Täglich sterben fast 100 Menschen in Europa an Infektionen mit antibiotikaresistenten Keimen und die Pharmaindustrie scheint im Wettrennen gegen diese Keime mit neuen Antibiotika nicht schnell genug zu sein. Foto: betterpick|Art
DUH: Jede dritte Hähnchenfleischprobe aus Massentierhaltung mit antibiotikaresistenten Keimen belastet
Na, dann mal guten Appetit. Eine Stichprobenuntersuchung im Auftrag der Deutschen Umwelthilfe (DUH) zeigt, dass jedes dritte Hähnchenfleischprodukt aus Massentierhaltung mit antibiotikaresistenten Erregern belastet ist – genauer gesagt 11 von 35 Hähnchenfleischproben. Von den 30 getesteten Bio-Hähnchenfleischprodukten waren hingegen nur 2 Proben belastet.
Exzessiver Einsatz von Antibiotika in Massentierhaltung
Antibiotikaresistente Keime entstehen unter anderem durch den exzessiven Einsatz von Antibiotika in der Massentierhaltung. Bei der Schlachtung können die Keime vom Darm der Tiere auf die Fleischoberfläche und letztlich den Menschen übergehen – mit fatalen Folgen: Jeden Tag sterben fast 100 Menschen in Europa an Infektionen mit antibiotikaresistenten Keimen und die Zahl steigt besorgniserregend. Aus den jährlich rund 35.000 Toten werden schnell mehr, denn die Pharmaindustrie scheint im Wettrennen gegen die Resistenz der Keime mit neuen und wirksamen Antibiotika im Verzug zu sein.
Die DUH fordert deswegen Ernährungs- und Landwirtschaftsminister Cem Özdemir auf, den Einsatz von Reserveantibiotika bei Nutztieren strenger zu regulieren.
Reserveantibiotika nur für Menschen in Not
Sascha Müller-Kraenner, Bundesgeschäftsführer der DUH: „Dieses Ergebnis belegt erneut, wie gesundheitsgefährdend Massentierhaltung für uns Menschen ist. Die Antibiotika, die eigentlich als Reserve das letzte Mittel für erkrankte Menschen sind, bekommen die anfälligen ‚Turbohähnchen‘ vorbeugend und in Massen – und das nur, damit sie unter Qualzucht-Bedingungen weitervegetieren und lebend den Schlachthof erreichen.“
Und was soll getan werden? Müller-Kraenner sagt: „Landwirtschaftsminister Özdemir muss endlich handeln und Qualzucht ebenso wie diesen unnötigen Antibiotikaeinsatz stoppen. Reserveantibiotika müssen den Menschen vorbehalten sein und sollten überhaupt nicht an große Tiergruppen verabreicht werden. Wir raten Verbraucherinnen und Verbrauchern: Verzichten Sie für Ihre Gesundheit auf den Kauf von Geflügel aus Massentierhaltung.“
„Die Tierhaltung bietet ideale Bedingungen für ein Virus, um sich an den Menschen anzupassen. (…) Was wir hier mit den Schweinen machen, ist auch nicht gut. Die würden in der Natur nie in solchen Herdengrößen auftreten. Eine wachsende Menschheit mit einem wachsenden Fleischhunger: Hier steckt das Risiko für künftige Pandemien.“
Prof. Dr. Christian Drosten, Virologe an der Charité Berlin, in einem Gespräch mit der Wochenzeitung „Die Zeit“
DUH fordert auch den Handel zum Umdenken auf
Handlungsbedarf sieht die DUH auch bei Supermärkten und Discountern: Sie müssten ihren Lieferanten klar signalisieren, dass die Qualzucht der Masthühner ein Auslaufmodell sei. Konkret fordert die DUH einen Umstieg von den Massentierhaltungsstufen 1 und 2 auf die besseren Haltungsstufen 3 und 4 bis spätestens 2028.
Reinhild Benning, Leiterin Landwirtschaft der DUH: „In Deutschland stammen rund 90 Prozent der Masthühner aus qualvoller Turbozucht, der Großteil davon bekommt Antibiotika. Beim Verbrauch des Reserveantibiotikums Colistin steht Deutschland an dritthöchster Stelle in Europa – ein Armutszeugnis. Turbozucht und Antibiotikamissbrauch schaden zuerst den Tieren, dann uns Menschen.“
Die Ampelregierung, so Benning, habe im Koalitionsvertrag versprochen, Qualzucht zu identifizieren und eine Tiergesundheitsdatenbank zu etablieren. Aber: „Passiert ist bislang gar nichts. Es ist aber wichtig zu wissen, bei welcher Haltung, Zucht und Fütterung die Tiere am wenigsten Medikamente benötigen. Was bessere Zucht und Haltung bringen, zeigt der Ökolandbau: Langsam heranwachsende Bio-Hähnchen sind robuster und brauchen nur in Ausnahmefällen Antibiotika“, so Benning.
So viel Tagesdosen Antibiotika für Tiere und Menschen
Welche Menge an antibiotikaresistenten Keimen auf dem eigenen Teller landet, hängt stark vom individuellen Essverhalten ab. Auf www.blitzrechner.de/fleisch kann berechnet werden, wie viele Dosen Antibiotika die selbst verzehrten Tiere erhalten haben. Dies sind im Durchschnitt 556 Tagesdosen innerhalb von 10 Jahren für das, was bei einem Fleisch essenden Menschen auf dem Teller landet. Zum Vergleich: Der durchschnittliche Deutsche bekommt innerhalb dieses Zeitraums nur 47 Tagesdosen Antibiotika verschrieben. pm