Wenn beim Böllern etwas schiefgeht, endet das schnell im Krankenhaus - zum Beispiel, wenn ein Finger abgerissen wird. Foto: picture alliance/dpa | Patrick Pleul

Bundesärztekammer, Polizei, Umwelthilfe und andere Verbände fordern Ende der Silvester-Böllerei

Während viele Menschen ausgelassen in das neue Jahr feiern, sehen die Mitarbeitenden der Zentralen Notaufnahme des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf (UKE) in der Silvesternacht meist eine Vielzahl an Verletzungen, die vor allem durch unsachgemäßen Umgang mit Feuerwerkskörpern entstehen. Unterdessen belegen Umfragen bereits seit Jahren, dass eine Mehrheit der Bevölkerung in Deutschland für ein Ende der privaten Böllerei ist.

Im Interview mit dem DeutschenGesundheitsPortal beantwortet Dr. Annika Hättich, Oberärztin in der Klinik und Poliklinik für Unfallchirurgie und Orthopädie des UKE, welche Verletzungen besonders häufig auftreten und wie sich diese vermeiden lassen.

Was erleben Sie und Ihre Kollegen an Silvester in der Notaufnahme?

Dr. Annika Hättich: In der Silvesternacht sehen wir in der Notfallaufnahme aus unfallchirurgischer Perspektive teilweise schwerste Verletzungen der Hände, in erster Linie verursacht durch Feuerwerkskörper. Vor allem die illegalen, sogenannten Polenböller weisen eine so hohe Sprengkraft auf, dass sie zu schwersten Verletzungen führen können, die nicht selten in einer Amputation enden. Da die Wunden durch den freiwerdenden Ruß so stark verschmutzt sind, ist es trotz einer sofortigen Notfalloperation nicht immer möglich, abgetrennte Finger zu reimplantieren. In einer regulären Silvesternacht sehen wir zwei, manchmal auch drei derart schwerer Fälle von Handverletzungen.

Welche weiteren Verletzungen treten am Jahreswechsel häufig auf?

Dr. Annika Hättich: Silvester kann sprichwörtlich ins Auge gehen, wenn bei der Handhabung von Feuerwerkskörpern der Mindestabstand nicht eingehalten wird. Auch Sturzunfälle, vor allem unter steigendem Alkoholeinfluss, oder Verbrennungen sind keine Seltenheit am Jahreswechsel. Und natürlich geht in der Silvesternacht die reguläre Notfallversorgung weiter, Schlaganfälle oder Herzinfarkte passieren auch an Feiertagen.

Welche Ereignisse bewegen Sie besonders?

Dr. Annika Hättich: Besonders tragisch sind die schweren Verletzungen, die durch Feuerwerkskörper entstehen. Ein kurzer Moment der Unachtsamkeit oder auch ein Unfall hat für Betroffene meist lebenslange Folgen – das geht besonders nah, wenn die Patient:innen noch jung sind. Leider sehen wir auch immer wieder, dass Unbeteiligte verletzt werden, wenn Knallkörper von Dritten in eine Menschenmenge geworfen werden.

Wie lassen sich diese Unfälle vermeiden?

Dr. Annika Hättich: Der leichtsinnige und unsachgemäße Umgang mit Feuerwerkskörpern – vor allem unter Alkoholeinfluss – ist ein Risikofaktor. Beim Abfeuern von Feuerwerkskörpern sollte immer der Mindestabstand eingehalten werden. Finger weg von illegalen Böllern! Die Sprengkraft ist enorm und wird immer wieder unterschätzt. Ein verantwortungsbewusster Umgang mit Alkohol ist außerdem ratsam, sodass der Jahreswechsel in einer schönen Feier und nicht im Krankenhaus endet. DGP

Mehr Notfall-Patienten an Silvester, weniger Klinik-Personal verfügbar

Ein Bündnis aus Deutscher Umwelthilfe (DUH), Bundesärztekammer, Gewerkschaft der Polizei sowie 20 weiteren Verbänden, Umwelt- und Tierschutzorganisationen verwies auf die vergangenen Tage, in denen die Kombination aus Corona, Grippe und RS-Virus insbesondere Kinderkliniken bereits wieder an die Belastungsgrenze bringt. Das Robert-Koch-Institut warnt zudem vor der Ausbreitung eines Grippe-Erregers, der zu schweren Krankheitsverläufen führt. Das heißt: Es gibt für mehr Patienten weniger Personal, weil die Einen verdiente Winterferien genießen, während die Anderen selbst erkrankt sind.

Gleichzeitig bereiten sich Polizei und Feuerwehr nach den schweren Ausschreitungen im vergangenen Jahr auf gefährliche Situationen und erneut viele Verletzte vor. Aber auch bei den Rettern sind Ausfälle durch Krankheiten zu verzeichnen.

Lucha wies besonders auf die Gefahren für das menschliche Gehör hin: „Viele Menschen unterschätzen den Geräuschpegel mancher Silvesterkracher, der vergleichbar mit dem Start eines Düsenjets ist. Je dichter die Explosion des Krachers jedoch am Ohr erfolgt, desto schlimmere Hörschäden drohen. Deshalb sollte zum Schutz des eigenen Gehörs ein Sicherheitsabstand von mindestens zehn bis zwanzig Metern zu Böllern und sonstigen Silvesterkrachern eingehalten werden.“

Bundesärztekammer will Verbot von Raketen und Knallkörpern

„Es ist ureigenste Aufgabe der Innenminister, für ein friedliches und sicheres Silvester zu sorgen. Ein Verbot von Raketen und Knallkörpern ist dafür elementar“, stellte Bundesärztekammer-Präsident Dr. Klaus Reinhardt klar. Und: „Die politisch Verantwortlichen sollten eine Silvesternacht in einem Rettungswagen oder in einer Notfallambulanz verbringen, dann würde sich ihr Blick auf das scheinbar friedliche Silvesterfeuerwerk schnell ändern. Ärztinnen und Ärzte, Rettungskräfte und Pflegende arbeiten an Silvester am Limit.“

Deutsche Umwelthilfe: Extreme Luftverschmutzung und panische Tiere

DUH-Bundesgeschäftsführer Jürgen Resch: „Das Zusammenspiel aus hoch belasteten Kliniken, einer weiteren Krankheitswelle sowie Tausenden Verletzten, Millionen Tieren in Panik und extremer Luftverschmutzung zu Silvester erfordert eine sofortige Reaktion. Insbesondere Kinder mit Atemwegserkrankungen können in diesem Jahr schwer betroffen sein.“

Was sieht Resch als Lösung an? Ein dauerhaftes Böllerverbot. Denn: „Wir haben ein Recht auf ein schönes und gesundes Silvester für alle – und das ist mit Tausenden teils schwer Verletzten, Millionen Lungenkranken, die unter der giftigen Luft leiden, und Millionen Tiere, die in Panik geraten, sich verletzen oder sogar sterben nicht möglich. Von Belastungen und Folgen für Ärztinnen und Ärzte, Rettungsdienste, Polizei und Feuerwehr sowie den weiteren Umweltfolgen ganz zu schweigen.“

Attacken auf Rettungskräfte

Besonders dramatisch wurden die Folgen der archaischen Böllerei in der Silvesternacht 2022/23 sichtbar: Polizei, Feuerwehr und medizinische Einsatzkräfte wurden in mehreren Städten gezielt mit Feuerwerkskörpern attackiert, Tausende Menschen verletzten sich zum Teil schwer und hunderte Brände wurden gemeldet. Ein 17-Jähriger kam in der Silvesternacht sogar durch Pyrotechnik zu Tode. Die gesundheitsschädliche Feinstaubbelastung war beispielsweise in München neunmal höher als im Vorjahr.

Umfragen belegen bereits seit Jahren, dass eine Mehrheit der Bevölkerung in Deutschland für ein Ende der Böllerei ist. Laut einer repräsentativen Umfrage der Verbraucherzentrale Brandenburg sprechen sich in diesem Jahr 59 % der Menschen für ein generelles Verbot von privatem Feuerwerk aus.  pm