Die Anzahl der Tabaksüchtigen ist 2022 erneut angestiegen. Jeder vierte Deutsche raucht zumindest gelegentlich. Foto: KKH Christian Wyrwa

Jeder Vierte greift häufiger zum Glimmstängel – Mehr Alkoholsüchtige

Sind es die Sorgen vor den Folgen der Corona-Pandemie und des Ukraine-Kriegs oder einfach nur Lust und Langeweile? Fakt ist: Laut einer forsa-Umfrage im Auftrag der KKH Kaufmännische Krankenkasse hat sich das Geschehen im Jahre 2022 zunehmend negativ auf das Rauchverhalten der Deutschen ausgewirkt. Auch beim Alkoholmissbrauch gibt es keine Entwarnung.

Demnach hat jeder vierte Raucher im Alter von 16 bis 69 Jahren in letzter Zeit häufiger zur Zigarette gegriffen oder sogar mit dem Rauchen angefangen. Nur jeder Zehnte hat das Rauchen hingegen reduziert oder ganz damit aufgehört. In einer ähnlichen Umfrage aus dem Sommer 2020 hielten sich die Ergebnisse hingegen noch nahezu die Waage: Seinerzeit gab jeder sechste Raucher an, seinen Konsum seit Beginn der Corona-Krise gesteigert zu haben. Jeder Siebte sagte indes, er rauche seither weniger als üblich.

Knapp ein Viertel der Deutschen raucht

Der aktuellen Umfrage zufolge raucht derzeit knapp ein Viertel der Deutschen, 18 Prozent davon sogar regelmäßig. Gründe sind unter anderem Stressabbau (32 Prozent) und Langeweile (18 Prozent). Jeder Siebte meint, durch das Rauchen besser vom Alltag abschalten zu können, jeder Neunte kann dadurch seine Probleme und Sorgen vergessen. Ganz oben auf der Skala steht allerdings die Gewohnheit. Fast 60 Prozent der befragten Raucher geben an, nicht auf ihren Glimmstängel verzichten zu wollen.

Wohin ein solches Verhalten und vor allem der exzessive Konsum von Tabak führen können, zeigen KKH-Daten: Demnach ist die Zahl der Versicherten, die wegen einer Abhängigkeit, Entzugserscheinungen, eines akuten Rausches oder psychischer Probleme aufgrund von Tabak ärztlich behandelt wurden, innerhalb des vergangenen Jahrzehnts bundesweit um rund 73 Prozent gestiegen. Von 2019 direkt vor der Pandemie auf das zweite Corona-Jahr 2021 verzeichnet die KKH allein ein Plus von 7 Prozent. Ob und wie stark dieser Anstieg mit der Pandemie zusammenhängt, ließe sich jetzt noch nicht abschätzen, sagt Michael Falkenstein, Experte für Suchtfragen bei der KKH. „Da Abhängigkeitserkrankungen über einen längeren Zeitraum hinweg entstehen, bilden sie sich statistisch in der Regel erst zeitverzögert ab.“ Möglich sei aber, dass in den vergangenen Monaten etliche Ex-Raucher rückfällig geworden seien.

Gruppendynamik animiert zu Alkoholkonsum

Beim exzessiven Alkoholkonsum – darunter fallen neben dem Rauschtrinken auch Abhängigkeit und Entzugserscheinungen – ist die Lage ebenfalls besorgniserregend, aber nicht ganz so dramatisch wie beim Tabakmissbrauch. Hier verzeichnet die KKH innerhalb eines Jahrzehnts einen Anstieg der Diagnosen von rund 31 Prozent, von 2019 auf 2021 um 4,5 Prozent. Insgesamt sind laut KKH-Hochrechnung rund 1,4 Millionen Menschen in Deutschland von ärztlich diagnostiziertem Alkoholmissbrauch betroffen, deutlich weniger als von schädlichem Tabakgebrauch (rund 5,6 Millionen).

Anders als beim Rauchen scheint die Gewohnheit beim Konsum von Alkohol nur eine untergeordnete Rolle zu spielen. Kernargument ist für fast die Hälfte der Befragten stattdessen die Gruppendynamik. Sie trinken in Gesellschaft, also wenn Partner, Freunde oder Partygäste es auch tun. Weitere Gründe sind der gute Geschmack von Bier, Wein, Likör & Co. (37 Prozent) sowie – ähnlich wie beim Rauchen – das Abschalten vom Alltag (13 Prozent). Bedenklich: Alkohol ist in Deutschland leicht verfügbar und als vermeintliches Kulturgut gesellschaftlich nach wie vor akzeptiert. „Wie Tabak hat aber auch Alkohol die Eigenschaft, dass man sich an ihn gewöhnt“, warnt Suchtexperte Falkenstein.

Alkoholsucht: Männer sind besonders gefährdet

Vor allem Männer sind gefährdet, denn sie konsumieren Alkohol deutlich häufiger als Frauen: Fast 40 Prozent von ihnen trinken aktuell mehrmals wöchentlich Bier, Wein und Hochprozentiges, 11 Prozent davon teils sogar täglich. Dies trifft hingegen nur auf 17 beziehungsweise 5 Prozent der Frauen zu. Sie trinken indes häufiger als Männer nur zu besonderen Anlässen (32 zu 18 Prozent).

Die Pandemie samt ihren Auswirkungen scheint das Trinkverhalten allerdings nicht mehr so negativ zu beeinflussen wie zu Beginn. Denn: Laut Umfrage trinken 10 Prozent der Befragten aktuell mehr Alkohol als vor der Krise, 14 Prozent allerdings auch weniger. Bei der Befragung im ersten Corona-Jahr stellte sich die Lage noch genau umgekehrt dar.

Rauschmittel als Sorgenfresser

Tabak- und Alkoholkonsum gehören nicht nur zu den häufigsten vermeidbaren Krankheitsursachen, sondern zählen auch zu den zwei Hauptrisikofaktoren für einen vorzeitigen Tod – gleich, ob jemand abhängig ist oder nicht. Und bezüglich Tabak gilt: Es gibt keinen unbedenklichen Gebrauch. Schon bei einer Zigarette pro Tag steigt das Risiko für eine Herzerkrankung und einen Schlaganfall.

„Viele Menschen sind sich dieser Gefahr gar nicht bewusst oder verdrängen sie, gerade wenn andere Probleme im Vordergrund stehen, etwa private Konflikte oder globale Krisen“, erläutert Falkenstein. Aber gerade in solchen Zeiten seien Rauschmittel für viele Menschen eine Art Bewältigungsmechanismus, da sie entspannen, beruhigen und vermeintlich Ängste und Sorgen vertreiben. „Die große Gefahr dabei ist, dass aus dem vermehrten Konsum während einer schweren Lebensphase eine Gewohnheit wird und dadurch ein noch höheres Risiko für eine Abhängigkeit entsteht.“

Nachwuchs leidet in suchtbelasteten Familien

Die Leidtragenden sind aber nicht nur die Betroffenen selbst, sondern auch der Nachwuchs, der in suchtbelasteten Familien groß wird. „Solche Kinder und Jugendlichen stehen unter enormen emotionalen und psychischen Belastungen. Gleichzeitig nimmt dadurch ihr späteres Suchtrisiko zu“, sagt Michael Falkenstein. Deshalb sei rechtzeitiges Erkennen und Handeln umso wichtiger.

Wer auf Alkohol nicht mehr verzichten kann und merkt, dass die Gedanken häufig um das nächste Glas kreisen, sollte sich beraten lassen. Denn: Der Übergang vom regelmäßigen Feierabendbier in eine Alkoholabhängigkeit ist schleichend und daher umso tückischer. Hilfe finden Betroffene bei Suchtberatungsstellen oder einem Arzt beziehungsweise einer Ärztin ihres Vertrauens. pm/tok