Alendronsäure gehört zu den Bisphosphonaten und wird zur Behandlung der Osteoporose eingesetzt. Bisphosphonate begünstigen aber auch die Aktivierung von T-Zellen oder von Fresszellen des Immunsystems oder steigern die Reaktion von T-Zellen und Antikörpern auf Viren. Foto: bacsica/stock.adobe.com
Bisphosphonate-Studie: Knochenschwund-Medikamente gegen Corona?
Bisphosphonate sind Arzneien, die seit vielen Jahren in erster Linie erfolgreich gegen die Osteoporose eingesetzt werden. In einer US-amerikanischen Studie – mit Beteiligung von Prof. Dr. Stefan Endres und Prof. Dr. Tobias Dreischulte vom LMU Klinikum München – wurde jetzt ermittelt: Patienten, denen Bisphosphonate verschrieben wurden, erkrankten weniger häufig an COVID-19.
„Dies war ein deutlicher Effekt in einer epidemiologischen Untersuchung – einer Methodik, die allerdings keine zweifelsfreien Rückschlüsse auf einen ursächlichen Zusammenhang zulässt“, sagt der klinische Pharmakologe Endres.
Bisphosphonate begünstigen Immunreaktion
Im Knochen töten Bisphosphonate jene Zellen, die Knochenmasse abbauen. Allerdings zeigten jüngst diverse Untersuchungen, dass sie zum Beispiel die Aktivierung von T-Zellen oder von Fresszellen des Immunsystems begünstigen – oder dass sie die Reaktion von T-Zellen und Antikörpern auf Viren steigern. Darüber hinaus fand eine Studie aus Australien, dass Patienten, die regelmäßig Bisphosphonate einnehmen, auf Intensivstation einen günstigeren Verlauf hatten als Kontrollgruppen.
Neue Medikamente gegen Corona gesucht
Obwohl es mehrere wirksame Impfstoffe gegen COVID-19 gibt, sind die Impfraten in vielen Regionen der Welt unzureichend, um eine anhaltend hohe Krankheitslast und das Auftreten neuer Virusvarianten zu verhindern. „Es ist nicht unwahrscheinlich, dass wir in den kommenden Jahren neue Viruswellen bekommen. Da wäre es gut, weitere Wirkstoffe zu haben, die den Verlauf einer Virusinfektion günstig beeinflussen“, sagt Prof. Dr. Stefan Endres, Direktor der Abteilung für Klinische Pharmakologie am LMU Klinikum. Die Forschenden wollten mit ihrer Studie an einer großen Population untersuchen, ob Patienten, die Bisphosphonate nehmen, seltener oder weniger schwer an COVID-19 erkranken.
Studie überrascht die Forscher
Das Studienteam unter Leitung von Prof. Ulrich von Andrian, Immunologe an der Harvard Medical School, analysierte eine US-amerikanische Datenbank. Sie identifizierten fast acht Millionen Patienten, für die von Januar 2019 bis Juni 2020 – also dem Zeitraum, der den Beginn der Corona-Pandemie im ersten Halbjahr 2020 umfasste – kontinuierliche medizinische Versicherungsdaten inklusive Medikamentenverschreibungen vorlagen. Gut 450.000 dieser Patienten bekamen Bisphosphonate verordnet (und nahmen sie wahrscheinlich auch ein).
Im Vergleich zu 450.000 Patienten (gleichen Alters, Geschlechts, mit vergleichbaren Grunderkrankungen usw.) bekamen die Bisphosphonat-Anwender seltener COVID-19 und erlitten weniger schwere COVID-19-Verläufe. Zudem mussten sie weniger oft bei einer Corona-Infektion stationär aufgenommen werden. „Dieser statistische Effekt war stark – eine Reduktion um über 50 Prozent – und hat die Untersucher überrascht“, erklärt Prof. Endres.
Ergebnis hat Bestand
Weil Bisphosphonat-Anwender oft wenig mobile, ältere Menschen sind, die das Haus womöglich seltener als andere verlassen und sich vielleicht deshalb seltener infizieren, haben die Forschenden die untersuchte Bisphosphonat-Gruppe auch mit Osteoporose-Patienten verglichen, die mit anderen Osteoporose-Medikamenten behandelt worden waren. „Und trotzdem“, sagt der Münchner Mediziner, „blieb es bei der Korrelation der Bisphosphonat-Therapie mit weniger COVID-19-Ereignissen.“ Korrelation bedeutet: dass beides – in diesem Falle die Bisphosphonat-Einnahme und weniger COVID-Ereignisse – zusammenzuhängen scheint.
Im nächsten Winter Bisphosphonate schlucken?
„Nein“, sagt Prof. Endres. Erstens muss der genaue Wirkmechanismus auf das Immunsystem geklärt werden. Zweitens sind Bisphosphonate nicht für die Vorbeugung oder Therapie von Corona-Infektionen und anderen Atemwegsinfektionen zugelassen. Und drittens muss in einer sogenannten prospektiven Studie noch geklärt werden, ob auch ein ursächlicher Zusammenhang zwischen der Therapie mit Bisphosphonaten und günstigeren COVID-19-Verläufen besteht. DGP