Immunglobuline lassen sich ausschließlich aus menschlichem Plasma herstellen – sie sind zu komplex, um sie künstlich nachzubauen. Der Rohstoff Blutplasma ist aber knapp. Foto: toeytoey/stock.adobe.com
Blutplasma ist Mangelware: Nicht genug Antikörper für Immunerkrankte vorrätig
Wer sich für den guten Zweck Blut abnehmen lässt, kann Menschenleben retten. Dabei geht es nicht nur um das Blut für Menschen, die wegen eines Unfalls oder einer schweren Krankheit operiert werden müssen. Das aus dem Blut gewonnene Plasma und die daraus isolierten Immunglobuline helfen täglich Menschen mit defektem oder fehlendem Immunsystem.
Wenn das eigene Immunsystem fehlerhaft ist
Den Primären Immundefekten (PID) liegt eine chronische genetische Störung zugrunde, bei der ein Teil des körpereigenen Immunsystems fehlt oder beeinträchtigt ist. Dabei werden vom Körper oft nicht ausreichend oder nicht die richtigen Abwehrstoffe (Immunglobuline) gebildet, um gegen Infektionen ankämpfen zu können. Bei betroffenen Patienten arbeitet das Immunsystem nicht richtig, da ihnen Antikörper zur Abwehr von Bakterien, Viren oder Pilzen fehlen. Sie können deshalb Infektionen nicht so effektiv bekämpfen wie gesunde Menschen. Die Betroffenen leiden an häufig wiederkehrenden Infektionen, zum Beispiel der Atem- oder Harnwege, die zudem schwer verlaufen, lange dauern und im schlimmsten Fall lebensbedrohlich sein können. Mehr Infos unter https://www.dsai.de/immundefekte
Als Primäre Immundefekte wird eine Gruppe von über 430 seltenen Erkrankungen bezeichnet, von denen weltweit sechs Millionen Menschen betroffen sind. Etwa die Hälfte der Betroffenen leidet an Antikörpermangelerkrankungen. Angeborene Immundefekte sind zwar von Geburt an vorhanden, aber die Symptome zeigen sich teilweise erst später. Viele Betroffene werden mittlerweile bereits im Säuglingsalter durch entsprechende Screening-Programme entdeckt, dennoch leiden immer noch zu viele Erkrankte Jahre und Jahrzehnte, bis ihre Diagnose gestellt wird. Immundefekte können als sogenannte sekundäre Immundefekte erworben werden, zum Beispiel im Rahmen einer Krebserkrankung. Für alle Gruppen gilt: Die Gabe von aus Plasma gewonnenen Immunglobulinen kann hier helfen.
So viel Plasmaspenden braucht ein PID-Patient pro Jahr
Dr. Sabine Pingel, Senior Manager Medizin bei Grifols Deutschland, einem führenden Hersteller von plasmabasierten Medikamenten, weiß, wie bedeutend die Antikörper im menschlichen Blutplasma für die Immunabwehr sind: „Sie, die Immunglobuline, sind sehr wichtig zur Abwehr von Krankheitserregern. Sie erkennen die Oberfläche dieser Krankheitserreger, die Antigene, passen da wie ein Schlüssel in ein Schloss und markieren so die Krankheitserreger wie mit kleinen Fahnen und können sie so gezielt bekämpfen.“
Um einen PID-Patienten ein Jahr mit den notwendigen Medikamenten versorgen zu können, sind durchschnittlich 130 Plasmaspenden notwendig. Die aus gespendetem Plasma gewonnenen Immunglobuline gleichen das Defizit an Antikörpern aus. Sie werden den Patienten als Infusion verabreicht. Dies geschieht über die Vene oder auch subkutan in das Unterhautfettgewebe.
Internationale Woche der Primären Immundefekte
Mit der Internationalen Woche der Primären Immundefekte vom 22. bis 29. April 2023 wird weltweit auf die Situation der Betroffenen aufmerksam gemacht und aufgeklärt. Haema, der größte privatwirtschaftliche Blut- und Plasmaspendedienst in Deutschland, nimmt an der Aktionswoche mit verschiedenen Aktionen teil und ruft zur Plasmaspende auf. Mit jährlich über einer Million gesammelter Blut- und Plasmaspenden leistet Haema einen wichtigen Beitrag zur Versorgung von Krankenhäusern, Kliniken und Blutbanken sowie zur Herstellung blut- und plasmabasierter Medikamente. Das bei Haema gesammelte Plasma verarbeitet Grifols zu wichtigen Medikamenten zur Behandlung schwerwiegender, chronischer und lebensbedrohlicher Krankheiten.
„Ohne die Plasmaspenden können wir keine Immunglobuline isolieren und in der Folge wiederum auch keine den Patienten mit Primären Immundefekten zum Schutz zur Verfügung stellen“, so Dr. Pingel weiter. Die Plasmaspende sei für viele Patienten lebensrettend.
Wie erkennt man einen Primären Immundefekt erkennen?
Eine Gruppe von Wissenschaftlern und Experten hat zwölf Warnsignale aufgelistet, die auf eine Primäre Immundefekt-Erkrankung hinweisen können. Zu den wichtigsten gehören die Anfälligkeit für schwere Infekte (zwei Lungenentzündungen im Jahr), der Infekt innerer Organe (Hirnhautentzündung, Sepsis/Blutvergiftung), acht oder mehr eitrige Mittelohrentzündungen im Jahr und eine dauerhafte Nasennebenhöhlenentzündung. Weitere Merkmale und Warnsignale sind beim dsai e.V., Deutsche Selbsthilfe Angeborene Immundefekte e.V., aufgelistet: https://www.dsai.de/immundefekte/
Dr. Pingel empfiehlt: „Bei Verdacht oder großer Sorge sollte in jeden Fall ein Arzt aufgesucht werden. Der dann über die Basisdiagnostik, Blutbild und Bestimmung des Immunglobulin-Spiegels zu einer ersten Einschätzung kommt. Der frühzeitige Besuch bei einem erfahrenen Spezialisten ist ebenfalls ratsam.“
PID-Patienten bangen um Versorgung mit Immunglobulinen
Menschen mit Immundefekterkrankungen sind auf die stetige Versorgung mit Antikörpern (Immunglobulinen) angewiesen, die jedoch nur aus menschlichem Blutplasma hergestellt werden können. Ohne diese Immunglobuline kann auch ein banaler Infekt schon lebensbedrohlich sein. Ohne immunglobulinhaltige Arzneimittel müssten diese Menschen isoliert leben, wie in den 70er-Jahren David Vetter. Der an einem schweren Immundefekt leidende Junge lebte sein nur 13 Jahre kurzes Leben völlig isoliert in einer Plastikblase. Dank Immunglobulinen ist das heutzutage nicht mehr nötig, aber seit Monaten gibt es hier eine prekäre Versorgungslage. Es gibt viel zu wenig Arzneimittel mit Immunglobulinen in Deutschland.
„Die Zeiten der Isolation vieler Menschen mit Immundefekten sind Gott sei Dank vorbei, denn aus menschlichem Blutplasma lassen sich mittlerweile die dringend benötigten Immunglobuline isolieren und zu Arzneimitteln weiterverarbeiten. So können viele Patientinnen und Patienten ein weitgehend normales Leben führen“, so Prof. Volker Wahn, ehemals Leiter der Sektion Infektionsimmunologie der Klinik für Pädiatrie mit Schwerpunkt Pneumologie und Immunologie an der Charité in Berlin. Er schränkt aber ein: Die mangelnde Verfügbarkeit von Arzneimitteln mit Immunglobulinen sei nicht erst in der COVID-Pandemie für die versorgenden Ärzte zum Problem geworden. Dosisintervalle werden gestreckt, Dosierungen runtergefahren, um überhaupt für alle etwas anbieten zu können.
Es geht nicht ohne menschliches Plasma
Immunglobuline lassen sich ausschließlich aus menschlichem Plasma herstellen – sie sind zu komplex, um sie künstlich nachzubauen. Der Rohstoff Blutplasma ist aber knapp, die COVID-19-Pandemie macht diesen Mangel bis heute spürbar, und eine dauerhafte Lösung der Knappheit ist schon aufgrund der begrenzten Rohstoffe nicht in Sicht. „Die Aufbereitung von Immunglobulinen aus Plasma zu einem anwendungsfertigen Arzneimittel ist anspruchsvoll und dauert bis zu einem Jahr“, so Simone Naruhn von CSL Plasma.
Gabriele Gründl von der dsai (Patientenorganisation für angeborene Immundefekte) berichtet über das vergebliche Bemühen, Aufmerksamkeit der Politik für die immer wiederkehrenden Versorgungsengpässe zu erreichen: „Für die Menschen mit Immundefekten gibt es keinen Plan B – sie sind auf lebensnotwendige Immunglobuline alternativlos angewiesen.“
Christian Wieszner, Geschäftsführer von CSL Behring Deutschland, weist auch auf die zukünftige Versorgungslage hin: „Wenn der Rohstoff Plasma nicht ausreichend vorhanden ist, können wir auch nicht ausreichend Arzneimittel herstellen. Und die Schere zwischen Bedarf und Angebot wird sich weiter öffnen, denn der Bedarf an Arzneimitteln, die Immunglobuline enthalten, steigt jährlich um acht Prozent an, wie das Paul-Ehrlich-Institut festgestellt hat.“ Dies läge nicht nur an den deutlich eher gestellten Diagnosen bei Menschen mit Immundefekten, sondern auch daran, dass Behandlungsmöglichkeiten mit Immunglobulinen für andere, bislang nicht behandelbare Erkrankungen erforscht würden, bei denen diese dann zum Einsatz kämen. „Auch vor diesem Hintergrund“, so Wieszner, „bedarf es einer gesicherten Sonderstellung für Immunglobuline in unserem Gesundheitssystem!“
Was ist Blutplasma?
Blutplasma ist der flüssige Teil des menschlichen Blutes. Etwa 90 Prozent des Plasmas besteht aus Wasser und etwa sieben Prozent aus verschiedenen Eiweißen. Diese tragen zur Aufrechterhaltung lebenswichtiger Funktionen des Körpers bei, beispielsweise zur Blutgerinnung und bei der Abwehr von Infektionen.
Um plasmabasierte Medikamente herstellen zu können, wird das Blutplasma von freiwilligen Spendern benötigt. Diese müssen mindestens 18 Jahre alt sein und mehr als 50 Kilogramm wiegen. Vor der Spende sollten sie reichlich trinken und eine volle Mahlzeit, möglichst fettarm, zu sich genommen haben. Das angewandte Verfahren zur Plasmasammlung, die Plasmapherese, ist seit Jahrzehnten erprobt und entspricht den höchsten Sicherheitsstandards.
Detaillierte Informationen zur Plasmaspende sind auf www.haema.de abrufbar.