Die Studienlage ist klar: Die Nutzung sozialer Medien führt bei Kindern und Jugendlichen immer öfter zu einer psychischen Belastung und einer Social-Media-Sucht. Leopoldina-Wissenschaftler fordern ein Mindestalter für Nutzer von TikTok, Instagram & Co. Foto: Inspire Shots Hub – KI-integriert/stock.adobe.com

Psychische Gesundheit: Leopoldina-Wissenschaftler für Mindestalter und besseren Jugendschutz auf Social Media

Die Mehrheit der Deutschen wollen ein Mindestalter für die Nutzung von sozialen Medien wie Facebook, Instagram oder TikTok. Der ehemalige Bundesminister für Ernährung und Landwirtschaft und Bundesminister für Bildung und Forschung Cem Özdemir (Bündnis 90/Die Grünen) sprach sich jüngst ebenfalls für ein Verbot der Nutzung dieser Social-Media-Kanäle für junge Menschen unter 16 Jahren aus. Und jetzt legen Wissenschaftler der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina mit einem Diskussionspapier nach.

„Wir lassen Jugendliche auch nicht einfach ohne Führerschein hinters Steuer. Es gibt Fahrstunden und ein schrittweises Ranführen. So müssen wir es auch mit den sozialen Medien halten“, zitiert PZ-news eine Özdemir-Aussage gegenüber der Deutschen Presse-Agentur. Seine Schlussfolgerung: „Darum halte ich eine Altersgrenze für TikTok und andere soziale Medien für richtig. Diese sollte bei 16 Jahren liegen.“ Unterstützung kann er dabei in der Bevölkerung finden, denn eine repräsentative Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov hatte im Juni ergeben, dass sich mehr als 70 Prozent der Menschen für ein Mindestalter aussprechen. Bald könnte sich auch die Europäische Union mit dem Thema befassen. In Australien läuft die Umsetzung der Altersgrenze auf 16 Jahre bereits.

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Weitere Informationen
In diesem YouTube-Video stellt Prof. Dr. Ralph Hertwig, Direktor am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung in Berlin und Mitautor des Diskussionspapiers, die Handlungsempfehlungen der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina vor.

Suchtgefahr droht: Social-Media-Nutzung ist alltäglich und allgegenwärtig

Die Nutzung sozialer Medien ist für einen Großteil der Kinder und Jugendlichen in Deutschland längst alltäglich. Viele von ihnen zeigen dabei ein riskantes, manche sogar ein suchtartiges Nutzungsverhalten. Zwar kann die Nutzung sozialer Medien durchaus positive Effekte für Heranwachsende haben – bei intensiver Nutzung können jedoch negative Auswirkungen auf das psychische, emotionale und soziale Wohlbefinden auftreten, wie Depressions- und Angstsymptome, Aufmerksamkeits- oder Schlafprobleme.

In einem Diskussionspapier der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina (hier herunterladen, 1,5 MB) schlagen die beteiligten Wissenschaftler deshalb die Anwendung des Vorsorgeprinzips vor. In dem Papier „Soziale Medien und die psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen“ geben sie Handlungsempfehlungen, um Kinder und Jugendliche vor negativen Folgen sozialer Medien zu schützen, beispielsweise durch altersabhängige Zugangs- und Funktionsbeschränkungen.

Genaue Ursachen noch unklar, aber schädliche Wirkung ist auffällig

Das Diskussionspapier gibt einen Einblick in die aktuelle Studienlage zum Einfluss sozialer Medien auf die psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen. Der Großteil der verfügbaren Evidenz ist korrelativer und nicht kausaler Natur: Querschnittstudien belegen einen statistischen Zusammenhang zwischen der Nutzung sozialer Medien und einer zunehmenden psychischen Belastung. Einige Längsschnittstudien über längere Zeiträume hinweg liefern zudem Hinweise darauf, dass die intensive Nutzung sozialer Medien ursächlich für diese Belastungen sein kann.

Die Autoren sprechen sich deshalb für die Anwendung des Vorsorgeprinzips aus: Es besagt, dass vorbeugende Maßnahmen ergriffen werden sollten, wenn es Hinweise auf mögliche schädliche Auswirkungen gibt, auch wenn wissenschaftlich noch nicht vollständig geklärt ist, wie groß das Risiko tatsächlich ist. 

Erhebliche Social-Media-Gefahren und erhöhter politischer Handlungsbedarf

Laut den Autoren besteht politischer Handlungsbedarf zum Schutz von Kindern und Jugendlichen, da die möglichen Gefährdungen durch eine intensive Social-Media-Nutzung erheblich sind. Die beteiligten Wissenschaftler formulieren im Diskussionspapier konkrete Handlungsempfehlungen, um Kinder und Jugendliche vor den Gefahren sozialer Medien zu schützen und sie gleichzeitig zu einem reflektierten und kompetenten Umgang mit ihnen zu befähigen.

Sie sprechen sich dafür aus, dass Kinder unter 13 Jahren keine Social-Media-Accounts einrichten dürfen. Für 13- bis 15-jährige Jugendliche sollten soziale Medien nur nach gesetzlich vorgeschriebener elterlicher Zustimmung nutzbar sein. Für 13- bis 17-Jährige sollen soziale Netzwerke zudem altersgerecht gestaltet werden – beispielsweise bei den algorithmischen Vorschlägen, durch ein Verbot von personalisierter Werbung oder durch die Unterbindung besonders suchterzeugender Funktionen wie Push-Nachrichten und endloses Scrollen. Die Wissenschaftler empfehlen außerdem, die Nutzung von Smartphones in Kitas und Schulen bis einschließlich Klasse 10 nicht zuzulassen.

Datenschutzkonformer digitaler Altersnachweis gefordert

Das Diskussionspapier erläutert auch die mögliche Umsetzung der Altersgrenzen und altersgerechten Einschränkungen auf Social Media. Hier sehen die Autoren vor allem auf EU-Ebene Möglichkeiten der Regulierung. Die deutsche Bundesregierung sollte sich dort für entsprechende gesetzliche Regelungen einsetzen. Ein vielversprechender Ansatz ist bereits die geplante Einführung der „EUDI-Wallet“, die einen datenschutzkonformen digitalen Altersnachweis ermöglichen soll.

Um einen reflektierten Umgang mit sozialen Medien zu fördern, schlagen die Autoren vor, einen digitalen Bildungskanon in Kitas und Schulen zu verankern, der Kinder und Jugendliche auf Themen des digitalen Lebens vorbereitet. Die Kompetenzen von Lehr- und Erziehungsfachkräften sollten gestärkt werden, um riskantes beziehungsweise suchtartiges Nutzungsverhalten frühzeitig erkennen und adressieren zu können. Niedrigschwellige Public-Health-Kampagnen sollten Familien zudem über die Einflüsse sozialer Medien auf die psychische Gesundheit sowie über die Möglichkeiten einer positiven Gestaltung der Social-Media-Nutzung informieren. Zudem bedarf es weiterer Forschung, um die Wirkmechanismen der Nutzung sozialer Medien in dieser Altersgruppe besser zu verstehen und die Effektivität der Schutzmaßnahmen zu evaluieren.

Info

Als Nationale Akademie der Wissenschaften leistet die Leopoldina unabhängige wissenschaftsbasierte Politikberatung zu gesellschaftlich relevanten Fragen. Dazu erarbeitet die Akademie interdisziplinäre Stellungnahmen auf der Grundlage wissenschaftlicher Erkenntnisse. In diesen Veröffentlichungen werden Handlungsoptionen aufgezeigt, zu entscheiden ist Aufgabe der demokratisch legitimierten Politik. Die Experten, die Stellungnahmen verfassen, arbeiten ehrenamtlich und ergebnisoffen. Die Leopoldina vertritt die deutsche Wissenschaft in internationalen Gremien, unter anderem bei der wissenschaftsbasierten Beratung der jährlichen G7- und G20-Gipfel. Sie hat 1600 Mitglieder aus mehr als 30 Ländern und vereinigt Expertise aus nahezu allen Forschungsbereichen. Sie wurde 1652 gegründet und 2008 zur Nationalen Akademie der Wissenschaften Deutschlands ernannt. Die Leopoldina ist als unabhängige Wissenschaftsakademie dem Gemeinwohl verpflichtet.     pm/tok

Das Diskussionspapier „Soziale Medien und die psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen“ ist auf der Website der Leopoldina veröffentlicht. In einem YouTube-Video stellt Prof. Dr. Ralph Hertwig, Direktor am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung in Berlin und Mitautor des Diskussionspapiers, die Handlungsempfehlungen vor.