. Verschärfend kommt hinzu, dass körperliche Krankheiten oder Schmerzmittel die psychische Symptomatik überdecken.

Behandlung: Hilfe ist möglich – in jedem Alter

Wer einer späten depressiven Phase im Alter vorbeugen will, sollte das Thema bei Hausärzten, Angehörigen oder Pflegekräften zur Sprache bringen. Eine mögliche Früherkennung ist bereits ein zentraler Teil einer erfolgreichen Prävention. Dazu gehört auch der Aufbau sozialer Netzwerke, etwa mit Angeboten der Nachbarschaftshilfe oder der Telepflege. Hierzu sind der Aufbau und die Förderung digitaler Kompetenzen eigentlich eine Muss, denn mit diesen digitalen Fähigkeiten kann eine soziale Teilhabe heutzutage relativ einfach ermöglicht werden. Ebenso wichtig und eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe: die Sensibilisierung für das Thema Altersdepression in Öffentlichkeit und Gesundheitswesen.

Eine Depression im Alter ist gut behandelbar. Die Therapie orientiert sich an der individuellen Situation der Betroffenen. Die Psychotherapie, etwa in Form der kognitiven Verhaltenstherapie oder Gesprächstherapie, kann helfen, belastende Gedanken zu verändern und neue Lebensperspektiven zu entwickeln. Medikamente – insbesondere moderne Antidepressiva wie SSRI – kommen vor allem bei mittelschweren bis schweren Formen zum Einsatz. Sie wirken stimmungsaufhellend und stabilisierend. Ebenso wichtig wie die medizinische Behandlung ist die soziale Unterstützung durch Familie, Ehrenamt, Tagesangebote oder betreutes Wohnen ist. Der Aufbau neuer sozialer Kontakte kann depressive Symptome deutlich lindern.

Psychotherapie

Kognitive Verhaltenstherapie (KVT)

  • Fokus auf Verhaltensaktivierung, negative Denkmuster, soziale Einbindung
  • Wirksam auch bei leichten bis mittelschweren Depressionen im Alter

Interpersonelle Therapie

  • Besonders hilfreich bei Verlust, Rollenwechsel, Einsamkeit

Problem: Zugang

  • Lange Wartezeiten, mangelnde Spezialisierung auf Ältere
  • Barrieren: Mobilität, Scham, Generationsbedingte Tabus

Pharmakotherapie

Antidepressiva

  • SSRI (z. B. Citalopram, Sertralin) gelten als Mittel der ersten Wahl

Problem: Nebenwirkungen

  • Vorsicht bei Polypharmazie und Nierenfunktion im Alter
  • Regelmäßige Überprüfung der Dosierung und Nebenwirkungen erforderlich 

Soziale Maßnahmen

  • Aktivierende Tagesstruktur, zum Beispiel über Besuchsdienste, Vereine, Ehrenamt
  • Seniorengerechte digitale Kommunikation (zum Beispiel Videochats mit Angehörigen)
  • Umzug in betreute Wohnformen oder Senioren-WG kann entlasten

Weitere Therapien

  • Lichttherapie bei saisonal getriggerter Depression
  • Ergotherapie zur Aktivierung
  • EKT (Elektrokonvulsionstherapie) bei therapieresistenter schwerer Depression

Wie kann ich schnell eine mögliche Altersdepression erkennen?

Grundsätzlich gilt: Eine Altersdepression ist keine Schwäche, sondern eine behandelbare Erkrankung. Je früher sie erkannt wird, desto besser sind die Chancen auf Besserung. Seelisches Leid im Alter darf kein Tabu mehr sein. Angehörige, Pflegekräfte und Hausärzte spielen dabei eine zentrale Rolle.

Unsere Checkliste auf Vital-Region.de kann eine erste Orientierung bei der Erkennung einer Altersdepression bieten, gleichwohl stets professionelle Helfer mit medizinischer Expertise zu Hilfe gezogen werden müssen. tok

🟦 Checkliste: Bin ich oder ein Angehöriger betroffen?

Hinweis: Diese Liste ersetzt keine ärztliche Diagnose, kann aber eine erste Orientierung geben.

✅ Ich fühle mich über Wochen hinweg niedergeschlagen oder innerlich leer.
✅ Ich habe keinen Antrieb mehr und ziehe mich zurück.
✅ Ich kann mich nicht mehr über Dinge freuen, die mir früher wichtig waren.
✅ Ich habe Schlafprobleme oder wache sehr früh auf.
✅ Ich grüble viel oder mache mir Sorgen über die Zukunft.
✅ Ich habe körperliche Beschwerden, für die es keine klare Ursache gibt.
✅ Ich denke manchmal, dass mein Leben keinen Sinn mehr hat.
✅ Ein nahestehender Mensch hat kürzlich sein Leben beendet oder ist verstorben.
✅ Ich habe das Gefühl, meinen Angehörigen zur Last zu fallen.

Wenn mehrere dieser Aussagen auf Sie oder eine nahestehende Person zutreffen, sprechen Sie mit dem Hausarzt oder einer Beratungsstelle.

Hilfe & Beratung

  • Telefonseelsorge: 0800-1110111 (kostenlos, anonym, 24 Stunden an jedem Tag der Woche)
  • Hausärzte als erste Ansprechpartner
  • Psychosoziale Dienste der Städte und Gemeinden
  • Seniorenberatungen und Selbsthilfegruppen