„Jedes 10. Kind stirbt, jedes 5. erleidet erhebliche Behinderungen: Die Meningokokken-Infektion ist selten, aber extrem gefährlich“, so Kinder- und Jugendärztin Dr. Franziska Schaaff. Dabei könnte eine Impfung so viel Leid vermeiden. Foto: New Africa/stock.adobe.com

Meningokokken-Impfung für Babys: Hürden hoch, Impfquoten niedrig

Die SARS-CoV-2 Pandemie hatte erhebliche Auswirkungen auf die Gesundheit von Kindern und Jugendlichen. Aber auch im Nachgang dieser globalen Gesundheitskrise zeigen sich erhebliche bakterielle und infektiologische Gefährdungen der Jüngeren, auch weil die Impfraten – von Covid-19 abgesehen – zurückgegangen sind. Das gilt auch für die gefährlichen Meningokokken-Infektionen.

Hinzu kommen Hürden, die das Impfen nicht gerade erleichtern, wie Pharma-Fakten.de berichtet. Das erschwert insbesondere einkommensschwachen Familien den Zugang, was sich wiederum bei der Impfung gegen Meningokokken-Infektionen zeigt. Dabei drängen die Todeszahlen zum schnellen Handeln.

Niedrige Impfraten durch Pandemie

SARS-CoV-2 hat den Planeten lahmgelegt – und hatte deshalb Auswirkungen auf die Gesundheit von Menschen, die weit über die Virusinfektion hinausgeht. „Die Auswirkungen der Pandemie waren zahlreich“, hat die Kinder- und Jugendärztin Dr. Franziska Schaaff in ihrer Praxis im fränkischen Eckental beobachtet. „Da sind die psychosozialen Faktoren wie Übergewicht, wir haben eine Zunahme beim Gebrauch elektronischer Medien, weniger Sport, deutlich mehr psychische Erkrankungen, Depressionen, Ängste.“

Aber die Expertin sieht auch infektiologische Veränderungen, die vorher nicht absehbar waren. Infektionen, die vor der Pandemie nicht mehr oder nur in reduziertem Maß aufgetreten waren. Infektionen, wie die durch das RS-Virus, die für regelrechte Infektionswellen sorgten. Vor diesem Hintergrund sieht Infektiologin Schaaff die niedrigen Impfraten in einigen Indikationen mit großer Sorge, wie sie auf der Veranstaltung „Chancengleichheit beim Schutz vor MenB: Wo stehen wir nach der Pandemie?“ des forschenden Pharmaunternehmens GlaxoSmithKline berichtete.

Meningokokken: Selten, aber extrem gefährlich

Dass auch die Infektionen durch Meningokokken (Men) nachpandemisch wieder zunehmen, kann die Ärztin in ihrer Nachbarschaft beobachten. Die Bakterien können schwere Krankheiten auslösen, der Verlauf ist oft außerordentlich schnell, die Todesrate sehr hoch: „Jedes 10. Kind stirbt, jedes 5. erleidet erhebliche Behinderungen: Die Meningokokken-Infektion ist selten, aber extrem gefährlich“, so Dr. Schaaff.

„Wer einmal einen Fall gesehen hat, vergisst ihn nie.“ Deshalb, so die Ärztin, sei die Impfung „einfach alles. Und das Gute ist: Wir haben gegen die Stämme A, C, W, Y Impfstoffe, die sicher und wirksam sind.“

MenB-Impfraten: Sachsen vorbildlich, Bayern ist Schlusslicht

Das gilt auch für MenB – der Stamm ist für die meisten Fälle in Deutschland verantwortlich. Doch die Impfraten in Deutschland sind grottig (bundesweit: 33 Prozent) und regional sehr unterschiedlich verteilt. Tendenziell gilt: Der Norden und der Osten des Landes schützen ihre Babys besser – an der Spitze die Sachsen (94 Prozent). Schlusslicht ist mit 21 Prozent ausgerechnet das Land, was sonst immer gerne von sich behauptet, ganz vorne zu sein: Bayern.

Ein Blick auf Europa zeigt, dass in anderen Ländern die Bedeutung der MenB-Impfung offenbar anders bewertet wird. In 14 Ländern ist sie Teil des offiziellen Säuglingsimpfprogramms. Als letztes hat sich Spanien dazu entschlossen; dort wurde die Vakzine bisher nur in ausgewählten Regionen empfohlen. Im New England Journal of Medicine veröffentlichte Daten aus einer vergleichenden Analyse aus dem Land belegen, dass der 4-Komponenten-Impfstoff 4CMenB effektiv vor Erkrankungen schützt – bei vollständiger Impfung liegt die Wirksamkeit bei 71 Prozent. Solche Daten gibt es auch aus Italien, England, Australien, Kanada und Portugal.

Strukturelle Hürden bremsen Schutz aus

Woran liegt das? Wie immer ist die Antwort nicht einfach, weil vielschichtig. Aber dass es für Menschen, die ihre Kinder schützen wollen, nicht einfach ist, eine Impfung zu bekommen, zeigt unter anderem eine Studie des IGES-Instituts, die Dr. Norbert Gerbsch im Auftrag von GSK erstellt hat.

Anders als bei Arzneimitteln, die in Deutschland vom Tag der Zulassung an sehr schnell verfügbar sind und erstattet werden, unterscheidet sich der Zugang bei den Impfstoffen. Die Krankenkassen müssen sie erst erstatten, wenn die Ständige Impfkommission (STIKO) am Robert Koch-Institut eine Empfehlung ausgesprochen hat. Das kann selbst in normalen Zeiten schon mal Jahre dauern.

Wenn aber Pandemie ist, das zeigt Dr. Gerbsch in der Studie, ist erstmal Land unter: Die Impfstoffexperten haben sich in den Jahren 2020 bis 2022 fast ausschließlich mit Covid-19-Impfstoffen beschäftigt. Salopp formuliert: Alles andere fiel unter den Tisch.

STIKO arbeitet ehrenamtlich

Dazu muss man wissen: Die STIKO arbeitet ehrenamtlich. „Das ist so gewollt“, erklärt Norbert Gerbsch. Schließlich soll das Gremium unabhängig sein und bleiben – und dadurch frei sein von Einflüssen durch Politik, die Kostenträger oder die Pharmaindustrie. 12 bis 18 Mitglieder hat das Gremium, sie gelten als das Who-is-Who der Impfstoff-Kompetenz. Dass diese Zahl nicht ausreicht, wenn vor der Tür eine Pandemie tobt, ist klar.

Mit seinem Team beim IGES hat Gerbsch deshalb die Idee einer Krisenreaktionsreserve entwickelt: „Das ist wie eine freiwillige Feuerwehr, die ausrückt, wenn es eng wird. Je nach Überlastungsszenario könnte die STIKO um 12 oder 18 Mitglieder aufgestockt werden.“ Damit nicht ins Stocken gerät, was gerade in einer Gesundheitskrise wichtig ist: Nämlich der Schutz von Menschen vor impfpräventablen Erkrankungen.

Kein STIKO-Segen: Impfstoffe bleiben im Regalen

Denn das ist das Problem: Eine fehlende Impfempfehlung durch Deutschlands „Impf-TÜV“ verunsichert Eltern und Ärzte. Mit der Folge, dass zugelassene Impfstoffe, die bereits bewiesen haben, dass sie wirksam und sicher sind, in den Regalen liegen bleiben, wo sie niemandem nutzen. Zwar übernehmen manche gesetzlichen Krankenkassen auf freiwilliger Basis die Erstattung solcher Impfstoffe, aber es sind nur 22 (von aktuell 96), die nicht nur den MenB-Impfstoff, sondern auch die ärztliche Impfleistung übernehmen. Weitere 14 Häuser übernehmen die Kosten nur teilweise.

Mit dem STIKO-Segen ändert sich das schlagartig: In der Praxis einen Termin vereinbaren, impfen gehen, fertig.

Das hat soziale Folgen: Selbst in den Fällen, in denen die Kasse erstattet, müssen die Eltern die Kosten oft vorstrecken. Menschen mit Sprachbarrieren müssen sich bei ihrer Krankenkasse über die Erstattung informieren – eine weitere Hürde. Auch Gesundheitskompetenz dürfte eine Rolle spielen. „Diese Erstattungssituation hat enorme Bedeutung. Dadurch ergibt sich bei sozial benachteiligten Familien eine Chancenungleich bei deutlich höheren Krankheitsrisiken und Krankheitslast“, sagt Dr. Schaaff. „Denn die Risiken für eine Men-B-Infektion sind hier besonders hoch.“

WHO-Plan bis 2030: Deutschland hat Aufholbedarf

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat sich vorgenommen, die Meningitis – eine Hirnhautentzündung, die zum Beispiel durch Meningokokken ausgelöst werden kann – bis 2030 zu bekämpfen. Die Rationale für die „Meningitis Road Map“: Meningitiden stellen eine ernsthafte Gefahr dar, sie treten weltweit auf, Ausbrüche machen nicht vor Grenzen halt. Deshalb sei ein globales, konzertiertes Handeln notwendig. Und: Impfstoffe gegen Meningokokken und andere bakterielle Meningitiden sind verfügbar. Alle Instrumente für die WHO Road Map sind da, um diese bakterielle Superinfektion einzudämmen. Deutschlands Interesse an dem WHO-Plan scheint allerdings nicht sehr ausgeprägt zu sein: Eine Impfrate von 33 Prozent ist dafür Beleg genug. pm