Als AOK-Geschäftsführer im Nordschwarzwald hat Hartmut Keller viele Jahre das Gesundheitswesen in der Region mitgeprägt. Im PZ-Interview gibt er bekannt, dass er im Juli in Pension geht. Foto: Meyer
AOK-Geschäftsführer Hartmut Keller: „Weniger Menschen wollen Arzt werden“
Hartmut Keller steht seit zehn Jahren an der Spitze der AOK Nordschwarzwald, sechs weitere Jahre hat er als stellvertretender Geschäftsführer bereits Weichen gestellt. Langweilig war die Aufgabe nie. Derzeit stehen besonders knifflige Aufgaben an.
Dazu zählen Reformpläne fürs Krankenhaussystem, Finanzierungssorgen für Krankenkassen, Medikamentenknappheit oder fehlende Ärzten und Pflegekräfte. Die Pforzheimer Zeitung und vital-region.de haben mit Keller darüber gesprochen. Am Ende gibt es eine Überraschung: Keller hört zum 1. Juli auf und geht in den Ruhestand.
Was war die wichtigste Veränderung, die Sie in Ihren zehn Jahren als Chef der AOK Nordschwarzwald erlebt haben?
Hartmut Keller: Ich habe begonnen bei rund 220.000 Versicherten und ende bei 283.000. Inhaltlich erinnere ich mich noch an den Aufbau der integrierten Leitstelle für Rettungskräfte. Das war nicht ganz so einfach, aber mittlerweile besteht sie seit fast zehn Jahren. Das war ein großer Schritt für den Rettungsdienst. In den Krankenhäusern hat sich viel getan. Wir haben mit dem Kinderzentrum Maulbronn und anderen Partnern „InTakt“ geschaffen, eine Institutsambulanz und Tagesklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie in Pforzheim. Und eine Herzensangelegenheit für mich war auch die Familienherberge in Schützingen. Wir haben einen Vertrag für kleine, schwerstkranke oder behinderte Kinder hinbekommen. Ebenso beim Kinderhaus Luftikus in Baiersbronn, wo bis zu zehn beatmete, intensiv pflegebedürftige Kinder eine ganzheitliche und individuelle Förderung erhalten.
Gewehrt hat sich die AOK oft gegen bundespolitische Vorstöße zum Beispiel unter Gesundheitsminister Jens Spahn, der an Ihrer regionalen Organisationsstruktur gesägt hat.
Hartmut Keller: Wir sprechen bei manchen seiner Gesetze von Metropolzuschlägen zum Beispiel bei Kosten in der letzten Lebensphase, wo viel Geld von der AOK Baden-Württemberg wegfließt und Millionen aus unseren Rücklagen abgegriffen werden. Das sollte nur einmal so sein, wurde versprochen. Aber dieses Jahr kam das schon zum zweiten Mal. Damit muss jetzt Schluss sein. Wir haben eine gute Versorgungsstruktur in Baden-Württemberg und deshalb weniger Ausgaben als andere Bundesländer. Spahns Gesetze haben finanzielle Konsequenzen, die wir spüren. Die Bürger haben zwar eine verbesserte Versorgung. Aber die kostet Geld.
Zahlen wir als gesetzlich Versicherte in Zukunft dann jährlich 2000 Euro Selbstbeteiligung? Der Ökonom Bernd Raffelhüschen hat das vorgeschlagen.
Hartmut Keller: Der kommt immer wieder mit Vorschlägen, die in der Analyse gut sind. Aber das sind alte Ideen. Wir dürfen finanziell nicht immer wieder auf Menschen ohne große Einkommen zurückgreifen. Grundlage muss eine solidarische Finanzierung sein. Erinnern Sie sich an die Praxisgebühr. Die hat eher dazu geführt, dass Menschen nicht zum Arzt gegangen sind. Wir können nicht steuern mit Eigenbeteiligungen. Und auch nicht mit höheren Belastungen für Risikosport oder Rauchen. Wir haben als AOK den Wunsch, dass der Gesetzgeber die Finanzen stärkt. Dazu gehört, dass wir angemessene Beiträge für die Bezieher von Bürgergeld bekommen.
Wichtiger Kostenfaktor im Gesundheitswesen ist die Krankenhauslandschaft. Auch dort wird eine umfassende Reform geplant. Welche Folgen erwarten Sie für die Kliniken im Nordschwarzwald?
Hartmut Keller: Derzeit gibt es noch keinen Gesetzentwurf. Der eingeschlagene Weg ist aber durchaus richtig. Wir können heute noch nicht absehen, ob dadurch Krankenhäuser in großem Stil schließen müssen. Gut ist die Idee, dass Kliniken besser zusammenarbeiten können und dass wir Leistungen nicht doppelt und dreifach vorhalten wie oft außerhalb von Baden-Württemberg.
Sie sehen dieses Problem bei uns nicht?
Hartmut Keller: Auch bei uns gibt es Doppelstrukturen, aber Baden-Württemberg ist einen Schritt weiter als andere. Klar ist: Doppelte und dreifache Angebote treiben die Kosten nach oben. Wir brauchen Qualität in der Versorgung, die mit der Menge der Behandlungen zusammenhängt. Wenn wir weniger Krankenhäuser haben sollten, können wir das Personal besser einsetzen.
Das Fachpersonal ist seit Jahren knapp. In den letzten zehn Jahren haben wir immer wieder über fehlende Landärzte gesprochen. Wie weit sind Sie mit Gegenmaßnahmen gekommen?
Hartmut Keller: Es gibt weniger Menschen, die Arzt werden wollen. Es gibt ein geändertes Freizeitverhalten. Die Medizin wird weiblicher. Es gibt den Wunsch nach mehr Teilzeitarbeit. Darauf brauchen wir Antworten. Es braucht Ärztezentren wie die Regiopraxis in Baiersbronn. Die beweist, dass das funktioniert. Dort arbeiten fast zehn Ärztinnen und Ärzte. Auch die Männer konnten in diesem Modell Erziehungszeit nehmen. Schön ist, dass auch in Maulbronn Ärzte um Dr. Till Neugebauer und die Stadt gemeinsam etwas auf die Beine bringen, um die Versorgung zukunftsträchtig zu machen.
Was haben Initiativen wie Docs4Pfenz im Enzkreis bewirkt?
Hartmut Keller: Deren Weiterbildungskonzept ist ganz wesentlich für die Attraktivität der Region für Mediziner. Nur müssen wir weiter dran arbeiten. In Freudenstadt und Calw wird sogar eine Vergütung gezahlt, wenn Ärzte auf dem Land arbeiten. Das hat auch Erfolge gezeigt.
Noch eine Lücke: Viele Medikamente sind knapp. Die PZ hat zuletzt über fehlende Antibiotika berichtet. Warum ist das so?
Hartmut Keller: Wir wehren uns gegen Vorwürfe, dass das mit unseren Rabattverträgen zusammenhängt. Die bringen eher eine bessere Versorgung. Die Verträge betreffen nur Generika (Nachahmerpräparate nach Ablauf des Patentschutzes für ein Medikament; Anmerkung der Redaktion). Und in den Verträgen steht, dass die Versorgung immer für vier Wochen voraus gesichert sein muss. Aber bei der Herstellung brauche ich Wirkstoffe. Und die Pharmaindustrie bezieht die seit langem aus China, Japan, Israel oder anderswoher. Wir brauchen mehr Produktion in Europa.
Was passiert aber, wenn Ihre vertraglichen Vorgaben zu vorgehaltenen Medikamenten nicht eingehalten werden?
Hartmut Keller: Dann gibt es zunächst mal kein Arzneimittel. Letzten Endes ist die Pharmaindustrie gefordert. Wir haben zum Beispiel bei den Fiebersäften ermöglicht, Preise anzuheben. Aber wenn es diese Säfte gar nicht gibt, jedenfalls nicht in der nachgefragten Menge, dann können wir auch über den Preis nichts regeln.
Wir haben über große Baustellen gesprochen: Wie viel Kraft kostet Ihre Aufgabe?
Hartmut Keller: Mir macht mein Beruf Spaß. Natürlich ist es anstrengend auf immer neuen Gebieten zu agieren. Man braucht den Ausgleich zur Arbeit. Ich werde im Mai 63 Jahre alt. Und nach einiger Überlegung habe ich mich aus persönlichen Gründen entschieden, im Sommer in Pension zu gehen. Nach 46 Berufsjahren, davon 33 Jahren in Verantwortung.
Und Sie bereiten derzeit einen Stabwechsel in der Geschäftsführung vor?
Hartmut Keller: Das Ausschreibungsverfahren läuft derzeit. Mitte April steht wohl fest, wer meine Nachfolgerin oder mein Nachfolger wird.
Welches Projekt würden Sie bis dahin gerne noch abschließen?
Hartmut Keller: Wir müssen es in den nächsten Wochen schaffen, dass wir bei den Krankenhausverhandlungen vorwärtskommen. Wir hängen noch in den Jahren 2019 und 2020. Unsere Kliniken brauchen bei den Finanzen Klarheit.
Und ein persönliches Ziel für den Ruhestand?
Hartmut Keller: Ich habe da einige Ideen. Eines kann ich schon sagen. Nächstes Jahr im März möchte ich den Halbmarathon in New York laufen.